Belarus und Litauen: Neben Flüchtlingskrise droht Wirtschaftskrieg

Die Grenze von Belarus nach Litauen ist durchlässig geworden. Möglicherweise aus Kalkül. Symbolbild: Engin_Aykurt auf Pixabay (Public Domain)

Litauen "wehrt" sich gegen mutmaßlich gesteuerte Migration und erschwert Belarus den Kali-Export

Die Spannungen zwischen den baltischen Staaten und Belarus wegen Alexander Lukaschenkos instrumentalisierender Flüchtlingspolitik in Richtung EU haben sich nicht gelöst. Ein weiter reichender Wirtschaftskrieg zwischen Litauen und Belarus droht.

Seit mehreren Monaten sind die Zahlen der illegalen Grenzübertritte aus Belarus vor allem nach Litauen, aber auch ins benachbarte Lettland und Polen sprunghaft angestiegen, auf mehr als 4.000 in wenigen Monaten. Der Verdacht, Lukaschenko "räche" sich für Sanktionen der EU mit einem offenen Einfallstor für Migranten, wenn nicht sogar Einschleusungen und instrumentalisiere damit Flüchtlinge, besteht aufgrund schwer belastender Indizien. Inzwischen machen sich die Flüchtlingszahlen an dieser Grenze auch in der gesamteuropäischen Flüchtlingsstatistik bemerkbar. Die Gesamtzahl der von der EU-Grenzschutzbehörde Frontex festgestellten Grenzübertritte ist gegenüber dem Vorjahr um fast 60 Prozent gestiegen.

Militäreinsatz und Vier-Meter-Zaun zur "Abwehr"

Die Ausrufung des Ausnahmezustands durch Lettland in der letzten Woche machte auch im deutschsprachigen Raum große Schlagzeilen. Wesentlich geringer war das Echo, als am Wochenende auch das litauische Militär erweiterte Befugnisse bei der Bewachung der Grenzen erhielt. Wie Sputnik Litauen berichtet, hat die Armee dort nun durch ein Dekret des Präsidenten ähnliche Rechte und Aufgaben wie Zoll und Grenzschutz. Auch Polen hat eine verstärkte Grenzsicherung angekündigt.

Litauen will den Weg für Flüchtlinge aus Belarus über einen Zaun versperren, über dessen Ausmaße nun die russische Zeitung Kommersant umfangreich berichtet. Es wird sich um einen vier Meter hohen Metallgitterzaun handeln, der an der Oberseite zusätzlich mit Stacheldraht geschützt ist, um jedes Überklettern zu verhindern. Die Kosten werden auf 152 Millionen Euro geschätzt, die Bauzeit auf ein Jahr. Einen Anschlusszaun will Lettland bauen. Die EU will sich laut Kommersant nicht an den Kosten beteiligen. Sie versucht derweil den Fluchtweg über Belarus und Litauen durch Verträge mit dem Irak abzuschneiden, dem wichtigsten Herkunftsland der Migranten.

Der litauische Präsident Nauseda schloss nicht aus, sich wegen des Themas hilfesuchend auch an die Nato zu wenden und sprach in diesem Zusammenhang von einer "hybriden Bedrohung" für sein Land. Mit einer solchen Einschaltung eines Militärbündnisses ist die Gefahr einer weiteren Eskalation verbunden.

Geschichten über Todesfall und Hundehatz

Die weißrussischen Behörden reagieren auf all die Aufregung auf der anderen Seiten der Grenze vor allem mit Mitteln des Informationskrieges und verbreiten Geschichten von Hundehatzen der Litauer auf Migranten, Misshandlungen und einem Todesfall eines Irakers. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichten ist schwer überprüfbar. Starke Indizien, dass die Geflüchteten in Litauen nicht mit einem fairen Asylverfahren rechnen können, bestehen jedoch auf jeden Fall.

Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet unter Berufung auf das litauische Innenministerium, alle Asylanträge der Migranten, die vor allem aus dem Nahen Osten und Afrika kommen, seien von den Litauern abgelehnt worden. Dass es hier eine echte Prüfung der Fluchtursachen gibt, ist praktisch auszuschließen. Die Migranten erhielten daraufhin ein sofortiges Rückkehrangebot oder die Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten. Während die Litauer hier also einen Hardliner-Kurs fahren, gibt sich Lukaschenko gegenüber ihnen gesprächsbereit, wenn Sanktionen gegen ihn fallen - ein weiteres Indiz für die Instrumentalisierung der Situation.

Düngemittelkrieg aufgrund von US-Sanktionen

Mitten in die Auseinandersetzung um die Migration aus Weißrussland nach Litauen platzt eine Nachricht, die weitere Probleme zwischen den beiden Staaten produziert. Ein wichtiger Exportartikel von Belarus ist Kalidünger, er macht laut der Moskauer Nesawisimaja Gaseta 8,3 Prozent der belorussischen Auslandsexporte aus. Verkauft wird er vor allem nach Brasilien, China und Indien, verschifft jedoch wird er, da Belarus ein Binnenstaat ist, über den litauischen Hafen Klaipeda.

Der staatliche Düngemittelproduzent Belaruskali landete jetzt auf der Sanktionsliste der USA und Litauen will deshalb dessen gesamten Kali-Export über seine Häfen stoppen. Lukaschenko reagierte darauf umgehend mit der Ankündigung, den Kali-Export dann über Russland umzuleiten, was jedoch nicht einfach werden dürfte.

Denn zum einen benötigt die Kali-Verladung umfangreiche Infrastruktur, die an anderen Häfen erst geschaffen werden müsste. Zum anderen ist Russland, wie die Nesawisimaja Gaseta schreibt, ebenfalls ein Kali-Exporteur und müsste damit dem belarussische Konkurrenten auf dem Weltmarkt Schützenhilfe leisten. Ein interessantes Detail am Kalikrieg berichtet das russische Medienportal RBK. Der ebenfalls belarussische Kali-Exporteur BPC sei von der Sanktion nicht betroffen - er gelte als Hauptlieferant der Landwirtschaft in den USA.

Eine Hilfe zum eigenen Schaden durch Russland hält die Zeitung für unwahrscheinlich, wodurch sich die finanzielle Situation Weißrusslands weiter verschlechtern dürfte. Währenddessen ist die exilierte Oppositionsführerin Tichanowskaja aktuell auf Tour durch westliche Länder, um für neue Sanktionen gegen ihr Heimatland zu werben - zuletzt hat sie in Norwegen einen Ankaufstopp für Kalidünger aus Belarus erreicht. Ob sie so in Belarus Sympathien in der Bevölkerung erhält, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall stehen die Zeichen - egal ob bei der Auseinandersetzung über Geflüchtete oder dem Wirtschaftskrieg zwischen dem Baltikum und Belarus weiter auf Sturm.