Bangladesch: Der Mensch frisst sich weiter auf

Seite 2: Wirtschaftswachstum und Autokratie

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Immerhin sorgen sich einige deutsche Wirtschaftsexperten auch über den autokratischen Stil der Regierung Bangladeschs. Weniger weil sie Angst um Bürgerrechtler, Gewerkschafter oder Umweltschützer haben, gegen die die Regierung immer brutaler vorgeht, sondern weil die Wirtschaftsexperten um das Wachstum in Bangladesch besorgt sind.

Bei den Abrissarbeiten am Ufer des Buriganga sassen keine Einflussreichen vor ihren zerstörten Häusern. Foto: Gilbert Kolonko

Doch Azad Abul Kalam, ein Experte zum Thema Landraub von der Organisation Actionaid Bangladesch, beschreibt, wie der diktatorische Führungsstil der Ministerpräsidentin Sheikh Hasina, das rasante Wirtschaftswachstum erst möglich macht:

Um Land und Boden für die geplanten Sonderwirtschaftszonen zu beschaffen, arbeitet die Regierung mit Tricks: Da sich der Grundstückspreis nach dem aktuellen Richtwert richtet, werden die Preise durch eine sogenannte "stay order" in den vorgesehen ländlichen Gegenden einfach für 5-10 Jahre eingefroren. Dazu wird vor Ort mit den bekannten lokalen Parteiführern zusammengearbeitet, die ihre Schlägerbanden einsetzten, um Druck auf die kleinen Landbesitzer auszuüben. Wenn solche Fälle mal ans Tageslicht kommen, tut die Regierung immer so, als sei sie völlig machtlos gegen die Einflussreichen vor Ort.

Azad Abul Kalam, Actionaid Bangladesch

Dabei zeigte der französische Journalist Olivier Cyran in einer Reportage auf, dass es im Geschäftsleben Bangladeschs nicht ohne einflussreiche Regierungsmitarbeiter geht. Das Land belegt nicht umsonst im Korruptionsindex (2018) Platz 149 von 180 Ländern, und so überrascht es nicht, dass Bangladesch das Land auf der Erde ist, mit der aktuell höchsten Wachstumsrate an Superreichen.

Doch eine Zahl zeigt, dass es in Bangladesch erst anfängt, interessant für die westliche Wirtschaft zu werden: Kommen im benachbarten Indien jeden Tag 73.632 Fahrzeuge neu auf die Straße, sind es in Bangladesch gerade mal 63.

Kein Wunder, dass Autokratin Sheikh Hasina bei ihrem Deutschlandbesuch im Februar besonders freundlich empfangen wurde. Siemens konnte sich schon mal eine Beteiligung am Bau eines 2,8 Milliarden teuren Kraftwerks sichern. Die deutsche Firma Verido entwickelt gerade für Bangladesch ein elektronisches Passsystem. Dass die Europäische Union ihre Drohung wahr macht und Bangladesch bei weiteren Menschenrechtsverstößen mit Strafzöllen belegt, braucht die Autokratin so kaum zu befürchten.

In Dhaka laufen Füßgänger sogar auf den Schienen. Foto. Gilbert Kolonko

In Dhaka herrscht schon ohne deutsche Autos ein so großes Verkehrschaos, dass täglich tausende Fußgänger lieber auf den Eisenbahngleisen laufen - auch die vorbeifahrenden Züge sind "leicht" überfüllt. Um das Chaos einzudämmen, baut die Regierung gerade die erste U-Bahn des Landes. "Doch auch die wird nur kurzfristig Erleichterung bringen", sagt Wirtschaftsexperte Monover und fügt hinzu:

Alle wichtigen Regierungsinstitutionen sind in Dhaka. Alle großen Universitäten und ebenso alle wichtigen Krankenhäuser. In Bangladesch ist alles auf Dhaka zentralisiert und daran wird sich auch nichts ändern. Die einflussreichen Grundstücksbesitzer werden aus Profitgier verhindern, dass endlich dezentralisiert wird und das ganze Land nachhaltig entwickelt. So wird die U-Bahn, so lobenswert das Projekt auch ist, noch mehr Menschen nach Dhaka locken.

Monover Mostafa

Und die brauchen Wohnungen, und dafür braucht es Ziegel, und die werden in einem Kreis aus Ziegeleien um die Hauptstadt mit Kohle gebrannt. Sie sind dafür mitverantwortlich, dass Dhaka zu den Städten mit der schlimmsten Luftverschmutzung der Erde gehört. Was den Energiehunger des Landes betrifft, plant die Regierung bis 2030 die Kapazitäten zu verdoppeln - 50 Prozent der Energie soll dann aus Kohle gewonnen werden (momentan sind es nicht einmal 10 Prozent).

In Hazaribagh ist es besser geworden, doch das Geschäft mit dem giftigen Tierfutter geht weiter. Foto: Gilbert Kolonko

Dass das Wirtschaftswachstum in Bangladesch geholfen hat, den Hunger zu besiegen, ist unbestritten. "Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben uns vor 30 Jahren einen Weg gezeigt, wie wir den Hunger im Land bekämpfen können: Indem wir uns selber aufessen und unserer korrupten Elite wie den westlichen Konzernen die besten Stücke abgeben", kommentierte der Menschenrechtsaktivist Hasan Mehedi 2018 das seit 25 Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum in Bangladesch.

"Denn der Preis für dieses 'Wachstum' ist die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen durch Billigindustrien für den Export", fügt er erklärend hinzu (siehe: Bangladesch: Der Mensch frisst sich selber auf). Auch ein Jahr später lautet das Fazit: Der Mensch frisst sich weiter selber auf.

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