Bayern: Beckstein musste Stoibers Scherbenhaufen zusammenfegen

Dr. Günther Beckstein bei einem Diskussionsabend des RCDS in Würzburg. Bild: Christian Horvat / Public Domain

Bayern-Saga: Wie man am eigenen Erfolg scheitert - Teil 11

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Edmunds Scheinblütenträume

Die Laufzeit des langjährigen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Rüdiger Rudi Stoiber währte von 1993 bis 2007. Sein neoliberal-autoritärer Regierungsstil mit Spar- und Wettbewerbswut, Vernachlässigung des ländlichen Raumes, Desinteresse an den Problemen der Krankenhäuser, erzürnenden Eingriffen in die Gymnasien, missratenen Technoprojekten und einer in der Fachöffentlichkeit zu Recht belächelten "Expertenkommission" für die Zukunft Bayerns erwies sich nur deshalb nicht schon von Anbeginn an als Rohrkrepierer, weil dieser Regierungsstil in über einem Jahrzehnt mit "Wachstum" praktiziert wurde.

Nachdem sich in den 1980er Jahren die bayerische Wirtschaft ebenso wie diejenige Westdeutschlands insgesamt deutlich abgeschwächt hatten, brachten die "Wiedervereinigung", der Zerfall des Sozialistischen Lagers, die Osterweiterung der Europäischen Union und ebenso die Einführung der Eurowährung ein Boomjahrzehnt für das Exportland Bayern mit sich. Das Land war vom Rande Kapitaleuropas in dessen Zentrum gerückt.1

Dank später Industrialisierung und eines geringeren Anteils traditioneller Industrien konnten auch der Dienstleistungssektor und hier vor allem der Finanzdienstleistungssektor in Bayern, bevorzugt in München-Oberbayern, besonders stark wachsen. Deregulierung und europäischer Binnenmarkt befeuerten diese Entwicklung, deren Krise sich dann aber ein knappes Jahrzehnt nach dem Deutschland- und Europaboom als schwere Bankenkrise nicht nur in Bayern zeigte.2 Der Finanzkapitalismus war an seine Grenze gestoßen.3

Ministerpräsident Stoiber, zeitweilig auch als Syndikus der Lotto-Toto-(!)Vertriebsgemeinschaft Bayern und Kurator der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft tätig, aber ansonsten ökonomisch ahnungslos, hatte eigentlich nur "Schwein gehabt", dass die Landtagswahlen in Bayern auf das Jahr 2003 fielen, also in den Ausklang einer Boomphase. Als Spitzenkandidat erreichte er damals mit seiner Partei (CSU) das beste Ergebnis, das je bei einer Landtagswahl in der Bundesrepublik erzielt worden war.

Zwar hatten der Landesrechnungshof, Wirtschaftsgeografen, Regionalökonomen etc. Stoibers Spar-, Privatisierungs- und Wettbewerbsmonomanie schon längere Zeit scharf kritisiert4 - die damals tatsächlich noch sehr viel einfältigeren und gutgläubigeren Wähler hatten diese Kritik aber gar nicht mitbekommen und hätten sie wohl auch gar nicht verstanden.

Noch bevor sich Ministerpräsident Stoiber dann am 30. September 2007 wegen abnehmendem Rückhalt in seiner Partei und zunehmender Ablehnung in der Öffentlichkeit von seinem Präsidentenamt lossagte und nach Brüssel entschwand, hatte die damals noch kritische Süddeutsche Zeitung mit Stoibers "Politikstil" abgerechnet5:

…er feiert sich als Garant haushaltspolitischer Solidität - tatsächlich war es seit 1993 seine Politik, Staatsvermögen zu verkaufen, mit dann prallgefüllten Hosentaschen übers Land zu fahren und Geld zu verteilen. Diese Landpartien nannte er "Offensive Zukunft Bayern" oder "High-Tech-Offensive"…2004 schrieben die ORH-(Oberster Rechnungs-Hof)Prüfer, Stoibers Privatisierungen bestünden vor allem darin, ohnehin geplante und notwendige Investitionen als Offensive zu verkaufen, um das so freiwerdende Geld im Haushalt für den laufenden Betrieb zu verwenden. Diese bewährte Taktik verfolgt Stoiber…wieder. Stoibers Bilanz sieht so aus:1994 hatte der Freistaat Schulden von 14,9 Milliarden Euro, heute sind es 23,3 Milliarden Euro…. Ganz gleich, ob Edmund Stoiber 2008 noch einmal antritt oder nicht - seine Art Politik zu betreiben ist am Ende.

Kassian Stroh in der Süddeutschen Zeitung

SPD-Schröder als Stoiber-Helfer

Stoiber hatte aber nicht nur in der wirtschaftlichen Wachstumsphase zwischen "Wiedervereinigung", EU-Osterweiterung und Euro-Einführung bis zur Banken- und Finanzkrise seine reichlich dubiose Wirtschaftspolitik unerkannt und ungehindert betreiben können. Vor allem auch die brutal arbeitnehmerfeindliche "Sozial"-Politik der Rot-Grün-Regierung in Gestalt der neuen Hartz IV-Bestrebungen ließ den Anschein entstehen, die Christlich-Sozial-Regierung Bayerns sei eine gute Lösung.

Und noch in einer anderen Weise funktionierte die schon Jahrzehnte alte faktische Großkoalition zwischen den so genannten "Volksparteien" in Bayern CSU und SPD. Stoiber konnte nicht nur seinen das Land Bayern in Wachstums-Cluster und Abstiegs-Zonen6 spaltenden Privatisierungs- und Konkurrenz-Rigorismus hinter den sozialen Gemeinheiten des Zigarren-Kanzlers Schröder und des Taxi-Professors Fischer verbergen. Auch die schwerwiegenden Kollateralschäden des in Bayern boomenden Finanz-, Export- und Immobilienkapitalismus landeten bei den Sozialdemokraten, sprich den SPD-Bürgermeistern der Clusterzentren München und Nürnberg. Wohnungsmangel und Mietenexplosion sind auch Symptome des finanzkapitalistischen Spekulations-Virus. Aber wenn deren erfolglose Bekämpfung bei sozialdemokratischen Bürgermeistern landet, sind diese dann die Dummen.

Gerade mit Immobilienspekulationen der bayerischen Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft (LWS) versuchte Edmund Stoiber in den Jahren nach der deutschen Einheit zusätzliche Millionen für seine "Offensive Zukunft Bayern" zu beschaffen: Der Versuch endete als Scherbenhaufen, d.h. mit einem Verlust für die halbstaatliche LWS in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro.