Berlin: Versammlungsverbot nach Gesinnung oder Infektionsschutzgesetz?
"Querdenken 711" ist sich sicher: "Die Versammlungen finden statt"
Die Berliner Versammlungsbehörde hat am Mittwoch die Demonstration und Kundgebung der Coronamaßnahmengegner "Berlin invites Europe - Fest für Freiheit und Frieden", die "Querdenken 711" mit 22.500 Teilnehmern angemeldet hat, sowie alle "themengleichen Versammlungen" verboten. Begründet wurde dies mit Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz während der Kundgebung am 1. August. Auflagen wie Mund-Nase-Schutz oder Abstandsregeln seien hier "nicht ausreichend". Die Versammlungen vom 01.08.2020 hätten gezeigt, dass die Teilnehmenden sich bewusst über bestehende Hygieneregeln und entsprechende Auflagen hinweggesetzt haben.
Berlins Innensenator Andreas Geisel begrüßte das Verbot ebenfalls mit der Begründung, dass die Anmelder der Versammlungen "ganz bewusst die Regeln gebrochen" hätten, fügte dann aber unvorsichtig hinzu: "Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird." Damit gab er zu erkennen, dass er eine Kundgebung auch aus inhaltlichen Gründen nicht stattfinden lassen will, was aber dem Grundgesetz eklatant widerspricht. Damit hat Geisel die Coronamaßnahmen-Kritiker gestärkt, die der Politik eben genau die Verletzung von Grundrechten mit dem Vorwand der Pandemie-Bekämpfung vorwerfen.
Angemeldete Gegendemonstrationen gegen die von Querdenken 711 organisierten Veranstaltungen dürfen jedoch stattfinden. Die Senatsverwaltung sagte gegenüber der Welt: "Es gibt kein generelles Demonstrationsverbot, die Versammlungsfreiheit wurde nicht aufgehoben." Man entscheide nach Einzelfallprüfungen, Kriterium ist die Einhaltung der Hygieneregeln. Man könne davon ausgehen, dass hier Veranstalter und Teilnehmer diese beachten.
"Querdenken 711" legt gegen die Entscheidung Einspruch beim Verwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht ein. Die Entscheidung dürfte heute fallen. Es wäre nicht überraschend, wenn das Verwaltungsgericht das mit dem "Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit" und einer "Fehleinschätzung der eigentlichen Gesundheitsgefahren, die von dem SARS-CoV-2-Virus ausgehen", begründete Verbot nicht bestätigt, sondern die Demonstration und Kundgebung unter Auflagen genehmigt, zumal bislang nicht belegt ist, dass Demonstrationen und Versammlungen wie am 1. August tatsächlich zu vermehrten Infektionen führen. Das Problem wird dann sein, ob die Polizei die Einhaltung von verhängten Auflagen überwachen und bei massenhafter Nichtbeachtung die Demonstration auflösen kann, was am 1. August versucht, aber nicht durchgesetzt wurde. "Querdenken 711" ist sich sicher: "Die Versammlungen finden statt."
Interessant ist die von der Berliner Polizei formulierte Begründung für das Versammlungsverbot am 29. August für eine Kundgebung mit 22.500 Teilnehmern und die Dauermahnwache mit Camp mit ebenfalls 22.500 Teilnehmern vom 30. August bis 14. September auch deswegen, weil nun nicht mehr davon gesprochen wird, dass am 1. August 20.000 an der Kundgebung teilgenommen haben, sondern 30.000. Das ist trotzdem weit entfernt von den Behauptungen der Veranstaltern, dass es 1,2 Millionen gewesen seien, aber immerhin doch eine kleine Korrektur.
Interessant ist aber auch, dass "Querdenken 711" keine Anmeldung für hunderttausende Teilnehmer gemacht hat, sondern nur für 22.500. Das ist sicherlich taktisch, um nicht von vorneherein ein Verbot zu riskieren, aber doch sehr wenig, wenn man nun Europa einlädt und am 1. August bereits 1,2 Millionen da gewesen sein sollen.
"Infektiologisches Risiko"
Die Berliner Polizei erklärt, es sei wegen der europaweiten Mobilisierung und der "Vielzahl von Gruppierungen aus dem gesamten ideologischen rechten Spektrum" mit "deutlichen Steigerungen" der Teilnehmerzahl zu rechnen. Die Teilnehmer würden sich dadurch auszeichnen, dass sie mit den Infektionsschutzmaßnahmen "eher nachlässig umgehen bzw. entsprechende Maßnahmen bewusst ignorieren", weswegen das Infektionsrisiko höher sei, was aber durch nichts belegt wird und wohl auch kaum belegt werden kann, weswegen die "internationale Pandemielage" herangezogen wird, die aber auch nicht unbedingt für ein Verbot spricht (WHO: Rückgang der Covid-19-Inzidenz um 5, der Todesfälle um 12 Prozent).
Argumentiert wird auch, dass zur Versammlung am 1. August 10.000 Teilnehmer angemeldet wurden, während dann 30.000 teilgenommen hätten. "Mit Eintreffen der Teilnehmenden eines zuführenden Aufzuges" sei "die Zahl der avisierten Teilnehmendenzahl bei weitem übertroffen". Das heißt, um das Dreifache, was aber bei angemeldeten 10.000 nicht überwältigend gewesen wäre. Gleichwohl wird von der "Massenhaftigkeit der Teilnehmenden" und von der "eng gedrängten Menge" gesprochen, was die Einhaltung der Auflagen verhindert habe.
Fragwürdig ist auch die Begründung für das Verbot des geplanten Camps. Der Straßenbereich sei für das Aufstellen von Zelten "ungeeignet", die Grünflächen würden beschädigt werden: "Wenn also der Umstand betrachtet wird, dass an dem Wochenende vom 28. bis zum30. August 2020 mehrere 10.000 Personen, zum Teil aus dem europäischen Ausland, in Berlin zusammenkommen werden, die im Hinblick auf ihre Einstellung zu Virusschutzmaßnahmen im täglichen Leben, einem erheblichen Infektionsrisiko ausgesetzt sind, ist schon deshalb von einem erheblichen infektiologischen Risiko auszugehen."
"Händelbar" seien lediglich "5000 Teilnehmende", aber da in Berlin "weitere zehntausende Personen" wären, "die ihren unbedingten Versammlungswillen dann wahrscheinlich spontan umzusetzen versuchen würden", könne es nur ein Verbot geben: "Ein Verbot Ihrer Versammlung ist mithin alternativlos. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Rahmen des Infektionsschutzes überwiegt hier Ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit."