Beseitigung und Einschüchterung der Augen der Weltöffentlichlichkeit
Journalistenorganisationen sprechen angesichts des wiederholten Beschusses von nicht-eingebetteten Journalisten durch das US-Militär von Kriegsverbrechen und verlangen Bestrafung der Schuldigen
Die offenkundig gezielte Bombardierung des Büros von al-Dschasira in Bagdad ist, weil den US-Militärs Ort und Anwesenheit des Senders längst bekannt war, der nur noch als terroristisch zu bezeichnende Versuch, lästige Augen einzuschüchtern und zu vertreiben, die beim vermutlich schmutzigen Endkampf um Bagdad durch das Aussenden von unerwünschten Bildern stören. Die Amerikaner zu Hause erwarten eine Befreiungsarmee, die mit ihren Hightech-Tötungsmaschine einen sauberen Präzisionskrieg gegen die Feinde führt, die jubelnde Bevölkerung aber verschont. Auch der Weltöffentlichkeit soll der gerechte und gute Krieg vorgeführt werden. Jetzt musste, um es deutlich zu sagen, offenbar eine "gezielte Tötung" oder ein Mordanschlag für die nötige Warnung sorgen, dass das Leben der nicht-eingebetteten, also: freien oder unabhängigen Journalisten nicht mehr geschont wird (Bombenzensur oder "Kollateralschaden"?).
Auch der Beschuss des Palestina-Hotels, in dem sich bekanntermaßen die ausländischen Journalisten aufhalten, könnte als eine solche Warnung mit Todesfolgen verstanden werden. Wie mehrere anwesende Reporter berichteten, gab es vom Hotel aus keine Schüsse auf den Panzer, wie man beim US-Militär den Beschuss zu rechtfertigen suchte. Schon vor Beginn des Krieges hatte man im Pentagon indirekt damit gedroht, dass das Leben der nicht eingebetteten Journalisten nicht sicher sei und sie auch beschossen werden könnten (Bildbereinigung in den Medien). Das hat man offensichtlich nicht wirklich glauben wollen, zumal lange Zeit nichts geschehen ist und man nur unter der Kuratel des irakischen Regimes gestanden hat.
"In many cases we don't know where all journalists are on the battlefield
Im Pentagon bedauert man, dass die Journalisten beschossen und einige getötet und verletzt worden sind. Das sei die Gefahr im Krieg, wenn man sich in einer Todeszone aufhalte. Besonders gefährlich sei es, wenn Medien Reporter "unilateral" (!) aussenden. Überdies hätten Soldaten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich zu verteidigen und zurück zu schießen. Beide Male, so versichert das Hauptkommando in einer Pressemitteilung, sei der Beschuss eine Reaktion auf "significant enemy fire" gewesen, das vom Hotel bzw. vom al-Dschasira-Gebäude gekommen wäre. "Leider" hätten sich in diesen Gebäuden Journalisten befunden, was freilich dem US-Militär mehr als deutlich klar gewesen ist. Die Schuld wird allein dem irakischen Regime zugeschoben, das zivile Gebäude für militärische Zwecke nutze. Doch außer dem Militär kann keiner der Augenzeugen das behauptete "significant enemy fire" bestätigen. Man untersucht den Vorfall, wird aber voraussichtlich, ebenso wie bei der Bombardierung des Marktes, bei dem zahlreiche Zivilisten getötet und verletzt wurden, zu keinem Ergebnis kommen. Erstaunlich für eine Hightech-Armee, die nicht wissen will, wo ihre Flugzeuge sich zu einer bestimmten Zeit aufgehalten und welche Ziele sie beschossen haben.
General Brooks gab sich auf der gestrigen Pressekonferenz in Doha sicher, dass man sicherlich keine Journalisten beschieße: "We certainly know that we don't target journalists." Das ist schon eine etwas eigenartige Formulierung. Man könne aber bei den nicht eingebetteten Journalisten nicht immer wissen, wo sie sich aufhalten, woran das irakische Regime schuld ist:
"The regime does not seem to want to change its methods of providing a higher degree of protection to journalists that in many cases we don't know where all journalists are on the battlefield. We certainly know where the embedded journalists are at any given time that are operating with our formations. And that was a conscious decision to take in embedded journalists."
Das ist nicht nur ein deutlicher Hinweis an die unerwünschten Berichterstatter, die vom Militär nicht kontrolliert werden können, sondern eigentlich auch eine Frechheit, da ja nicht Journalisten irgendwo in Bagdad beschossen wurden, sondern in ihren lange bekannten Aufenthaltsorten.
Auch wenn möglicherweise der Beschuss des Palestina-Hotels der Irrtum eines verängstigten, zu schnell reagierenden Soldaten gewesen sein mag und Journalisten, die sich im Kriegsgebiet aufhalten, eine Art von Abenteuerer sind und das Risiko kennen müssen, das sie eingehen, so bleibt die Bombardierung eine mörderische Attacke auf unabhängige Medien. Gerade weil ein arabischer Sender ins Visier geraten ist, der bekanntermaßen den Unmut der US-Regierung wegen der Verbreitung von unerwünschten Informationen und Bildern erregt hat, lässt den Verdacht, den gestern auch viele andere Journalisten geäußert haben, fast unabweisbar werden. Dass ausgerechnet das al-Dschasira-Büro in Kabul während des Afghanistan-Kriegs auch zum Ziel einer amerikanischen Präzisionsbombe geworden war, verstärkt ihn weiter.
Ganz eindeutig wäre der von den USA boykottierte Strafgerichtshof zur Aufklärung von Kriegsverbrechen notwendig
Obgleich ein Menschenleben in einem Krieg nicht viel wert ist, wäre eine Bombardierung von Zivilisten mit Tötungsabsicht ein Kriegsverbrechen. Der Versuch, mit Schüssen auf Journalisten, die keineswegs im Dienst der feindlichen Propaganda arbeiten, und ihre Büros, diese zu vertreiben, ist zudem auch politisch ein Desaster für eine Armee, die angetreten ist, eine Diktatur im Namen der Freiheit und der Demokratie, wozu auch die Pressefreiheit gehört, zu stürzen.
Noch dazu rufen nun Mitarbeiter der Fernsehsender al-Dschasira und Abu Dhabi TV gemeinsam Hilfsorganisationen zur Unterstützung auf, weil sie anscheinend um ihr Leben fürchten müssen. Abu Dhabi TV sendete die Mitteilung, dass "25 Journalisten und Techniker", die sich in den Räumen von Abu Dhabi TV in Bagdad befinden, von Panzern eingeschlossen seien: "Wir sind in einem militärischen Gebiet eingeschlossen, wo es keine Zivilisten mit der Ausnahme des Teams des Abu Dhabi TV und von fünf Mitarbeitern von al-Dschasira gibt". Das Internationale Rote Kreuz und andere Organisationen werden gebeten, schnell einzugreifen und die Journalisten aus dieser Zone herauszuholen, "in der Raketen und Granaten in unglaublicher Weise einschlagen". Auch der Chefredakteur des Senders, Ibrahim Hilal, rief die anglo-amerikanischen Truppen auf, "die Journalisten ausfindig zu machen und ihnen zu helfen, aus dem Gebiet herauszukommen. Ich glaube, dass keiner von ihnen mehr sicher ist."
Das Committee to Protect Journalists hat in einem Brief an US-Verteidgungsminister Rumsfeld eine sofortige Aufklärung der Vorfälle verlangt. Die Bombardierung des Gebäudes von al-Dschasira lege nahe, dass sie absichtlich geschehen sei. Die Organisation geht davon aus, dass die Angriffe ein Kriegsverbrechen sind und gegen die Genfer Konvention verstoßen, die das Pentagon unlängst noch bemüht hatte, um die Verbreitung von Bildern amerikanischer Kriegsgefangener zu verhindern. Der Beschuss der beiden arabischen Sender sei deswegen besonders bedenklich, weil dieser "hier seit Wochen offen gearbeitet und Bilder vom Krieg für die Welt gesendet hat".
Deutlich hat der Internationale Journalistenverband IFJ die Angriffe verurteilt. Sie seien Kriegsverbrechen, die bestraft werden müssen. Man könne nicht für die Demokratie mit dem Leben von Journalisten kämpfen. Überdies wird gefordert, den bereits zu Beginn des Krieges erfolgten Beschuss von deutlich markierten Fahrzeugen aufzuklären, bei dem drei Journalisten des britischen Senders ITN getötet wurden.
Auch die "Reporter ohne Grenzen" gehen davon aus, dass das al-Dschasira-Gebäude und das Palestine-Hotel absichtlich beschossen wurde. Schon zuvor wurde das Hotel in Basra beschossen, in dem sich bekanntermaßen al-Dschasira-Mitarbeiter aufhielten. Gestern wurde auch noch auf ein gekennzeichnetes Auto des arabischen Senders geschossen. Die Organisation weist auf einen Film und Berichte von Journalisten hin, die zeigen sollen, dass es in der Umgebung des Hotels völlig ruhig gewesen sei und dass der Panzer in aller Ruhe gezielt und dann geschossen habe. Viele nicht-eingebettete Journalisten hätten sich über den Umgang des US-Militärs beklagt. Erwähnt wird auch der Vorfall, bei dem Journalisten zwei Tage lange von Soldaten festgehalten und misshandelt wurden.
Gezielte Tötungen finden aber auch im weiter schwelenden palästinensisch-israelischen Konflikt statt, den der Krieg im Irak beiseite gedrängt hat - Vorbild auch für die neue Politik der US-Regierung: Uncle Sam und die "Snatch Option" des Präsidenten und Mord im Auftrag des US-Präsidenten). So hat ein israelisches F-16-Kampfflugzeug gestern ein Auto in Gaza Stadt mit Raketen beschossen und dabei alle fünf Insassen getötet. Weitere 47 Menschen wurde im Lauf des Angriffs teils schwer verletzt. Dieser tatsächlich staatsterroristisch zu nennende Anschlag war auf Hamas-Mitglieder gerichtet. So sollen sich As'id Arbid, einer der militärischen Führer der Organisation, und Aschraf Halabi, sein Stellvertreter, im Wagen befunden haben, aber auch zwei Kinder im Alter von vier und fünfzehn Jahren. Nach dem Angriff mit der F-16 habe sich um den Unfallort eine große Menge gebildet, die durch die Ankunft eines Apache-Hubschraubers in Panik geraten sei. Von dem aus sollen dann weitere Raketen in die Menge geschossen worden sein. Haaretz betont, dies sei der erste Luftangriff seit Beginn des Irak-Kriegs gewesen.