Belagerte Kommune von Oaxaca

Aufständische führen Proteste trotz Besetzung der südmexikanischen Stadt durch Polizei und Armee fort

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Bild hatte eine große symbolische Aussagekraft: Aufständische der „Volksversammlung der Dörfer von Oaxaca“ (APPO) stehen vor den schwer gepanzerten Bundespolizisten. Die Uniformierten haben Schilde und Waffen; die Demonstranten halten ihnen Lilien entgegen. „Seht Ihr nicht, dass wir für eine gerechte Sache kämpfen?“, versucht ein Mann die Polizisten zu überzeugen. Bei dem Versuch, der auf dem Videoblog der linksliberalen Tageszeitung La Jornada dokumentiert wurde, blieb es. Seit dem Einmarsch von fast 5.000 Bundes- und Militärpolizisten in das südmexikanische Oaxaca am Wochenende (Blutige Lösung in Mexiko) kam es trotz der demonstrativen Zurückhaltung der „Volksversammlung“ wiederholt zu schweren Zusammenstößen. Mindestens zwei weitere Zivilisten starben.

Der Befreiungsschlag ist der konservativen Allianz im Bundesstaat Oaxaca und Mexiko-Stadt nicht gelungen, denn die „Kommune von Oaxaca“ - wie die seit fast fünf Monaten selbst verwaltete Stadt in Anlehnung an das historische Pariser Vorbild genannt wird - behauptet sich auch gegen die militärische Übermacht. Zwar ist der umstrittene Gouverneur der „Partei der Institutionellen Revolution“ (PRI), Ulises Ruiz, nach mehrmonatigem Exil wieder zurück in die Stadt gekommen, um während einer ersten Pressekonferenz am Montag die Forderung nach seinem Rücktritt erneut zurückzuweisen. Auch ist die Stadt von Bundespolizisten besetzt und bewaffnete PRI-Anhänger demonstrieren unter ihrem Schutz für „Ruhe und Ordnung“. Doch die in der „Volksversammlung“ organisierten sozialen Organisationen und politischen Gruppen haben nicht aufgegeben. Sie rufen weiterhin zum Widerstand auf und bekommen zunehmend Unterstützung in anderen Landesteilen.

Foto: mexico.indymedia.org

Ringen um die Kontrolle der Medien

Rund 50.000 Menschen haben in der umkämpften Stadt am Montag in drei Demonstrationsmärschen für Verhandlungen und eine friedliche Lösung des politischen und sozialen Konfliktes protestiert. Während die Bundespolizisten die staatlichen Einrichtungen umstellt haben, halten die Aufständischen nach wie vor den Zócalo, den Hauptplatz der Stadt, und das Universitätsgelände besetzt. Diese letzte Bastion ist strategisch wichtig, denn auf dem Unigelände befindet sich die letzte Radiostation der „Volksversammlung“.

Ohnehin hat die Medienhoheit in den letzten Tagen neben den Straßenkämpfen eine zentrale Rolle gespielt. Unmittelbar vor Beginn der Intervention hatten die APPO-Aktivisten die besetzte Radiostation „La Ley“ geräumt, nachdem die Sendeanlage ausgefallen war. Die Aufständischen beschuldigten die staatlichen Stellen, das Signal gestört zu haben. Zugleich ging mit dem provisorischen Sender „La Voz de Oaxaca“ eine regierungsnahe Station auf Sendung, um gegen die „Volksversammlung“ zu polemisieren.

Seit Wochenbeginn sorgte der Kampf um das letzte verbleibende APPO-Radio auf dem Universitätsgelände für Aufregung. Nach einer kurzzeitigen Besetzung durch die Polizei haben die Aktivisten die Funkanlagen nun wieder übernommen. Zwar verfügt die Selbstverwaltung der Stadt auch über einen Internetportal. Der Onlineauftritt richtet sich aber vor allem an ein internationales Publikum. Unmittelbar kommunizieren APPO und Basis - Grund dafür ist vor allem die mangelnde Technisierung in den ländlichen Außengebieten - über das Radio.

Aufruf zu Straßenblockaden und Generalstreik

Während sich beide Konfliktparteien in der Stadt in einer Patt-Situation gegenüberstehen, erfährt der Aufstand in Oaxaca auch in anderen Landesteilen und auf internationaler Ebene Unterstützung. Die Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung (EZLN) hat in einem Kommuniqué für Donnerstag zu Straßenblockaden aufgerufen. Gemeinsam mit einem jüngst etablierten Bündnis sozialer Organisationen und politischer Gruppen im Land wird zudem ein Generalstreik für den 20. November vorbereitet. Zu Protesten kam es auch in mehreren europäischen Städten, in Lateinamerika und in New York, von wo der US-amerikanische Indymedia-Journalist Bradley Will stammte, der am Freitag von PRI-nahen Paramilitärs erschossen worden war. Die kubanische Journalistin Celia Hart schlug inzwischen vor, den 27. Oktober im Gedenken an den Toten zum „Tag der alternativen Medien“ zu machen.

Eng könnte es für den umstrittenen Gouverneur werden, weil nicht nur auf der Straße, sondern auch im Parlament der Widerstand zunimmt. Am Montag nahmen alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien - mit Ausnahme der PRI und der kleinen Grünen Ökologischen Partei Mexikos (PVEM) - eine Resolution an, die Ulises Ruiz zum Rücktritt auffordert. Erstmals schloss sich dieser Forderung auch die regierende rechtsklerikale Partei der Nationalen Aktion (PAN) an.

Politische und wirtschaftliche Erosion

Der Konflikt in Oaxaca führt in seiner Bedeutung über die Grenzen der Stadt und des Landes hinaus. Die Forderungen des „Volkskongresses“ sind in erster Linie sozial, es geht um Mindestgehälter im Bildungsbereich, soziale Absicherung und staatliche Fürsorge. Zwölf Jahre nachdem Mexiko unter dem damaligen Präsidenten Carlos Salinas dem Nordamerikanischen Freihandelabkommen (NAFTA) beigetreten ist, sind die Möglichkeiten des Staates, auf diese berechtigen Positionen einzugehen, aber eng. Die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos, die Emigration in die USA hat rapide zugenommen. Salinas hatte angesichts des schon damals harten Widerstandes die Schaffung von Arbeitsplätzen binnen fünf Jahren versprochen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sollte in dieser Zeit durch das optimistisch prognostizierte Handelswachstum um sieben Prozent steigen. Nichts davon ist eingetreten. Das BIP nahm gerade mal um 0,3 Prozent zu, und auch nur, weil der Ausverkauf von Rohstoffen angekurbelt wurde.

Besonders der Agrarsektor zählt zu den Verlierern des Freihandels. Die Produktionskosten für Mais - ein Grundnahrungsmittel in Mexiko - sind in den USA vier Mal niedriger als in dem mittelamerikanischen Land. Die Importquoten aus dem Norden sind dementsprechend in die Höhe geschnellt, während die Agrarindustrie in Mexiko verelendet. Und schließlich ist die industrielle Produktion in Mitleidenschaft gezogen. Heute haben in Mexiko kleine, wohlhabende Industrieenklaven überlebt. Die Wirtschaft als Ganzes aber stagniert und gerät in zunehmende Abhängigkeit von den USA. Der Staat ist davon als erster betroffen, weil er für seine sozialen Aufgaben keine finanziellen Mittel mehr zur Verfügung hat. Zur Erinnerung: Die „Kommune von Oaxaca“ hat mit einem Streik der Lehrer begonnen. Inzwischen ist sie zu einem festen Bezugspunkt und Symbol für die sozialen Bewegungen im ganzen Land geworden.