Berechnungssätze verfassungswidrig
Hartz-IV: Zurechtweisung für die Bundesregierung
Bei den Regelsätzen zu Hartz-IV arbeitet die Bundesregierung gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Quintessenz aus dem heute verlesenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Bis zum 31. Dezember dieses Jahres müssen, so die Vorgabe des Gerichts, diese Regelsätze verbessert werden. Vor allem kritisierten die Richter die völlig unzureichenden Zahlungen des Staates an die Kinder von Hartz-IV-Empfängern bis zum 14. Lebensjahr. Für Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) Gelegenheit, die eigene Politik auf den Prüfstand zu stellen.
Für von der Leyen, die Frau, die den Begriff "Hartz-IV" am liebsten nicht mehr hören würde, begann der Morgen in Karlsruhe angespannt. In Erwartung dessen, was da kommen würde, saß die Ministerin kerzengerade auf der vordersten Kante ihres Stuhls - und kassierte wenige Minuten nach zehn Uhr eine schallende Ohrfeige. Die Regelleistungen, so der Vorsitzende Hans-Jürgen Papier, selbst CSU-Mitglied, genügten nicht und seien verfassungswidrig. Sie entsprächen nicht der Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums, führte er in der Urteilsbegründung weiter aus. Hartz-IV an sich sei zwar nicht gegen die Verfassung gerichtet, allerdings das Berechnungsmodell.
Bereits Wochen vor dem Urteil hatten Sozialverbände vermutet, die Berechnungen besonders zum Einkommen der Kinder der Leistungsempfänger seien "ins Blaue" und somit völlig weltfremd vorgenommen worden. Was unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) begann und jetzt gestoppt wurde, ist allerdings nicht nur ein unrealistisches Berechnungsmodell, das mehrere hunderttausend Menschen in Deutschland unter die Armutsgrenze stürzen ließ. Neben dem Rechtstaats- und Bundesstaatsprinzip ist das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz die dritte tragende Säule des Staatsgefüges. Und an der wurde seitens der Bundesregierungen in den vergangenen elf Jahren gefährlich gesägt.
Doch nicht nur staatsrechtliche Abgründe taten sich durch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II auf, auch die politische Landschaft wurde dadurch in Deutschland deutlich verändert. Wegen der Kahlschlag-Politik Schröders im sozialen Bereich bildete sich in den alten Bundesländern die "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit", die später mit der PDS fusionierte und zur Linken wurde. Ehemalige linke Sozialdemokraten und Gewerkschafter hatten sich angesichts der immer katastrophaleren Zustände auf dem Sozialsektor zu diesem Schritt entschlossen.
Somit ist das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht nur eine glatte Niederlage der aktuellen Bundesregierung, sondern bedeutet auch ein nachträgliches Abwatschen für die Sozialdemokraten der Großen Koalition bis September 2009. Diese hatten mit ihrer Sozialpolitik unter Schröder damit begonnen, ihren eigenen Niedergang einzuläuten, der sie aktuell in der Wählergunst nur noch bei knapp über 20 Prozent dümpeln lässt.
Ursula von der Leyen indessen hat mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eine zweifache Niederlage hinnehmen müssen. Der ihr so verhasste Begriff "Hartz-IV" wird für immer mit ihrem Namen verbunden bleiben. Da hilft es auch nichts, dass sie kurz nach der Urteilsverkündung zurückruderte und die Entscheidung als "große Chance für Kinder" bezeichnete. "Dazu hätte es den heutigen Morgen nicht geben müssen", so ein Besucher der Urteilsverkündung in Karlsruhe, "sondern nur eine menschliche Sozialpolitik."