Bend it like Magnus!

Seite 3: Die Physiker im Labor

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Will man den Magnus-Effekt untersuchen, kann man sich im Labor ein Gerät bauen, womit die Bewegung von rotierenden Bällen in einem Medium untersucht werden kann. Das ist genau, was Guillaume Dupeux, Anne Le Goff, David Quéré und Christophe Clanet, französische Physiker, 2010 gemacht haben. Sie haben Wasser als Medium verwendet und als Geschoss diente eine Polypropylenkugel.3 Abb. 7 zeigt einige der von diesen Physikern durchgeführten Experimente. Man sieht in der zweiten und dritten Zeile der Bildsequenzen, wie die Bahn der rotierenden Kugel sich im Wasser krümmt.

Aus den Experimenten mit Wasser und kleinen Bällen können auch Schlussfolgerungen für Experimente in der Luft gezogen werden. Um Experimente vergleichbar zu machen, benutzen Physiker eine dimensionslose Kennzahl, die man Reynolds-Zahl nennt. Diese gibt an, wie das Verhältnis zwischen Trägheit (Geschwindigkeit mal Länge) und kinematischer Viskosität eines Fluids ist. So können z.B. kleine Modellschiffe im Wasser getestet werden. Wenn man die Fließgeschwindigkeit des Wassers angleicht, bekommt man dasselbe Verhältnis (dieselbe Reynolds-Zahl) und kann mit dem Modellschiff Aussagen über das Verhalten im Wasser von viel größeren und echten Schiffen treffen. Man weiß, z.B., dass ab einer kritischen Reynolds-Zahl eine laminare Strömung in turbulente Strömung umschlagen kann, genau wie im oberen Beispiel mit dem Fußball.

Abb. 7: Eine Polypropylenkugel wird ins Wasser geschossen. Bei der Bildsequenz (a) rotiert die Kugel nicht. Bei der Bildsequenz (b) rotiert die Kugel im Uhrzeigersinn. Bei (c) rotiert die Kugel entgegen dem Uhrzeigersinn. Die Bahnen in (a) und (b) zeigen den Magnus-Effekt.

Dupeux und Mitarbeiter haben aus den Wasserexperimenten geschlossen, dass die Trajektorie der rotierenden Kugel einer Spirale ähnelt und haben eine Formel dafür ermittelt. Es ist fraglich, ob die Formel für den Fall eines Fußballs "skalieren" kann, die Experimente geben jedoch Einblick in verschiedene Aspekte des Problems, wie z.B. die Verlangsamung der Ballrotation und deren Beziehung zur Trajektorie.

Calculemus!

Nach dem Debakel mit dem Ball der Weltmeisterschaft 2010, der eine Tendenz zum Flattern hatte, übt Adidas mehr denn je mit dem Schießroboter. Ein robotisches Bein schießt und schießt unter kontrollierten Bedingungen im Labor die neuen Brazuca-Bälle - die Flugbahn wird dazu noch gefilmt. Wenn neue Bälle geliefert werden, haben sie bereits Tausende von experimentellen Schüssen und Stress-Experimenten im Labor hinter sich.

Alternativ zum Roboter kann Leibniz' Diktum "Calculemus" für diese Art von Strömungsproblemen verwendet werden, d.h. wir können den Ballflug simulieren. Mathematiker können im Prinzip dies alles errechnen, dafür gibt es die sogenannten Navier-Stokes Gleichungen, die fast 200 Jahre alt sind. Die Gleichungen gehen auf die Arbeit des Franzosen Claude Louis Marie Henri Navier und des Engländers George Gabriel Stokes zurück. Die Gleichungen beschreiben das Verhalten von Gasen und Flüssigkeiten unter Stress und Einwirkung von externen Kräften. Ihre Anwendung hat sich als extrem erfolgreich erwiesen. Im Computer erstellte Rechnungen können in Windkanälen hochpräzise verifiziert werden, z.B. um neue windschnittige Autos zu entwerfen.

Es gibt jedoch ein Problem mit den Navier-Stokes-Gleichungen: Man kann damit am Computer rechnen, es gibt aber keinen analytischen Beweis für die Existenz von "glatten" Lösungen im allgemeinen Fall und für die Nicht-Existenz von Singularitäten (d.h. Stellen, wo die Berechnung auseinander bricht). Die Idee ist, dass in der Natur mit echten Flüssigkeiten Diskontinuitäten nicht existieren können. Man hat dafür aber noch keinen Beweis, nicht einmal für den Fall des dreidimensionalen Raumes. Das Clay-Institut in Cambridge, Massachussets, hat deswegen 1 Million Dollar für die Lösung dieses "Millenium-Problems" ausgelobt. Das Problem ist in vier technische Fragen unterteilt. Im Kern geht es aber darum, das theoretische Verständnis der Gleichungen zu erhöhen. Wir rechnen im Computer damit und vertrauen darauf, dass alles gut gehen wird. Es wäre aber besser, theoretische Garantien zu haben und es gibt bereits den ersten Anwärter auf den Preis, der vor Kurzem eine noch nicht überprüfte Lösung gemeldet hat.

Man sieht: Man kann das Wichtige und Nützliche mit der Freizeit verbinden. Schaut man in Wissenschaftsarchive, findet man viele Untersuchungen über die Flugdynamik von Bällen, Bälle mit Spin, Bälle gegen den Wind, usw. Die Flugbahn des Balls bei einem Schuss von Beckham ist ebenso wie für Roberto Carlos nachgerechnet worden. Und dies alles mit den Navier-Stokes-Gleichungen.