Bayern: Beckstein musste Stoibers Scherbenhaufen zusammenfegen

Seite 2: Braver Soldat Beckstein

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Die Diagnose der Süddeutschen Zeitung, die Art des zurückgetretenen Edmund Stoiber, Politik zu betreiben, sei "am Ende", hat sich im Jahre 2008 bei den bayerischen Landtagswahlen mehr als bestätigt.

Hatte die CSU bei den Landtagswahlen von 2003 noch enorme 60,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können, so ließen ihr das Stoiber-Desaster der Jahre 1993 bis 2007 bei den Landtagswahlen von 2008 nur noch klägliche 43,4 Prozent der Stimmen übrig.

Edmund Stoiber bei einer Wahlkampfveranstaltung in Würzburg (2005). Bild: Christian Horvat / Public Domain

Die Konzentration der CSU-Verluste auf Oberbayern mit München einerseits, Niederbayern und die Oberpfalz andererseits7 , legt die Hypothesen nahe, die sich dann auch bei der Landtagswahl von 2018 mit den hohen Gewinnen der Grünen gerade in Oberbayern und den hohen Gewinnen der AfD in Nordostbayern verdeutlichten.

Wirtschaftswachstum und Sozialwandel in Oberbayern mit München entzogen dort den herkömmlichen "Volksparteien" der CSU und später auch der SPD die Basis. Die jahrzehntelange Vernachlässigung Nordostbayerns wurde mit einer Abwendung von der CSU und Hinwendung zuletzt zur AfD quittiert.

Ohne Zweifel beschädigte das Stoiber-Chaos vor allem des Jahres 2007 den von der CSU-Landtagsfraktion bestimmten Stoiber-Nachfolger als Ministerpräsident Bayerns Dr. Günther Beckstein. Als CSU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2008 durfte der fränkisch-protestantische Pflichtpolitiker Beckstein dann den Hagel der Stimmkreuze für andere Parteien aushalten, der eigentlich für Edmund Stoiber gedacht war.

Allerdings hat auch Günther Becksteins Sicherheits- und Ordnungsrigidismus, den er als jahrelanger Innenminister Bayerns im Kabinett Stoiber praktiziert hat, seine Beliebtheit nicht unbedingt gefördert. Im Zusammenhang der erfolglosen Fahndung nach den Tätern der fünf NSU-Morde in Bayern wurde Beckstein zudem Bagatellisierung vorgeworfen.

Gleichwohl hat Nachfolgerministerpräsident Beckstein noch ein paar Monate vor der Landtagswahl eine Moderation der durch Privatisierungsexzesse und Technomonströsität charakterisierten Stoiberschen "Zukunftsoffensive" verkündet. Er sah vor, die zunächst 490 Millionen Euro, die für das Transrapidprojekt in den Metropolraum München hätten bezahlt werden sollen, deutlich dezentraler auf acht Forschungs- und Universitätsstandorte gerade auch in Nordostbayern zu verteilen.8 Das gescheiterte Transrapidprojekt zwischen Großflughafen Erding und Zentrum München ersparte somit immerhin weitere fragwürdige Privatisierungen und stärkte die Peripherie.

Die Süddeutsche Zeitung nannte Beckstein daher zutreffend einen "maßvolleren Stoiber". (Kassian Stroh)

Die zur Reparatur der Stoiber-Schäden erforderliche wirtschaftspolitische Kompetenz vermochte allerdings der ebenfalls jurastudierte Günther Beckstein auch nicht aufzuweisen. Als langjähriges Mitglied des Verwaltungsrates der mehrheitlich dem Freistaat Bayern gehörenden Bayerischen Landesbank genehmigte Beckstein eine Reihe von unternehmerischen Fehlentscheidungen, die allein im Falle der Hypo Group Alpe Adria etwa 3,7 Milliarden Euro Verluste verursachten.

Für eine weniger lautsprecherische und dafür leutenahere Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik als während der Ära Stoiber - hierfür reichte die vor allem protestantisch-fränkische Persönlichkeit des designierten und dann gewählten neuen Ministerpräsidenten Beckstein. Für mehr reichte sie nicht. Noch während des Landtagswahlkampfes bereiste Beckstein die bayerischen Regionen, um die trotz Finanzkrise verbesserte Arbeitsmarktlage vor Ort vorzustellen und zu loben.9

Beckstein bemühte sich in seiner etwa einjährigen Amtszeit von 2007 bis 2008 den in den Printmedien zunehmend diskutierten Umstand; dass Bayern ein "Zwei- Klassen-Land" 10 werde, zu widerlegen. Wohlstand, Wachstum und selbst höhere Lebenserwartung vor allem in München Oberbayern, schlechtere Lebensbedingungen vor allem in Nordostoberbayern: Dies thematisierte u. a. die Süddeutsche Zeitung im Zeitraum der bayerischen Landtagswahlen vom Herbst 2008 mehrfach und großseitig.11

Schon zwei Jahre vorher, verstärkt durch die breite Kritik am metropolistischen Zukunftsgutachten, hatte sich in der bayerischen Öffentlichkeit eine lebhafte Debatte über die Vernachlässigung der überwiegend peripher-ländlichen Räume Bayerns ergeben. Dieser Debatte konnte sich selbst der an diesem Thema desinteressierte Edmund Stoiber nicht entziehen und erklärte daraufhin den "Ländlichen Raum" zum Thema.12 Es blieb, wie zu erwarten, bei leerem Gerede.