Berlin, Ankara und die Folter
Deniz Yücel wirft der Türkei Folter vor, die Empörung in der deutschen Politik ist groß. Dabei ist es keineswegs neu, dass in der Türkei gefoltert wird
Der deutsche Journalist Deniz Yücel, der ein Jahr lang in der Türkei inhaftiert war, erhebt schwere Vorwürfe. Drei Tage lang sei er geschlagen und gedemütigt worden, sagte er am 10. Mai vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten aus und bezeichnet die Behandlung als "Folter". Er vermutet, dass dies auf Anweisung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan geschehen sei.
Die taz hat Yücels Aussage in voller Länge protokolliert. Darin heißt es: "Weil in den Zellen im Gegensatz zu den Korridoren keine Kameras installiert sind, wurde ich erstmals auch körperlich mit Tritten gegen meine Füße und Schlägen auf Brust und Rücken angegangen. Das Maß der Gewalttätigkeit war nicht allzu hoch, weniger darauf ausgerichtet, mir körperliche Schmerzen zuzufügen, als darauf, mich zu erniedrigen und einzuschüchtern. Womöglich wollte man mich auch zu einer Reaktion provozieren. Doch auch so war dies ein Fall von Folter."
Wie der Spiegel berichtet ist die Aufregung nun groß im politischen Berlin. Quer durch alle Parteien werden Konsequenzen gefordert. "Bei Folter und brutalen Menschenrechtsverletzungen hört die Freundschaft auf", sagte demnach der CDU-Politiker Michael Brand gegenüber dem Nachrichtenmagazin.
Da kann es nicht um Nachsicht gehen, es muss jetzt um intensive Untersuchung und Aufklärung gehen, und das schnell.
Michael Brand, CDU
Interessant ist diese Reaktion schon deshalb, weil es keineswegs eine Neuigkeit ist, dass in der Türkei gefoltert wird. Begebenheiten wie die von Yücel geschilderte sind in türkischen Haftanstalten an der Tagesordnung. Auch nach der Ratifizierung der Antifolterkonvention im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen änderte sich daran nichts - offiziell abgeschafft wurde lediglich die schwere Folter.
Bereits unmittelbar nach dem Putschversuch von 2016, der zu Massenverhaftungen von Oppositionellen führte, mehrten sich auch die Foltervorwürfe. Amnesty International forderte damals vergeblich intensivere Kontrollen, um sicherzustellen, dass die Gefangenen nicht gefoltert werden.
Seither dokumentierten sowohl kurdische Gruppen als auch die Gülen-Bewegung, die von Erdogan für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird, Folter. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren zahlreiche Personen in Haft starben - die genauen Umstände sind unklar. Bei einigen Fällen steht ein Folterverdacht im Raum. Ende 2016 gab es Berichte über Folter, die dann sogar die UN animierten, Untersuchungen einzuleiten.
Ende 2018 ergaben die Recherchen des ZDF-Magazins Frontal 21, dass Gülen-Anhänger in geheimen Haftanstalten gefoltert werden. Human Rights Watch dokumentierte ebenfalls Fälle von Entführungen. Bis heute sind zahlreiche Menschen spurlos verschwunden - was an düstere Zeiten erinnert. Denn lange war es Praxis des türkischen Geheimdienstes MIT, politische Gegner zu entführen und zu ermorden. Bis heute verlangen die "Samstagsmütter" Woche für Woche in Istanbul, zu erfahren, was mit ihren Söhnen geschehen ist.
Das Echo in der Bundespolitik war damals ähnlich verhalten wie schon Ende 2015, als türkische Soldaten im kurdischen Südosten des Landes folterten und Massaker an der Zivilbevölkerung begingen. Dass die aktuelle Empörung aus Berlin zu einer anderen Haltung gegenüber der türkischen Regierung führen wird, ist also unwahrscheinlich.