Autokino zwischen Warzenhof und Westernwüste

Russ Meyer, der Alternativ-Trash-Soft-Pornograf mit der Vorliebe für wirklich große Dinge, ist verstorben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nur kurz nach dem Erscheinen der DVD-Edition seines Werks auch in Deutschland ist der Regisseur und Kameramann Russ Meyer bereits am vergangenen Samstag im Alter von 82 Jahren an einer Lungenentzündung in seiner Villa in den Bergen von Hollywood gestorben.

Damit ist das pralle Leben des Double-Breast-Action-Filmers zuende gegangen, der mit seinen Independent-Produktionen unvergängliche Beiträge zur Sexploitation-Welle der 60er und 70er Jahre lieferte: cineastische Erotiksatiren, voller spätpubertär verbohrter Melodramen und wollüstig eingestreuter Pin-Up-Aktposen, eine "Mondo Topless", eine Oben-Ohne-Welt, die heute noch mehr Gänsehaut erzeugt als jede abdressierte Pornoeinlage in den sterilen Sparten der aktuellen Kino-, TV- und DVD-Welt.

Rabiatesse und Hingabe

Russ Meyers dezidiert vorpornografische Lustspielfilme muss man im Autokino, auf der ganz großen Leinwand, erlebt haben, um diese sonderbare Mischung aus comicartiger Rabiatesse und schwelgender Hingabe an die Aura des Nackten zu erfahren: diesen rasenden Voyeurismus eines Speedy Gonzales, der in immer tiefere Täler und absurdere Regionen der Begierde vordringt, im harten Schnitt zwischen dem Close-Up der Mammalia, hervorspringenden und über das Bild hinweg springenden Riesenbrüsten mit üppigen Warzenhöfen, und der schizophrenen Totale von Westernwüsten, deren steinerne Aussichts-"Peaks", die Lust an der üppigen Fleischesschau schroff kontrapunktieren, bis man in der Ferne die Nackedeis weiter herumspringen und ringen sieht.

Der Filmemacher als Polizist und Krankenschwester

Man mag es kaum glauben, denn es klingt allzu passend: Russ Meyer war der Sohn eines Polizisten und einer Krankenschwester. Ohne Zweifel ist damit bereits der ödipale Overdrive seiner sexuellen Obsessionen eingekreist: die Spannung zwischen der Zensur und der Therapie, zwischen rigider Observanz und schrankenloser Pflege.

Dort der paranoische Blick des ruhelos umherschweifenden Vaters, der sich mit seinen perversen Begierden hinter der Spießigkeit einer neutralen Uniform und seinen alltäglichen Routine-Patrouillien versteckt.

Hier die symbolische Zurichtung der sinnlichen Mutter zur Erlösergestalt, zum angebeteten Pin-Up zwischen Erotomanie und Erotophobie: ihre Transformation zur absolut wohltuenden und heilsamen Pflegerin, zur heiligen Schwester Nutte, die im Krankenhaus der versammelten männlichen Begierden von Station zu Station sich sattelfest durcharbeiten muss, um aus dem den Cocoon der Männerfantasien auszubrechen und in der aggressiven Gegengestalt der unbezähmbaren Hexen (Vixen, Supervixen oder Megavixen) den Rausch des sattellosen Lebens auszukosten.

Das Nackte als konstruierter Akt

Russ Meyers frühe Fotografien und Filmproduktionen nehmen bereits die bildsprachliche Qualität der späteren Kinowerke vorweg. Der jugendliche Amateurfilmer gewann bereits mit 15 Jahren erste Preise. Im zweiten Weltkrieg war er als Nachrichten-Kameramann in der Normandie und in den Ardennen tätig, für den Playboy schuf er zahlreiche busenbeladene Centerfolds, die dem Ideal der üppig-unbefriedigten Housewife-Sexbombe Nahrung gaben.

Die handwerkliche Exaktheit der fotografischen Motivsuche (so am Set von "Giganten") und von ihm ebenso akribisch angelegte Industriefilme sorgten dafür, dass Meyer auch in seiner Domäne, dem "nudie film", das Nackte nie als eine bare Größe auftreten ließ, sondern immer als durchkomponierten Akt, als außeralltäglichen Einfall einer verrückten Kunst, als bedrohlich-unheimliche Obsession, als plastische Konstruktion einer ästhetischen Erscheinung, als ein festes Relief und keineswegs nur als der jede Handlung oder Erregung unter sich begrabende starre Silikonbusen, wie er später im meist spannungslosen Hardcore üblich sein sollte.

Mit seinem Filmdebüt 1959 The Immoral Mr. Teas, einem ironischen Porträt des sexuell aufgeladenen US-Kleinstbürgers, machte Meyer bereits einen Gewinn von über einer Million Dollar. Keine Frage, dass er selbst gleich in einer Nebenrolle mitgespielt hatte. Aus den Erträgen konnten dann die anerkannten Höhepunkte seines Schwarz-Weiß-Werkes entstehen: In 1964 und 1965 Lorna, Mudhoney, Motor Psycho, sowie Faster Pussycat! Kill! Kill!, der den deutschen Titel Die Satansweiber von Tittfeld verpasst bekam.

Später ließ er sich von der 20th-Century Fox für Studioproduktionen eine Zeit lang unter Vertrag nehmen; Beyond the Valley of the Dolls (deutscher Titel: Blumen ohne Duft) wurde 1970 sein größter Kassenschlager, der das Studio, so Meyers eigene Reklame, vor dem Ruin rettete, ist aber heute nicht mehr aufzutreiben.

Als bei dem seriöserem Werk The Seven Minutes 1972 die künstlerischere Anerkennung ausblieb, ging Meyer wieder zurück in sein altbewährtes Independent-Strickmuster aus Titten-Sex und Grausamkeit, wobei die Titel sich in ihrer zunehmenden Redundanz schon allzu sehr der Hardcore-Sexfilm-Ära annähern – bis zu Beneath the Valley of the Ultravixens 1979.

Zabriskie-Point für Ungebildete

Kitten Natividad, Lori Williams, Tura Santana und Uschi Digard heißen die Darstellerinnen, die Russ Meyer berühmt gemacht haben, oder er sie. Wenn Meyers viril verstopfter Sheriff-Held Harry (Charles Napier) in Cherry, Harry & Raquel (Megavixens) auf der Jagd nach dem gesetzlosen Apachen mit ihrem Dienst-Jeep an einer nackten Sonnenanbeterin vorbei rasen und urplötzlich kehrtmachen, um den platten Reifen des prallen Busenwunders in gekonnter Sachlichkeit auszuwechseln, um dann ohne einen liebevollen Blick ins Auge der einsamen Nackten davonzubrausen, als seien der Reifen und das Weib eine einzige Fata Morgana zur wundervollen lyrischen Warnung des Rockmusikers William Loose gewesen, dann ist Russ Meyers Schaffen auf dem Höhepunkt angelangt: in einem Zabriskie-Point für die Ungebildeten, denen die einfachen Stories vom Krieg der Geschlechter ein immer gleicher Trost für den eigenen Beziehungs-Sado-Masochismus nicht nur im Autokino ist.