Bayern: München als "Heimliche Hauptstadt" des Willy Brandt
Bayern-Saga: Wie man am eigenen Erfolg scheitert - Teil 3
In der Wirtschaftsgeschichte West-Deutschlands werden vom Kriegsende bis zur so genannten Wiedervereinigung mehr als ein halbes Dutzend Konjunkturzyklen identifiziert, deren Wachstumsraten, sprich: Kapitalakkumulation von anfänglich 8,3 Prozent auf endlich nur noch 1,6 Prozent nach dem Einheitsboom abgesackt sind.1
Auffällig unterbrochen wurde diese Talfahrt durch eine eigenartige Wachstumsspitze in den Jahren 1968 bis 1975 mit 3,8 Prozent. Der Wirtschaftswissenschaftler Elmar Altvater stellt in einer Analyse dieses Ausnahmezyklus dar, dass die westdeutschen Exportkonzerne die Krise von Mitte der 1960er Jahre durch eine noch offensivere Exportstrategie bewältigen wollten und bewältigt haben. Hierbei half ihnen die damalige Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) um Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich. Ebenso half ihnen die Politik der "Lohnzurückhaltung", wie sie damals vor allem von der Sozialdemokratie forciert worden war.2
Damit wurde diese Wachstumsphase der 1968er Jahre aus Exportboom mittels Lohndumping aber auch zu einem gesellschaftspolitisch höchst explosiven Abschnitt in der Geschichte West-Deutschlands. Mit den so genannten "Wilden Streiks" von 1969 und 1973 verweigerten weite Teile der Arbeitnehmerschaft den Gehorsam gegenüber den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. Diese hatten im Rahmen der so genannten "Konzertierten Aktion" mit Kapital und Politik eine "Lohnmoderation" vereinbart. Der lang dauernde Streik der damaligen "Öffentliche Dienste-Gewerkschaft (ÖTV) war ein Höhepunkt dieser Lohnkonflikte.
Paralleluniversen: Bildungsbürgertum neben Exportwirtschaft
In genau diesen Jahren der untypischen Wachstumsspitze der 1968er Jahre zeigte sich die schon in den Vorjahren beschleunigte Entkoppelung von Gesellschaftsgliederung und Lebensverhältnissen einerseits und Wirtschafts- und Arbeitswelt im restaurativen West-Deutschland andererseits.
Es waren die studierenden Kinder des Bildungsbürgertums, die sich zunächst mit ethischem und moralischem Impetus gegen das privilegierende, aber insgesamt defizitäre und mehrheitlich diskriminierende Bildungs- und vor allem Hochschulsystem empörten. Stichwort war die "Bildungskatastrophe" (Georg Picht). Ebenso waren es die von liberalen Professoren sezierten Grundrechtseinschränkungen der jahrelang von den Parlamentsparteien vorbereiteten und dann 1968 verabschiedeten "Notstandsgesetze", die Protest provozierten. Vor allem aber hat das steigende Entsetzen über den völkermörderischen Vernichtungskrieg der Vereinigten Staaten in Südostasien zum Anwachsen der "Außerparlamentarischen Opposition" (APO) in den sechziger Jahren geführt.
Aus heutiger Sicht des Bachelor-Discountstudiums, des Hartz IV-Terrors, der Renten-Armut, der Gesundheits- und Pflege-Ökonomisierung, der Plünderung Griechenlands, der Finanzkrise etc. fällt die noch recht schwache konzeptionelle Durchdringung von Politik und Ökonomie in der Protestbewegung der 1968er Jahre ins Auge. Dies gilt insbesondere für ihre "kulturrevolutionäre" Ausprägung in Gestalt der "antiautortären Bewegung" mit den Ikonen West-Berliner "Kommune I" und Münchener "Frauen-Kommune".
Willy Brandt: Der Politik-Houdini aus West-Berlin
Seine prominente Rolle als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und als zunächst Regierender Bürgermeister von West-Berlin, dann später als Vizekanzler der Großen Koalition der 1960er Jahre und zuletzt als Bundeskanzler West-Deutschlands, erlaubte Willy Brandt (geb. Karl Frahm), sich als "Hoffnungsträger" einer Modernisierung, ja: Demokratisierung West-Deutschlands zu inszenieren.
Der eigentliche Inhalt vor allem der Bildungsreformen unter der Kanzlerschaft von W. Brandt bestand allerdings vor allem darin, den Rückstand der westdeutschen Wirtschaft auf dem Gebiet des "technischen Fortschritts" aufzuholen und die "technologische Lücke" im Verhältnis zu den anderen kapitalistischen Exportwirtschaften zu schließen.3 Diese Hinter- und Beweggründe der Reformpolitik waren der Mehrheit der Protestierenden der 1968er Jahre so wenig geläufig wie die Tatsache, dass ihr Hoffnungsträger Willy B. ein von den USA seit den 1950er Jahren finanzierter Einflussagent innerhalb der Sozialdemokratie West-Berlins gewesen sein soll (Mehr Demokratie wagen …, USA sponsorten Willy Brandt).
Das neue politische Doppelspiel Willy Brandts unter Ausnutzung der antiautoritären Protestbewegung hat er selbst nach der Formel: "Mehr Demokratie wagen mit Berufsverboten für Radikale" praktiziert. Hierbei gab es allerdings ein politisch-psychologisches Problem für den erklärten "Kennedy-Imitator" Brandt. Noch in seiner Amtszeit als Regierender Bürgermeister von West-Berlin hatte sich Willy Brandt durch Staatsempfänge für international als Wirtschaftsgangster und Mörder von Befreiungskämpfern wie den Kupfer- und Uranpräsidenten von Kongo-Katanga und späteren Kongo-Ministerpräsidenten Moise Tschombe im Jahr 1964, bei der wachsenden Protestbewegung diskreditiert.
Der damals prominente Sprecher der APO, Rudi Dutschke, bezeichnete die Berliner Anti-Tschombe-Demonstrationen sogar als den eigentlichen Auftakt der Bewegung.4 Auch andere Diktatorenbesuche in West-Berlin wie der Besuch des persischen Erdölpotentaten Reza Schah Palavi wurden noch mit dem Namen Brandt verbunden - trotz seines zwischenzeitlichen Abfluges in das Bonner Kabinett.
Für seine politische Houdini-Nummer brauchte Brandt also eine andere Bühne und vor allem andere Kulissen als das von Rentnerbevölkerung, Schrumpfwirtschaft, Spießermoral, Hetzmedien und Prügelpolizei infizierte West-Berlin mit seiner gleichzeitig besonders radikalen Protestbewegung. Demgegenüber war die "Heimliche Hauptstadt München" mit ihren alltagsideologischen Mythen wie "Lebensart", "Freizeitwert" und "Toleranzprinzip" ein ideologisch-mediales Konstrukt5, das sich passgenau in die soziale und politische "Reform"-Rhetorik der nach Übernahme der Regierung in Bonn hechelnden Sozialdemokratie einfügte. Auf einer solchen ideologischen Basis konnte die Sozialdemokratie Ende 1966 dann problemlos auch eine Große Koalition mit der Union riskieren.
München war wohl der ideale Standort für die Inszenierung der Sozialdemokratie als "Reform"-Partei mit ihrem "Reform"-Kanzler. Der Stadtforscher Peter Iblher hat 1970 einen Vergleich zwischen den west-deutschen Großstädten vorgelegt. Er hat dabei den jeweiligen Beitrag der Großstädte zu den wichtigsten Funktionsbereichen verglichen: Politik, Wirtschaft sowie Integration der Gesellschaft und der Gesellschaftsmitglieder. Nach den Untersuchungen von Iblher verfügte damals München mit seinen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen im Vergleich zu den anderen Großstädten West-Deutschlands über das umfassendste Potential an "Integrationseinrichtungen" in diesem Sinne.6 München lag hier deutlich vor Hamburg und Köln.
Hinzu kam, dass mit der "Abendzeitung" und der "Süddeutschen Zeitung" München damals ein deutlich liberal-kritisch profilierter Medienstandort war. Bezogen auf eine liberal-kritische "Massenbasis" für die "Reform"-Politik Willy Brandts war München in den sechziger und siebziger Jahren daher tatsächlich Willy Brandts "Heimliche Hauptstadt" - wie München in diesen Jahren medial apostrophiert wurde.
Eine solche Auffangstellung hatte Brandt dringend nötig, nachdem er als Außenminister der Großen Koalition den Vietnam-Krieg rechtfertigte und gelegentlich eines Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die Protestbewegung als "Pöbel" abqualifiziert hatte.
"Münchner Linie": Brandts Polizeistrategie gegen die Protestbewegung
In seinen zahlreichen Äußerungen zum Umgang des parlamentarisch-politischen Systems (BRD) mit der außerparlamentarischen Opposition (APO) hat Willy Brandt immer wieder gefordert, "Gewalttätigkeiten im Keim zu ersticken". Er meinte damit Gewalttätigkeiten von Seiten von Demonstranten.
Hinter dieser politischen Formel stand das strategische Konzept, möglichst viele Sympathisanten der APO als Nachwuchs für das Parteiensystem, vor allem für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), zu gewinnen. Dazu diente ideologisch eine Dauersuada angeblicher "Reformen", politisch-bürokratisch ein präventiver Einsatz von Staatsanwaltschaften und Gerichten gegen die Vorbereiter und Anführer von Protestaktionen.
Massive Polizeiaktionen erst gegen bereits in Gang befindliche Demonstrationen bargen demgegenüber das Risiko einer Solidarisierung Dritter und von Ansehensverlusten für die Sozialdemokratie und den von ihr gestellten Vizekanzler und kurz darauf Kanzlerkandidaten. Diese Spaltungsstrategie hat Willy Brandt mehrfach vertreten und eine entsprechende "Reform" auch des Polizeieinsatzes gefordert. Mit der stumpfsinnigen halbmilitärischen Berliner Polizeitruppe mit ihrem berüchtigten Prügelkommandeur "Leberwurst-Duensing" war das aber keinesfalls zu machen.
Ganz anders im Falle des Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber, seiner psychologischen Berater und der auf Deeskalation einerseits, Selektivverhaftungen andererseits trainierten Polizeikräfte. München hatte im Sommer 1962 eine für die Freizeit-, Urlaubs-, Kultur- und Kunststadt desaströse polizeiliche Prügelorgie von fünf Tagen erlebt, die so genannten "Schwabinger Krawalle". Der damalige Einsatzleiter und spätere Polizeipräsident Münchens, Manfred Schreiber, zog allerdings die Lehren aus diesem monströsen Polizeieinsatz u.a. von Reiterstaffeln durch die Straßenkaffees und Eisdielen der Kultmeile Leopoldstraße. Schreiber engagierte den ersten Polizeipsychologen Deutschlands und erarbeitete die "Münchner Linie" von Deeskalation und Strafselektion als Blaupause für Brandts Spaltungsstrategie gegen die Protestbewegung.
Allerdings wurde die damals intellektuell schon reichlich herunter gekommene Sozialdemokratie in Sachen Polizei ein Opfer ihrer eigenen ideologisch-propagandistisch aufgebauschten Scheinalternative "Reform" oder "Revolution". Unter den systemkritischen Intellektuellen wurde sehr wohl erkannt, dass die "Münchner Linie" und vor allem die Prosperitätsmetropole München selbst eine andere Art politischer Kritik und Praxis verlangten, als Berlin oder Frankfurt am Main, nämlich "Analyse" und nicht "Reform" oder "Revolution".
Noch 1967 startete die soeben in der Schwabinger Ainmillerstraße etablierte "Studiengruppe für Sozialsozialforschung" die erste gesellschaftswissenschaftliche Analyse der Polizei im bürgerlichen deutschen Staat überhaupt.7
In einer ganzen Reihe von Zeitschriften- und Buchveröffentlichungen wurde analysiert, dass der Verzicht auf das "Bürgerkriegsmodell" und die Verfolgung der "Münchner Linie" bei Protesten nichts weiter war, als ein Reflex der damals vor allem in München scheinbar ungebrochenen Prosperität der Wirtschaft. München wuchs als Tertiär- und Angestelltenwirtschaft, war der begehrteste Wohnstandort West-Deutschlands und hatte schon damals die höchsten Zuzugsraten (Peter Iblher). Dass mit dieser Kritischen Polizeiforschung der Heiligenschein der Brandtschen Spaltungs- und Polizeipolitik gegenüber der Protestbewegung ausgeknipst wurde, hat sich die damals schon borniert-opportunistische Sozialdemokratie erfolgreich selbst erarbeitet.
Osterunruhen 1968: Notwehr gegen Springer-Lügenpresse
Am 11.4.1968 verübte ein rechtsgerichteter Bauarbeiter aus München in Berlin ein Schusswaffenattentat auf den linken, aber auch national gesinnten Vormann der Außerparlamentarischen Opposition, Rudi Dutschke. Dieser Tat war eine jahrelange Hetzkampagne seitens der "Bild"-Zeitung gegen das Attentatsopfer bzw. gegen die außerparlamentarischen Gruppen vorausgegangen. Unmittelbar nach dem Attentat kam es in West-Berlin und in zahlreichen Groß- und Universitätsstädten West-Deutschlands zu massiven Blockadeaktionen von Redaktionen, Verlagsbüros und Auslieferungslagern des Springer-Verlages unter der Parole "Bild schoss mit".
Bis dahin waren die zentralen Themen der Protestbewegung häufig moralisch und ethisch motiviert und bezogen sich auf entlegene Weltregionen. Konflikte mit der Polizei hatten hierbei häufig die Funktion von Ersatzrealität. Bei den Anti-Bildzeitungs-Blockaden hingegen ging es unbestreitbar um die konkrete Notwehrlage (StGB §§ 32-35) einer definierten Menschengruppe gegenüber der publizistischen Gewalttätigkeit des Springer-Konzerns.
In München versagte dementsprechend die neue Polizeitaktik der Deeskalation und Strafselektion restlos. Der dortige Einsatz der Polizei zur Sicherstellung unbehinderter medialer Hetze und Menschenfeindlichkeit endete mit zwei Todesopfern. Auch München war nun keine komfortable Tribüne mehr für die lauwarmen Reden des Herrn Vizekanzlers und Außenministers Brandt. Dieser ließ auch sogleich die Maske fallen und ergriff die Partei des Medien-Konzerns gegen dessen Opfer.
Eine Ironie der Geschichte ist, dass die in den Jahrzehnten seitdem zu Recht zusammen geschrumpfte, aber immer noch mit regierende Sozialdemokratie nebst ihren Systemmedien von ihrer gefährlichen Konkurrenz Alternativepartei und ihrem Umfeld anhaltend mit dem Vorwurf "Lügenpresse" konfrontiert wird.
Olympia 1972: Mit der Schubkraft des Massakers
Trotz seiner Parteinahme für den Springer-Konzern nach den Osterunruhen in München fand Willy Brandt dort mit den Olympischen Spielen recht bald wieder eine neue Bühne. Schon 1963 wollte Brandt die Spiele nach Berlin holen - konnte sich mit diesem Plan jedoch nicht durchsetzen. Umso mehr konnte er sich dann im medialen Vorfeld der "Heiteren Spiele" 1972 in München sonnen. Deren "bunte" Gesamtgestaltung nahm auch ästhetisch den mittlerweile dominierenden "bunten" Neoliberalismus kongenial vorweg.
Im Bundestagswahlkampf 1972 plakatierte W. Brandt den Medienerfolg der Olympischen Spiele für sich mit seinem Portrait unter der Parole "Deutsche - wir können stolz sein auf unser Land". Die Verantwortung für den katastrophalen Ausgang der Geiselnahme während der Spiele überließ Brandt gerne der Stadt München und dem Freistaat Bayern - er nutzte das Massaker als Gelegenheit für einen ersten Bundeskanzlerbesuch in Israel im Jahre 1973.
Mit der Münchner Olympiade wurde es üblich, den von einer internationalen Mafia von Komiteefiguren, Medienkonzernen und Sportbusiness einerseits und erfolgshungrigen lokalen und nationalen Eliten andererseits ausgewählten, besser: preisgegebenen Austragungsorten dreiste Lügengeschichten über den angeblichen Wirtschaftsnutzen Olympischer Spiele aufzutischen. Im Falle Münchens war das die angebliche "Schubkraft" für die endliche Realisierung eigentlich überholter Infrastrukturvorhaben wie etwa den Münchner U-Bahnbau.
Der Sportökonom Holger Preuss konstatiert demgegenüber in seiner politisch-ökonomischen Analyse der angeblichen Nutzeffekte, dass diese allenfalls in Imagegewinn für bestimmte politische Personen und Parteien, in Umsatz- und Gewinnsteigerungen für die Medienbranche und in zusätzlichem Geschäft für die Boden-, Bau- und Gebäudewirtschaft bestehen. Viel bedeutender seien die Schadwirkungen in Form zusätzlicher öffentlicher Verschuldung, eines Immobilienbooms und entsprechender Mietsteigerungen für die Bevölkerungen.8 Die Ökonomen Peter Franz und Franz Kronthaler kommen zu ähnlichen skeptischen Einschätzungen.9
Bis heute gibt es nur eine einzige ernsthafte Analyse der angeblichen "Schubkraft" der Olympischen Spiele von 1972 für die Stadt und Region München, was angesichts ihrer negativen Ergebnisse nicht verwundert. Seit Jahrzehnten herrscht im liberaljournalistischen, linksakademischen und kritischwissenschaftlichen Milieu eine Art mafiöser Olympia-"Omerta" nicht nur gegenüber dem totalen Versagen der Polizei beim Versuch der Geiselbefreiung und ihrem harten Einsatz gegen Anti-Olympiaproteste, sondern vor allem auch gegenüber den Schadfolgen des Olympia-Booms selbst.10 Erst Jahrzehnte nach diesem "Event" wagte sich das vormalige Olympia-Jubelmedium "Süddeutsche Zeitung" mit dem Hinweis auf eine nacholympische "Katerstimmung" hervor.
Statt dessen war es wieder die schon zitierte "Studiengruppe für Sozialforschung", die noch im Jahr 1972 mit zwei Beiträgen zu den Blindheiten und Fehlannahmen der Münchner "Olympia Ökonomie" wie schon im Falle der Münchner Polizeistrategie der Sozialdemokratie erheblich auf die Zehen trat. Die Politik- und Sozialwissenschaftler Günter Nahr und Reinhard Wetter analysierten unter den Überschriften "Mit 'Olympischer Schubkraft' in die Krise" und "Olympia als Fehlinvestition" die Aussichtslosigkeit des typisch sozialdemokratischen Versuchs, durch einen "positiven Schock" und das Hineinpumpen externer Finanzmittel die Probleme des exzessiven Wachstums der Münchner Tertärwirtschaft, des enormen Bevölkerungswachstums und der drängenden Verkehrsprobleme "systemkonform" zu lösen.
Günter Nahr verwies in seinem Teil der Untersuchung vor allem auch auf die zu erwartenden Negativwirkungen des Olympia-Projekts auf die Peripherieregionen Münchens. Sein Koautor Reinhard Wetter thematisierte die zu erwartenden Schadfolgen des olympischen Immobilienbooms für den Münchner Wohnungsmarkt - die heute massiver denn je zu spüren sind.11
Für Willy Brandt waren die "Olympischen Spiele" allerdings ohne Zweifel eine willkommene "Schubkraft" in den Bundestagswahlsieg 1972.
NOLYMPIA und die Kunstakademie München
Unbeeindruckt von den angerichteten Schäden spekulierten die üblichen Olympiaverdächtigen, allen voran der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), 2005 mit einer Wiederholung des Olympia-Business nun als Veranstaltung der Olympischen Winterspiele 2018 bzw. 2022 in München und Oberbayern. Als besonders einfallsreiches Motto hatten sich diese Leute dafür den Slogan "Freundliche Spiele" ausgedacht - so zusagen: "Heitere Spiele - aufgewärmt".
Nicht gerechnet hatte die Olympia-Mafia allerdings mit dem Erinnerungsvermögen der Münchner Bevölkerung und der Aufmerksamkeit der Landwirte in den als Mitopfer vorgesehenen Landkreisen Garmisch-Partenkirchen, Berchtesgaden und Traunstein. Es kam zu einem breiten Protest gegen und einer offenen Sabotage der Olympiapläne unter der Überschrift "Nolympia". Schon 2010 in Vancouver und vor allem 2016 in Rio de Janeiro konnten die so genannten "Olympischen Spiele" nur noch gegen massive Proteste durchgeprügelt werden.
Zum Glück für München und Oberbayern endete der Olympiaantrag für München für die Spiele 2018 mit einer Bauchlandung beim IOC und scheiterte das Vorhaben für 2022 an der Ablehnung durch die Bevölkerung.
Erwähnt werden muss hier die Avantgarde-Rolle der Münchner Akademie der Bildenden Künste beim Aufbau einer "Nolympia"- Stimmung. Dort hatten die Studierenden und Lehrenden im Rahmen des neu durchgesetzten "Projektstudiums" 1971 ein Anti-Olympia-Projekt etabliert. In diesem wurde mit graphischen und anderen Mitteln u.a. die läppisch-heuchlerische "heitere" Spieleästhetik mit ihrer Gallionsfigur, einem Olympiafarben-Waldi, dem öffentlichen Hohn und Spott preisgegeben - in Gestalt eines verdrossen dreinschauend kopulierenden Dackelpärchens vor der Kulisse des Olympiaturmes.
Dank Brandt: München von der "Heimlichen Hauptstadt" zur "Provinz-Hauptstadt"
Im Oktober 1992 verstarb Willy Brandt. Der von ihm jahrzehntelang als Ersatzbühne benutzten "Heimlichen Hauptstadt" München hinterließ er kein besonders erfreuliches Houdini-Erbe.
Brandt war einer der Hauptantreiber des so genannten "Hauptstadtbeschlusses" des Deutschen Bundestags vom Juni 1991. Nach diesem sollte eine Verlegung des Parlaments- und Regierungssitzes nach Berlin erfolgen. Es konnte kein Zweifel bestehen, dass München damit von der "Heimlichen Hauptstadt" West-Deutschlands zu einer Provinzhauptstadt Gesamtdeutschlands zurückgestuft worden war. München sagt: Danke - Willy Brandt!