Bei Schlaganfall: Spritze mit Stammzellen ins Gehirn
Britische Wissenschaftler haben ein Verfahren zur "Immortalisierung" von Stammzellen entwickelt, das krebsartige Vermehrung und nach Transplantation garantierte Abschaltung ermöglicht
Während man in Deutschland der Forschung mit menschlichen Stammzellen zurückhaltend gegenübersteht, ist in Großbritannien zu erwarten, dass sie nach dem unlängst veröffentlichten Expertenbericht in gewissen Grenzen zugelassen wird. Die Injektion von speziell gezüchteten Stammzellen, die schon bei Ratten zur Wiederherstellung von Funktionen geführt hat, will die Bio-Tech-Firma ReNeuron nächstes Jahr auch bei Patienten testen, die durch Schlaganfälle gelähmt wurden.
Stammzellen haben nicht nur den Vorteil, dass sie sich prinzipiell in jede andere der über 200 unterschiedlichen Zellen im Menschen entwickeln können, sondern sie können sich auch unbegrenzt vermehren. Die britische Firma ReNeuron hat bereits ein Verfahren entwickelt, wie aus wenigen embryonalen Stammzellen ein "unsterblicher" Vorrat gezüchtet werden kann. Das Verfahren der "Immortalisierung" habe man entwickelt, um die moralischen und praktischen Einschränkungen zu umgehen, die mit der Entnahme von frischen Gehirnzellen aus menschlichen Föten verbunden sind. Klonierte Zelllinien machen es überdies möglich, eine kontrollierte Produktion von Zellen zum Transplantieren durchzuführen, bei der die Zellen homogen oder auch gegen bestimmte Viren geschützt sind. Angeblich genügen die Zellen von einem einzelnen abgetriebenen Fötus, um damit nach Vermehrung 1000 Patienten behandeln zu können.
Zellen von abgetriebenen Föten könne man nach John Sinden von ReNeuron unbedenklich benutzen: "Das ist Gewebe, das ansonsten verloren ginge oder weggeworfen würde. Natürlich haben über die normalen Richtlinien versucht, eine ethische Genehmigung einzuholen, die wir auch erhalten haben, aber wir brauchen wirklich nur sehr wenige Zellen. Wir züchten Zellen von einem einzigen Embryo, was genug ist, um eine sehr große Zahl von Menschen zu behandeln."
Die Verwendung von Stammzellen im Gehirn hat einen Vorteil. Während fremdes Gewebe im Körper normalerweise durch eine Immunreaktion abgestoßen wird, akzeptiert das Gehirn fremde Zellen. Neuronale Stammzellen von Mäusen bzw. Ratten wurden von den Wissenschaftlern von ReNeuron bereits erfolgreich in die Gehirne von anderen Mäusen bzw. Ratten injiziert, die durch Schlaganfälle geschädigt waren. Die frischen Zellen sind dabei auch über lange Strecken an die Stellen gewandert, die durch den Schlaganfall beschädigt wurden und haben neben Lähmungen auch kognitive Funktionen Verhaltensweisen wieder hergestellt. Dabei haben sie sich auch ausdifferenziert und je nach Ort etwa in bestimmte Neuronen oder auch in Glia-Zellen verwandelt. Im intakten Gewebe hingegen hätten sie sich kaum ansiedeln können.
Um aus wenigen multipotentiellen Stammzellen möglichst viele züchten zu können, wurde von ReNeuron das veränderte Gen eines Virus eingeführt, das bei Affen Krebs verursacht. Das Gen funktioniert angeblich wie ein Schalter. Bei 33 Grad Celsius führt es zu einer unaufhörlichen "krebsartigen" Teilung und Vermehrung der Stammzellen, was von ReNeuron "Immortalisierung" genannt wird. Erhöht man die Temperatur auf 36 Grad, wird das Gen ausgeschaltet. Da die normale Körpertemperatur des Menschen 38 Grad beträgt, sollten sich die Zellen, wenn sie einmal injiziert wurden, nicht mehr weiter krebsartig vermehren: "Sobald wir die Zellen in den Patienten einbringen, wird das Gen ausgeschaltet, und die Zellen werden wieder 'sterblich'." Die so gezüchteten Zellen können auch eingefroren werden und ohne Funktionsverlust später wieder aufgetaut werden.
Was bei den Tiermodellen funktioniert hat, wollen die Wissenschaftler jetzt auch an Menschen testen. Entwickelt werden sollen durch das Verfahren von ReNeuron neuronale menschliche Stammzellen, die dann mit einer einmaligen Injektion in das Gehirn von Patienten eingefügt werden. Experimentieren will man damit, dass Stammzellen aus verschiedenen Regionen des sich entwickelnden Gehirns von abgetriebenen Embryonen entnommen und jeweils diejenigen gezüchtet werden, die sich in einer Region befanden, wo die Schäden durch Schlaganfälle normalerweise am größten sind. Binnen sechs Jahre will man aus dem Verfahren, wenn die Tests erfolgreich waren, ein Medikament marktreif entwickeln, das nicht nur für die Behandlung der Folgen von Schlaganfällen im Gehirn, sondern auch etwa für die von Alzheimer oder Parkinson eingesetzt werden könnte.