Bayern: Beckstein musste Stoibers Scherbenhaufen zusammenfegen
Seite 3: Altlast: Kinder-Gesundheitsarmut
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- Braver Soldat Beckstein
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Eine dominierende Sprechblase bei öffentlichen Auftritten oder anderen Gelegenheiten zu Äußerungen war in der Ministerpräsidentenzeit des jurastudierten Edmund Stoiber die "Zukunftsoffensive". Gemeinhin wird im Zusammenhang von Zukunft gerne auch davon gesprochen, dass Kinder oder "die" Kinder unsere Zukunft seien. Diesen Aspekt hat Stoiber, wie das Beispiel seiner misslungenen Eingriffe in die Gymnasialausbildung beweisen, allerdings sehr eng geführt auf die zukünftige wirtschaftliche Verwertbarkeit der Kinderbevölkerung bezogen.
Die Gesunderhaltung oder gar ein glückliches Aufwachsen der Kinder in allen Teilen Bayerns haben den Ministerpräsidenten während seine langjährigen Amtszeit wenig oder gar nicht interessiert.
Der Paritätische Gesamtverband (DPWV) hat damals nachgewiesen, dass sich die ziemliche Schlusslichtposition Bayerns unter den gesamtdeutschen Flächenländern sowohl hinsichtlich der Ausstattung mit Kinderkrankenhaus-Betten wie auch mit Kinderarzt-Praxen in der Zeit von Edmund Stoibers Ministerpräsidentenschaft um keinen Deut verbessert hat.Vor allem aber, und das macht das Ergebnis der Studie des Paritätischen Gesamtverbandes so niederschmetternd, sind gerade solche Teilgebiete Bayerns mit Kinderkrankenhaus-Betten und Kinderarzt-Praxen weit unterdurchschnittlich versorgt, die auch Nachteile hinsichtlich Arbeitsplatzqualität und Kaufkraft bzw. Überhänge beim Bezug von Arbeitslosengeld II aufweisen.13
Eine Auswertung der hier schon häufiger zitierten Studiengruppe für Sozialforschung e. V. hat für das Jahr 2000, also die Mitte der Ministerpräsidentenschaft Stoibers, eine krasse Fehlverteilung der Krankenhausbetten für Kinderheilkunde in Bayern ergeben.
Während die Kernstädte damals einen Anteil von 13,2 Prozent an allen Einwohnern bis unter 15 Jahre aufwiesen, verfügten diese Kernstädte über einen Anteil von 6,4 Prozent an allen Krankenhaus-Betten für Kinderheilkunde an Bayern. Die Ländlichen Kreise hingegen, wiewohl sie über einen Anteil von 17,3 Prozent an allen Einwohnern bis unter 15 Jahre aufwiesen, verfügten nur über einen kläglichen Anteil von 1,9 Prozent aller Krankenhaus-Betten für Kinderheilkunde in Bayern.14
Vielleicht hätte Günther Beckstein, wenn er länger Ministerpräsident Bayerns gewesen wäre und von dieser Altlast erfahren hätte, an dem beschriebenen Missstand etwas geändert. So aber blieb dieser Scherbenhaufen aus der Stoiber-Ära ungefegt.
Altlast: Geringe Rentnerkaufkraft
Für den Übergangsministerpräsidenten Günther Beckstein wäre wohl die pädiatrische Unterversorgung der Kinderbevölkerung in den Peripherien Bayerns inhaltlich nachvollziehbar und landespolitisch umgestaltbar gewesen. Becksteins Amtszeit war aber viel zur kurz, um diesen weiteren Scherbenhaufen Stoibers zu entfernen.
Ein sehr viel schwierigeres Altlasten-Thema sind die in Bayern im Bundesvergleich insgesamt besonders niedrigen Renten und dabei die Häufung der Hochrenten in den Metropolräumen München und Nürnberg bzw. die Kennzeichnung der Peripherieräume in Bayern durch Niedrigstrenten gerade in den anderthalb Jahrzehnten Regierungszeit des Edmund Rüdiger Rudi Stoiber.15
Während der Ministerpräsidentenschaft Stoibers, vom Anfang der 1990er Jahre bis zur ersten Hälfte der 2010er Jahre, fanden auf der Bundesebene wiederholt heftige Auseinandersetzungen um letztlich eine Reduzierung der Rentenleistungen an die Rentenbezieher zum Zwecke einer Sistierung der Rentenbeitragsforderungen an die Unternehmen statt. Genau betrachtet stellten die verschiedenen Konzepte der so genannten "Volksparteien" zur Renten - "Reform" nichts anderes dar, als eine publizistisch-mediale Verhüllung nachträglicher Lohnsenkungen durch Leistungsverweigerung. Bekanntlich sind Rentenzahlungen nachträgliche Lohnzahlungen. Rentenverschlechterungen sind daher staatlich-politische nachträgliche Lohnkürzungen.
Die hier schon mehrfach zitierte Münchner Studiengruppe für Sozialforschung e. V. hatte bereits wenige Jahre vor Stoibers Amtsantritt in einer Untersuchung aufgezeigt, dass die damals diskutierten bundesweiten Rentenkürzungen vor allem in Nordbayern die Rentnerkaufkraft absenken und damit die dortigen Wirtschaftsprobleme erhöhen würden.16
Der Sozialverband VdK Bayern stellte diesen Aspekt der hohen Bedeutung der Rentnerkaufkraft gerade für die weitere Entwicklung peripherer Regionen in einem seiner Schloss Tutzinger Foren schon 1988 besonders heraus.17
Bei einem ernsthaften und sachkundigen Engagement Stoibers für die wirtschaftlich-gesellschaftliche "Zukunft" Bayerns wäre wegen des enormen Volumens der Finanzströme der Gesetzlichen Rentenversicherung und deren Bedeutung für die Kaufkraft und die Wirtschaftslage in den Regionen ein Bayernkonzept ein "Muss" gewesen. Nichts dergleichen tauchte jedoch in der Rentendiskussion der 1990er Jahre auf.18
Stoiber waren offenbar seine Cluster- und Technospielereien wichtiger als eine fundamentale Stärkung der Potentiale der in Bayern überwiegenden Peripherie, aus der heraus in den Nachkriegsjahrzehnten ein erheblicher Teil der Industrialisierung Bayerns gekommen ist.
Unabhängig davon, dass Stoibers Nachfolger Beckstein als Juristen und langjährigem Innenminister die fachlichen Voraussetzungen für eine föderales, raumgerechtes Rentenkonzept gefehlt hätten - allein die Kürze seiner Amtszeit hätte es gar nicht erlaubt, hier etwas zu verbessern.
Dass Stoibers Renten-Scherbenhaufen während seiner Amtszeit besonders hoch geworden war, zeigt ein großseitiger Bericht der Münchner Abendzeitung aus dem Jahre 2010 mit der Überschrift "Bayerns Rentner sind am ärmsten".19
Altlast: Steuerverluste durch Exportüberschüsse
Die bayerische Staatsregierung betont seit langen Jahren, gerade auch nach dem eher unrühmlichen Ende der Ära Stoiber mit ihrem 10 Milliarden Euro schweren Debakel der Bayerischen Landesbank, die zur Hälfte im Staatsbesitz ist,20 ihre "Soliden Finanzen" und ihre enorme "Exportquote".21
Die Behauptung solider Finanzen ist nicht zutreffend: Der bayerische Staatshaushalt weist jedenfalls nach dem Amtsantritt Stoibers eine deutlicher zunehmende Verschuldung auf, als dies für die Vorgängerregierungen galt. Zutreffend ist, dass der bayerische Außenhandel, vor allem die deutlich über die Einfuhren gestiegenen Ausfuhren, sprich: der Exportüberschuss nach Stoibers Amtsantritt, kräftig zugenommen hat.
Typisch für Stoibers ökonomischen Dilettantismus ist dabei, dass er, selbst wenn es ihm jemand zu erklären versucht hätte, in seinem juristischen Kästchendenken niemals hätte akzeptieren können, dass im deutschen regulierten Kapitalismus Exportüberschüsse zugleich Steuermindereinnahmen bedeuten. Der Grund: Exporteinnahmen bleiben weitgehend mehrwertsteuerfrei. Soweit die Exporteinnahmen die mehrwertbesteuerten Importausgaben übersteigen, ergibt sich ein Mehrwertsteuerminus aus dem von Stoiber zur Monstranz gemachten Exportüberschuss.22
Die bereits häufiger zitierte Münchner Studiengruppe für Sozialforschung e. V. hat in einer Untersuchung im Jahre 2009 für die zweite Hälfte von Edmund Stoibers Regierungszeit den mit den hohen Exportüberschüssen Bayerns allein für die Jahre 2000 bis 2007 verbundenen Mehrwertsteuerverlusten mit bald 26 Milliarden Euro beziffert.
Mehrwertsteuer-Lücke beim "Exportland"*) Bayern 2000-2007 | ||
Jahr | Exportüberschuss1) in Mrd. EUR | Umsatzsteuerverlust in Mrd. EUR |
2007 | +28.694 | -5.4512) |
2006 | +24.432 | -3.909 |
2005 | +27.649 | -4.423 |
2004 | +23.518 | -3.762 |
2003 | +19.213 | -3.074 |
2002 | +16.746 | -2.679 |
2001 | +8.535 | -1.365 |
2000 | +7.844 | -1.255 |
*) Der bayerische Wirtschaftsminister Zeil am 15.03.2009 1) Export abzüglich Import 2) Ab 2007 gilt ein Mehrwertsteuersatz von 19% gegenüber 16% in den Vorjahren |
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Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, 19.06.2009; und eigene Berechnungen. |
Stoibers Sparfuror, Privatisierungswahn und Technooffensive sollten die Exportwirtschaft Bayerns besonders durchsetzungsfähig machen. Das hat teilweise funktioniert. Bei der Finanzindustrie in Gestalt der Bayerischen Landesbank hat allerdings der globale Kapitalexport und die globale Finanzspekulation in einem Fiasko geendet.
Zum Edelkarossen-Exportboom Bayerns könnte man salopp formulieren: Die in Bayern vergammelnden Schulhäuser und die für die Schulkinder fehlenden Digitalien, weil dafür u.a. die Mehrwertsteuereinnahmen fehlen, fahren jetzt als Audi- und BMW-SUV’s europaweit und international auf den Straßen der Länder, in die sie erfolgreich exportiert worden sind.
Albrecht Goeschel, Jahrgang 1945, lehrte an Hochschulen und Universitäten im In- und Ausland Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften. Lange Jahre Wissenschaftlicher Direktor der Studiengruppe für Sozialforschung e. V. Mitglied des Präsidiums der Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale. Berater von Ministerien, Organisationen und Unternehmen in Deutschland, Italien, Russland und Angola.