Bestimmen dürfen, wer was wann weiß

Zwanzig Jahre Volkszählungsurteil: Rechtswissenschaftlerin Marion Albers übt Kritik an der "informationellen Selbstbestimmung" und schlägt eine Politik des "Informationsschutzes" vor

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Dass jemand darüber bestimmen kann, wie andere mit den auf ihn verweisenden Daten umgehen - so etwas lässt sich nur in bestimmten Konstellationen realisieren", meint die Rechtswissenschaftlerin Marion Albers. Sie hat eine Studie zur "Analyse und Neukonzeption des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" verfasst und glaubt, dass das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" zu allgemein ist, um sinnvoll angewendet werden zu können. Stattdessen schlägt sie eine Politik des "Informationsschutzes" vor, die sich auf die sozialen Zusammenhänge konzentriert, in denen sich individuelle Freiheit entfaltet.

Vor zwanzig Jahren, am 15. Dezember 1983, hat das Bundesverfassungsgericht das Volkszählungsurteil verkündet. Die Urteilsbegründung stützt sich auf einen Rechtsanspruch, den es so vorher nicht gegeben hatte: das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht ist heute das Rückgrat der Datenschutz-Gesetzgebung in Deutschland wie etwa dem Bundesdatenschutzgesetz. Die Grundregel des Datenschutzes ist, dass die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur aufgrund einer Einwilligung des Betroffenen oder einer gesetzlichen Erlaubnis oder Anordnung zulässig ist.

Bemühungen, auf der Basis der "informationellen Selbstbestimmung" den Datenschutz dem heutigen Stand der Technik anzupassen, haben sich, insbesondere nach dem 11. September, nicht durchsetzen können (Grundpfeiler des Datenschutzes in der vernetzten Welt). Mit seiner Behauptung "Wir haben es Deutschland mit dem Datenschutz vielleicht etwas übertrieben" nach den Anschlägen auf das WTC kündigte Otto Schily den Konsens für die "informationelle Selbstbestimmung" auf.

Möglicherweise leidet der Datenschutz, wie wir ihn seit 1983 kennen, aber weniger an einem Mangel oder einem Übermaß an Beachtung, sondern vielmehr an einem tiefgreifenden Konstruktionsfehler. Das meint die Rechtswissenschaftlerin Marion Albers, die sich mit einer Arbeit über "Analyse und Neukonzeption des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" (erscheint 2004 beim Nomos-Verlag, Baden-Baden) habilitiert hat. Marion Albers ist Mitglied der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" und lehrt am Lehrstuhl für Staatsrecht der Hamburger Universität der Bundeswehr. Wir sprachen mit ihr über ihre Kritik am "Recht auf informationelle Selbstbestimmung".

Worin besteht die Errungenschaft des 1983 im "Volkszählungsurteil" formulierten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung?

Marion Albers: Grundrechtlichen Datenschutz hat es vor dem Verfassungsgerichtsurteil in dieser Form nicht gegeben. Man hatte zwar den Schutz des Grundrechts auf Achtung der Privatsphäre und den des Persönlichkeitsrechts. Informations- und datenbezogene Garantien und Rechte waren dabei aber an die Gewährleistung einer "Intim- oder Privatsphäre" gekoppelt, oder sie wurden rein fallbezogen und punktuell im Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsrecht entwickelt.

Und mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat sich das verändert?

Marion Albers: Ja. Das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" bezieht sich erstens unmittelbar auf Informationen und Daten. Zweitens ist es in seinem Schutzgehalt abstrakter gefasst als der Privatsphären- oder der Persönlichkeitsschutz. Deshalb wird der Schutz nicht nur deutlich erweitert, sondern er gewinnt auch eine besondere Eigenständigkeit gegenüber den traditionellen grundrechtlichen Schutzgütern. Dass ein Grundrecht eine Person im Hinblick darauf schützt, dass der Staat oder andere Private Informationen und Daten, die die geschützte Person betreffen, gewinnen oder verwenden, ist etwas ganz Neues. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht den Schutz sogleich auf einen "Daten"schutz verkürzt. Es hat personenbezogene "Daten" wie einen verobjektivierbaren Gegenstand behandelt und gemeint, die jeweilige Person könne über "ihre" Daten verfügen, also grundsätzlich selbst entscheiden, wie damit umgegangen wird.

Im Kern geht es nicht um Daten

In dem Karlsruher Urteil von 1983 ist ja die Rede davon, das der Einzelne ein Recht darauf hat zu wissen, "wer was wann und bei welcher Gelegenheit" über ihn weiß - dass er die Befugnis hat, "grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen".

Marion Albers: Dass jemand darüber bestimmen kann, wie andere mit den auf ihn verweisenden Daten umgehen - so etwas lässt sich nur in bestimmten Konstellationen realisieren, und es ist auch nur in begrenztem Umfang sinnvoll und sachgerecht. Im Zentrum des grundrechtlichen Schutzes sollten ohnehin nicht Daten als solche stehen. Im Kern geht es schließlich um einen Schutz mit Blick auf die Informationen, die der Staat oder andere Private aus diesen Daten bilden - Informationen, die wiederum in Handlungen oder Entscheidungen umgesetzt werden können, die die zu schützende Person möglicherweise beeinträchtigen. Die Gewinnung und Umsetzung personenbezogener Informationen und daran anknüpfende nachteilige Folgen sind also das eigentliche Problem. Aber das ist in der bisherigen juristischen Dogmatik sehr schwer zu erfassen.

Ich glaube insgesamt, dass "Information" eine Kategorie ist, die sich den normalen juristischen Konstruktionen weitgehend entzieht. Denn Information ist, sofern - wie beim Schutz hinsichtlich personenbezogener Informationen und Daten - mehrere Personen beteiligt sind, ein sozialer Begriff. Das meine ich in dem Sinne, dass man soziale Beziehungen immer mitdenken muss, wenn man die Informationen oder ihre Inhalte und ihre Folgen erfassen will. Im Näheren betrifft dies die Beziehung zwischen der Person, von der die Daten und die daraus gebildeten Informationen handeln, und der Person, die mit den Daten umgeht und die Informationen über die erste Person gewinnt und verwendet. Ohne den Blick auf diese soziale Beziehung und auf das weitere soziale Netz weiß man gar nicht, welche Informationen überhaupt entstehen.

Eine solche übergreifende soziale Perspektive ist den bisherigen juristischen Konstruktionen aber fremd. Sie funktionieren eher nach Mustern, die auf das einzelne Individuum bezogen sind: Man schreibt dem Einzelnen bestimmte Rechtsgüter im Sinne von Eigenschaften zu, Leben etwa oder Menschenwürde. Oder man konzipiert Verhaltensfreiheiten im Sinne eines individuellen Rechts, ein bestimmtes Verhalten zu realisieren oder zu unterlassen. Oder man ordnet einer Person Objekte als "Eigentum" zu, so dass sie in bestimmten Umfang entscheiden kann, was sie mit diesen Objekten macht. Der Schutz hinsichtlich personenbezogener Informationen lässt sich so aber nicht einfangen.

Statt von "Datenschutz" müsste man also besser von "Informationsschutz" sprechen...

Marion Albers: Ja, im Kern geht es um den Schutz hinsichtlich der Informationen, die auf die zu schützende Person verweisen. Wenn man von dem Begriff der Information ausgeht, kommt man auch gar nicht auf die Idee, den Schutz so zu konzipieren, als ginge es um einen "Gegenstand", über den eine bestimmte Person entscheiden oder verfügen kann. Allerdings gibt es nicht nur die Ebene der Informationen, sondern auch die der Daten, aus denen Informationen gebildet werden. Deshalb muss es zusätzlich Rechte hinsichtlich des Umgangs mit personenbezogenen Daten als solchen geben.

Das wird vor allem dann ausgeprägt sein, wenn die sozialen Beziehungen, in denen aus den Daten Informationen entstehen, ganz abstrakt und nicht absehbar sind. Das ist unter den Bedingungen des Internet häufig der Fall. Man gibt Daten über sich ins Netz und kann nicht unbedingt abschätzen, wer sie wann abruft, was andere damit machen, ob jemand ein Nutzungsprofil über einen selbst erstellt, ob die Daten irgendwie nachteilig verwendet werden. Hier muss der Schutz an die Daten anknüpfen. Aber selbst dann geht es nicht ausschließlich und allein um "Daten"schutz. Der Schutz muss immer in ein übergreifendes Konzept des Informationsschutzes eingebettet werden.

Kein "Grundrecht auf Datenschutz"

Jutta Limbach hat kürzlich einmal gefordert, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in das Grundgesetz aufgenommen werden sollte. Vermutlich halten Sie von diesem Vorschlag nicht allzu viel...

Marion Albers: Nein. Ich halte davon überhaupt nichts. Genauso wenig wie von der Idee, zum Schutz der "Privatsphäre" zurückzukehren. Information ist eine Grundkategorie, die in alle Grundrechte gehört. Sie liegt auf der gleichen Abstraktionsebene wie der Begriff "Handlung" oder der Begriff "Entscheidung". Gerade deshalb muss man Schutzziele und Schutzinhalte in vielfältiger, mehrdimensionaler Weise entfalten. Das lässt sich nicht in ein einziges spezielles Grundrecht pressen. Ein "Grundrecht auf Datenschutz" zwänge einen geradezu dazu, sich mit einer unterkomplexen Konstruktion des grundrechtlichen Informationsschutzes zufrieden zu geben.

Sie schlagen vor, anstelle eines generellen Rechts auf informationelle Selbstbestimmung situationsspezifische Schutzziele und Schutzinhalte zu konzipieren. Wie soll man sich das vorstellen?

Marion Albers: Das ist ein Teilelement meiner Konzeption. Ich unterscheide zwei Ebenen, auf denen ein Schutz hinsichtlich des Umgangs mit personenbezogenen Informationen und Daten entwickelt werden muss. Es gibt eine erste Ebene, auf der es um eine grundlegende Gestaltung der Informations- und Datenverarbeitung durch gesetzliche Regelungen geht: Die Gesetzgebung muss den Umgang mit personenbezogenen Informationen und Daten in den Grundlinien strukturieren und sowohl sach- oder aufgabengerecht als auch transparent gestalten. Das geschieht zum Beispiel durch Zweckfestlegungen und Zweckbindungen oder im Vorfeld durch Gewährleistungen eines Systemdatenschutzes.

Auf diese grundlegende Ebene gehören außerdem staatlich garantierte Informationsrechte, damit man überhaupt weiß, was mit den Daten, die losgelöst von einem kursieren, passiert, und damit man abschätzen kann, wer welche Informationen haben könnte. Dabei reicht es nicht, dass man sich Informations- und Datenverarbeitungen - bevor man einen konkreten Auskunftsanspruch geltend macht - nur aus einem abstrakten Gesetz erschließen kann. Man muss sich genauer über die Art, wie Behörden mit Informationen umgehen, informieren können, zum Beispiel über Geschäftsordnungspläne im Internet. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten. Das lässt sich anschließen an die Diskussion um die Transparenz der Verwaltung (Deutschland, die verspätete Nation). Hinzukommen müssen allgemeine Rechte, über die man in bestimmtem Umfang Einfluss auf den Umgang des Staates oder anderer Privater mit den personenbezogenen Informationen und Daten nehmen kann.

Auf einer zweiten Ebene, die zu dieser grundlegenden ersten Ebene hinzutritt, gibt es zusätzlich konstellationsspezifische Schutzziele und Schutzerfordernisse. Man muss zum Beispiel in besonderer Weise davor geschützt sein, dass der Staat Aufzeichnungen aus dem eigenen Tagebuch nach Beschlagnahme in einem Strafverfahren verwertet - das betrifft das Persönlichkeitsrecht oder gegebenenfalls die Gewissensfreiheit. Und man muss, wenn man an einer Demonstration teilnimmt, in besonderer Weise davor geschützt sein, dass Polizei oder Verfassungsschutz diese Grundrechtswahrnehmung filmen, dass man später in Dateien landet und möglicherweise Nachteile wegen der Demonstrationsteilnahme hat.

Insgesamt wäre eine neue Schutzkonzeption wichtig, die auf mehreren Ebenen angelegt, mehrdimensional und inhaltlich vielfältig gestaltet ist. Eine solche Konzeption muss sich in den nächsten zehn, zwanzig Jahren in Feinarbeit entwickeln. Meine eigene Arbeit ist dazu nur ein Baustein.

Ein Recht, so dargestellt zu werden, wie man will?

Wenn man anstelle eines abstrakten Datenschutzes einzelne informationsbezogene Schutzziele und Schutzinhalte definiert, entfällt dann nicht auch das Problem der Abwägung zwischen dem Anspruch des Einzelnen auf den Schutz seiner Person und den Interessen der Allgemeinheit?

Marion Albers: Das kommt darauf an. In Fällen, in denen ein spezifischer Schutz besteht, wäre im Gegenteil eine besonders gehaltvolle Abwägung erforderlich. Man muss immer kucken, in welchem übergreifenden Zusammenhang Datenschutz nötig ist - und wo er eben nicht nötig ist. Um das Beispiel der Demonstration noch einmal aufzugreifen: Es wäre es ja unsinnig, die Demonstrationsteilnehmer davor zu schützen, dass die staatlichen Stellen, denen die Teilnehmer ihr Anliegen und auch ihr persönliches Engagement vermitteln wollen, dies zur Kenntnis nehmen, also Informationen über die Demonstration und die Teilnehmer gewinnen. Insoweit braucht man keinen abwehrrechtlichen Schutz und keine Abwägung unterschiedlicher Interessen. Eine ganz andere Frage ist es, ob der Verfassungsschutz filmen darf. Hier greift ein abwehrrechtlicher Schutz; man benötigt eine Abwägung - und im Falle eines spezifischen Schutzes aus Art. 8 Grundgesetz, also aus der Versammlungsfreiheit, hat das entsprechende Grundrecht der Demonstrationsteilnehmer ein ganz anderes Gewicht als ihr "Recht auf informationelle Selbstbestimmung".

Ich kann das noch an einem weiteren Beispiel erläutern. Nimmt man das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wörtlich, ließe sich daraus zum Beispiel ein Recht herleiten, selbst zu entscheiden, wie man in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Manchmal findet sich in juristischen Zusammenhängen die Ansicht, es gäbe ein "Selbstdarstellungsrecht" mit einem solchen Inhalt - das ist aber falsch. Wenn es nämlich ein "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" oder ein solches "Recht auf Selbstdarstellung" gäbe, müsste darunter - vermittelt über die Drittwirkung, also die Wirkung der Grundrechte unter Privaten - auch das Recht einer Person fallen, über die Verwendung "ihrer" personenbezogenen Daten selbst zu bestimmen, falls ein Journalist über sie berichten will. Ihr stünde also grundsätzlich ein Recht zu, einem Journalisten vorzugeben, was er über sie schreibt. Denn schließlich handelt es sich bei seinem Bericht über die Person um personenbezogene Daten, die er verwendet.

An dem Beispiel sieht man aber, dass es ein allgemeines Recht, über die Verwendung personenbezogener Daten oder über Darstellungen der eigenen Person selbst zu bestimmen, nicht geben kann, weil dies ganz unsinnige Folgen hätte. Das hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen selbst entschieden. Caroline von Monaco wollte nämlich, dass die Presse bestimmte Fotodarstellungen über sie nicht veröffentlicht, und hat versucht, einen Anspruch darauf mit dem Recht auf Selbstdarstellung zu begründen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seinem Urteil (1 BvR 653/96 vom 15.12.1999) dazu entschieden, dass es ein Recht, nur so dargestellt zu werden, wie man es sich wünscht, von vornherein nicht gibt. Caroline hat im Weiteren Menschenrechtsbeschwerde am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht. Ich bin aber sicher, dass auch dieser Gerichtshof sich der Argumentation Carolines nicht anschließt. Es gibt kein allgemeines Verfügungsrecht über Darstellungen der eigenen Person.

In bestimmten und nur in bestimmten Konstellationen hat man allerdings das Recht, dass andere die Verbreitung von Informationen über die eigene Person unterlassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn man in eigenständigen Schutzgütern betroffen ist, wenn zum Beispiel der Anspruch auf Resozialisierung hinzu kommt. Man hat ein Recht, dass ein Journalist nicht mit Namen, Foto und Schlagzeilen wie "Mörder kommt in die Wohngegend X" über einen berichtet, wenn man gerade aus der Haft entlassen worden ist.

Läuft es nicht dem liberalen Ansatz zuwider, den ja auch Recht auf informationelle Selbstbestimmung verfolgt, wenn man nun einzelne Schutzinhalte von vornherein definiert?

Marion Albers: Das Arrangement, das mit dem liberalen Verständnis der Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte einhergeht, ist nur scheinbar wertfrei. Dem liberalen Ansatz geht es in der Tat darum, Freiheit nicht von vornherein in bestimmter Weise zu beschreiben. Denn allein durch die Beschreibung als solche schränkt man die freiheitsrechtliche Position derjenigen Person ein, die die Freiheit wahrnimmt.

Dass der liberale Ansatz hier möglichst wenig Restriktionen setzt, macht seine Faszination aus. Er hat aber auch eine Kehrseite: er funktioniert nur bei bestimmten Schutzgütern, nämlich bei denjenigen, die man individualistisch denken kann, also etwa Verhaltensfreiheiten. Das sind nicht zufällig die traditionellen Schutzgüter. Und wegen dieser Funktionsbedingungen und Einschränkungen ist der liberale Ansatz keineswegs wertfrei. Der Schutz einzelner Personen im Hinblick auf den Umgang des Staates oder privater Dritter mit den personenbezogenen Informationen und Daten ist im traditionellen Ansatz lange Zeit gar nicht aufgetaucht. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass es sich um einen Schutz handelt, der nur als "soziales" Recht angemessen konzipiert werden kann. Das aber geht nicht ohne klare und offen gelegte Wertentscheidungen.

Die Rolle der Privatsphäre

Eine der wesentlichen Einsichten des 1983er Volkszählungsurteils war es ja, den Schutz von Daten und von Informationen weitgehend vom Schutz der Privatsphäre zu lösen. Im Urteil heißt es: "Wieweit Informationen sensibel sind, kann hiernach nicht allein davon abhängen, ob sie intime Vorgänge betreffen." Welche Rolle spielt die Privatsphäre in Ihrer Konzeption besonderer "Schutzziele" und "Schutzgüter"?

Marion Albers: Der Begriff der Privatsphäre ist in der juristischen Diskussion mit dem Volkszählungsurteil erst einmal untergegangen, weil man den Datenschutz gerade nicht mehr davon abhängig machen wollte, dass man Daten als "privat" charakterisieren kann. Wenn man auf eine Versammlung geht und von Polizei oder Verfassungsschutz gefilmt wird, dann kann man dies ebenso wenig unter Berufung auf das Privatsphärenkonzept kritisieren wie die Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Manche Juristen, die am Privatsphärenkonzept festhalten, gehen dementsprechend davon aus, dass jemand, der sich in der Öffentlichkeit mit seinen Meinungen präsentiert, gar keinen Schutz dagegen genießt, mit seiner Versammlungsteilnahme oder Meinungsäußerung in Dateien des Verfassungsschutzes zu landen. Mit dem Volkszählungsurteil ist aber richtigerweise anerkannt worden, dass der Datenschutz auch solche Konstellationen, also auch das Auftreten und die Grundrechtswahrnehmung in der Öffentlichkeit, erfassen muss.

Im Gegenzug hat die Abstraktion des Schutzes zum "Datenschutz" dazu geführt, dass am Ende kein material gewichtiges Schutzkonzept mehr erkennbar war. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht den Schutz einer "Privatsphäre" inzwischen - neben dem "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" - wieder eingeführt. Er beschränkt sich allerdings auf spezifische Konstellationen, in denen man auch alltagssprachlich von Privatsphäre reden könnte. Ein Beispiel dafür ist die schon genannte Entscheidung im Fall von Caroline von Monaco, die sich darum drehte, dass sich Caroline nicht in ihrer Meinung nach "privaten" Situationen von Paparazzi fotografieren lassen wollte.

Ich finde, dass dies Schritte in die richtige Richtung sind. In spezifischen Konstellationen kann man also mit dem Begriff der "Privatsphäre" besondere Schutzerfordernisse beschreiben und auf dieser Basis auch einen besonderen Informations- und Datenschutz entwickeln. Allerdings kann die "Privatsphäre" nicht der einzig relevante oder der zentrale Begriff sein. Hier unterscheidet sich die juristische von der philosophischen Diskussion (Ein wirres Durcheinander unterschiedlicher Dinge), in der der Begriff der Privatsphäre mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen werden kann. Juristische Argumentationstopoi müssen wegen ihrer Funktionen im juristischen Kontext inhaltlich bestimmt und begrenzt sein. Und deswegen wäre es im juristischen Kontext schädlich, den Begriff "Privatsphäre" in einem weitreichenden Umfang - etwa in die Richtung "individuelle Autonomie" - zu abstrahieren(s. Deliberieren hinter geschlossener Tür). Da es bei einem engen Verständnis der Privatsphäre viele Konstellationen gibt, in denen ein besonderer Informations- und Datenschutz erforderlich ist, den man aber mit dem Begriff der "Privatsphäre" nicht angemessen erfasst, muss man weitere Argumentationsmuster und Schutzgehalte entwickeln.

Insgesamt kommt es darauf an, den Schutz der Grundrechtsträger in den Situationen zu stärken, in denen wirklich ein Schutzbedürfnis existiert. Das setzt voraus, dass man den "Informationsschutz" anstelle des "Datenschutzes" in den Vordergrund rückt. Das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" ist mit dem allgemeinen Inhalt, wie er vom Verfassungsgericht vor zwanzig Jahren formuliert worden ist, und mit den gegebenen Einschränkungsmöglichkeiten ein zu abstraktes, zu blasses und zu schwaches Recht.