Bedingungsloses Grundeinkommen - Chaos oder Schlaraffenland?
Seite 2: Wegfall staatlicher Leistungen
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Der Staat verzettele sich in einem unübersichtlichem System aus Zuschüssen von Hartz-IV über Kindergeld, Elterngeld, Bafög bis hin zur Rente. Das geht auch anders, sagt der Berliner Aktivist Ralph Boes, der im vergangenen Jahr öffentlich hungerte, um auf unmenschliche Hartz-IV-Sanktionen aufmerksam zu machen. Ihm zufolge koste das BGE keinen Cent.
Er warnt jedoch davor, über Nacht an jeden 1.000 € auszuzahlen. Dann stünden die Unternehmen still, die Geschäfte wären geschlossen, weil keiner mehr zur Arbeit ginge, glaubt der engagierte Arbeitslose, der für die Durchsetzung der Menschenrechte in den Jobcentern kämpft. Seine Idee: Jeder erhält zunächst einen Betrag von 200 €, der nach einigen Monaten schrittweise um jeweils 200 € aufgestockt wird.
Dieser Betrag ist bereits in Kindergeld, Bafög, Rente, Arbeitslosengeld und Lohnsteuerfreibetrag enthalten, von wo sie jeweils abgezogen werden. Wird auf 400 € aufgestockt, sind diese ebenfalls in den o. g. Leistungen enthalten, außer im Kindergeld. Dafür fallen die für Kindergeld zuständigen Behörden und Gehälter weg, so dass Geld wiederum freigesetzt wird. Das Wohngeld käme dann noch obendrauf. Bei der Auszahlung von 600 € wäre die Sozialversicherung bereits mit drin.
Weil schon in 400 € der Hartz-4-Satz enthalten ist, könnten bei der Auszahlung dieses Betrages alle Jobcenter schließen. Eine Verschlankung des aufgeblasenen Apparates zur Verwaltung der Arbeitslosen würde gewaltige Summen freisetzen. Außerdem überfordere schon heute das wachsende Heer der Arbeitslosen die wenigen Sachbearbeiter (in Berlin früher 6.000, heute 2.000). Ein Drittel sei wegen des hohen Drucks am Arbeitsplatz ständig krank. Um die verbleibenden Arbeitssuchenden könnten sich die Fallmanager endlich verantwortungs- und respektvoll kümmern.
Zudem würden viele Jobs staatlich subventioniert, kritisiert der Mitbegründer der Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen in einem Interview im Mai 2015. So werde zum Beispiel im Ruhrgebiet bis zu 10.000 € für einen Job gezahlt, der gerade mal mit 1.000 € entlohnt wird. Durch eine Streichung derartiger Subventionen wäre zusätzliches Geld übrig. 12.500 € pro Person zahle der Staat jährlich an Sozialleistungen.
Das BGE kostet den Staat nur 12.000 € pro Person und Jahr. Ein Blick in den Bundeshaushaltsplan zeigt, dass für 2016 dem Ministerium für Arbeit und Soziales allein rund 130 Milliarden Euro für Sozialleistungen zur Verfügung stehen
Schwarzarbeit für alle?
Ein anderes Dilemma, dass sich aus Hartz-IV ergibt, ist der Umgang mit der so genannten Schwarzarbeit: Dazuverdientes Geld über 100 € wird vom Amt mit ALG II verrechnet. Warum eigentlich? Wer arbeitslos ist, sieht nicht ein, warum er sich mit Almosen zufrieden geben soll, wenn er Gelegenheit hat, sie aufzubessern.
Außerdem fördert Beschäftigung die sozialen Kontakte. Wer es aber tut, handelt de facto illegal. Mit einem Grundeinkommen wäre dies erlaubt. Auch wer vorher für einen Niedriglohn schuften musste, kann sich dieses Geld dann ganz legal zum BGE oben drauf verdienen. Besonders im Niedriglohnsektor, so Ralph Boes, gehe es darum, die Menschen, vom Druck arbeiten zu müssen, zu befreien, ihnen aber gleichzeitig die Möglichkeit zum Arbeiten zu geben.
Oben genanntes Konzept klingt auf den ersten Blick überzeugend, wären da nicht die zahllosen Randgruppen, die irgendwie durchs Raster fallen: Nicht jeder bezieht Bafög, Rente, ALG, Grundsicherung, Kindergeld oder ein festes Gehalt. Viele Studenten müssen nebenher arbeiten gehen. Kleinstunternehmen und Selbständige genießen keine staatliche Unterstützung. Tausende Menschen leben in Deutschland mit nichts auf der Straße, nicht zu vergessen die Gefängnisinsassen, die durch Steuern mitfinanziert werden. Auch für diese Leute müsste dann ein Grundeinkommen mittels wegfallender Sozialleistungen der anderen mitfinanziert werden.
Verschenkte Milliarden durch unsinnige Subventionen
Der Markt regelt bekanntlich alles. Oder doch nicht? Offenbar können wir uns mit den unbequemen Konsequenzen einer funktionierenden Marktwirtschaft nicht so recht anfreunden. Warum sonst werden jährlich Milliarden Subventionen in umweltschädliche Industriezweige versenkt?
Zum Beispiel in die Stein- und Braunkohleindustrie: 2012 wurde sie EU-weit mit fast 10 Milliarden Euro bezuschusst. Der größte Anteil kam mit 3,1 Milliarden Euro aus Deutschland. Noch 2015 wurde der deutsche Steinkohlebergbau mit rund einer Milliarde Euro direkt subventioniert. NRW gab noch eine halbe Milliarde dazu.
Würde man anstelle der Subventionen allen Bergarbeiterfamilien ein angemessenes Grundeinkommen zahlen, wären sie nicht nur materiell grundversorgt, sondern könnten sich auch in aller Ruhe beruflich umorientieren.
Massiv subventioniert wird auch die Autoindustrie. Alle Hersteller von VW bis Daimler können somit Autos auf Halde produzieren - mehr als jemals gekauft werden. Geht es nach der EU-Kommission, sollen vor allem Innovationen, die das "grüne Auto" fördern, in den nächsten Jahren kräftig bezuschusst werden.
Ein ähnliches Dilemma zeichnet sich im Agrarsektor ab: Jährlich werden EU-weit Agrarsubventionen in Millionenhöhe verteilt - mehr oder weniger ungerecht. So wurden 2013 in Deutschland 231 Unternehmen mir mehr als einer Million Euro bezuschusst. Während zwei Prozent der Betriebe mehr als 1,7 Milliarden Euro (mehr als 30 % der Subventionen) erhielten, hatte sich drei Viertel aller mit weniger als 20.000 Euro zu begnügen.
Unterm Strich wird ein Wirtschaftsystem am Laufen gehalten, das ohne staatliche Unterstützung gänzlich zusammenbrechen würde. Direkt an die Menschen ausgezahlt, hätten alle mehr davon, denn Geld, das ausgegeben wird, steigert die Nachfrage, und nicht zuletzt würde auch die Wirtschaft angekurbelt. Die vorhandenen Gelder wären nicht nur gerechter verteilt, es entstünden für jeden Einzelnen auch neue Freiheiten.
Ausblick
Angemessen bezahlte Arbeit ist ein rares Gut. Die Gründe für ihr Verschwinden sind vielfältig. Bestraft werden immer die Menschen, die sie verloren haben, und zwar mit Armut und Hartz 4. Warum eigentlich? - Es stellt sich die Frage, warum in einer Gesellschaft, in der immer mehr Reichtum angehäuft wird, Menschen keine Tätigkeit ausüben dürfen, die sie für sinnvoll halten, ohne um ihre Existenz bangen zu müssen.
Ein Einkommen zum Leben brauchen alle, ob sie arbeiten oder nicht. Ein BGE könnte das leisten. Zu klären wären noch etliche Detailfragen wie: Wie hoch ist das so genannte Existenzminimum? Kommen auch Asylsuchende in den Genuss des BGE? Müssen sich die vom BGE Ausgeklammerten weiter im Niedriglohnsektor ausbeuten lassen?
Während bei uns noch über den Sinn diskutiert wird, ist man in anderen Ländern schon einen Schritt weiter: So wird in diesem Sommer in der Schweiz per Volksabstimmung über ein Grundeinkommen entschieden.
In Finnland, wo die Arbeitslosigkeit die 10-Prozent-Marke erreicht hat, rückt es bereits in greifbare Nähe. Und in Deutschland kamen - finanziert über Crowdfunding - seit 2014 eine Viertel Millionen Euro zusammen. Davon wurden ein Jahr lang an 23 Menschen 1.000 € im Monat gezahlt. Sie können über erste Erfahrungen mit dem Grundeinkommen berichten.
Sicher wird ein Grundeinkommen nicht die Welt retten. Der Kapitalismus wird nicht ausgehebelt, die Regeln der Marktwirtschaft gelten immer noch. Es wird nach wie vor extremen Reichtum geben. Doch da wo es eingeführt wird, gäbe es keine extreme Armut mehr. Alle Menschen hätten ein Dach über dem Kopf und können sich genug zu essen leisten. Genau dafür ist es gedacht. Ein kleiner Schritt hin zu etwas mehr Gerechtigkeit. Weitere Schritte dürfen folgen.