Betrifft: Linke Antworten auf Corona

Seite 2: Linke Antworten

Die paradoxen Forderungen an den Staat, angesichts der Pandemie Gesundheit, Erwerb und Freiheit gleichzeitig zu sichern, zeigen auch, dass weniger der Verstand als die Betroffenheit und Bestürzung der Ratgeber des Urteilens ist.

Wer so denkt, legt sich gar nicht die Frage vor, was an der Corona-Misere eigentlich dem Virus geschuldet ist und was auf die herrschenden Verhältnisse und ihre Widersprüche zurückgeht, die eine Pandemie antrifft und verschärft.

Warum etwa ein Pausieren der Produktion die Fallzahlen zwar senken würde, in dieser Gesellschaft aber an eine "Systemgefährdung" grenzt, oder woraus sich die Hierarchie privater Anrechte auf staatliche Kompensation ergibt, bei der manche leer ausgehen.

Es ist auch kein Thema, obwohl es naheliegt, dass die krisenbedingte Prekarität der Lebensverhältnisse schon in der kapitalistischen Normalform angelegt sein muss. Zu unterscheiden, statt in einen Topf zu werfen, wäre ebenfalls, welche staatlichen Maßnahmen einer medizinischen Sachlogik folgen und welche der Umgang mit dem Durcheinander konkurrierender Interessen sind, die der Staat bedienen oder beschränken will.

Die Unterbrechung von Infektionsketten z.B. ist eigentlich ein Gebot der Vernunft, die aber in ihrer bürgerlich-freiheitlichen Variante ohne Polizeimaßnahmen nicht auskommt.

Das unreflektierte Gefühl der Betroffenheit verleitet außerdem zum unqualifizierten Mitreden und kriegt im Fall von Corona oft nicht mehr mit, wann und warum es virologische Urteile besser den Experten überlassen sollte.

Ein Bedarf an Analyse und Aufklärung liegt also vor. Es ist aber fraglich, ob das Spektrum der Linken ihn in der beschriebenen Weise sieht und bedienen will.

An kritischen Gegenvorschlägen zur offiziellen Pandemie-Bekämpfung herrscht kein Mangel. In ihnen zeigt sich der innerlinke Zwiespalt, entweder "realistische" oder eben "unrealistische" Forderungen zu erheben.

Diese rechnen sich entweder als Verbesserungsvorschläge zur herrschenden Politik Chancen aus oder zielen am demokratischen und marktwirtschaftlichen Konsens vorbei und haben noch vor einem abschlägigen Bescheid von oben bereits die Schwierigkeit, in eine breitere Öffentlichkeit zu gelangen.

Statt zur Reflexion darauf, was man als Linker hierzulande überhaupt zu melden hat, führt das Dilemma eher zu wechselseitigen Vorwürfen überzogener bzw. mangelnder "Realpolitik". Was beide Richtungen teilen, ist das Abklingen von Hoffnungen und Forderungen, die zu Anfang der Pandemie noch lautstark bekundeten, nach Corona werde nichts mehr so sein wie zuvor.

Es sieht so aus, als ob sich dem "Zurück zu den alten Verhältnissen", das gestern noch zurückgewiesen wurde, heute auch Linke nicht verschließen können.

Die meisten linken Strömungen versuchen sich in das Hin und Her der gesellschaftlichen Gegensätze einzuklinken. Dabei kommen sie bezüglich der Schadensfälle ihrerseits zu Fehlurteilen, die ihren Adressaten über weite Strecken das mitteilen, was die sich ohnehin schon denken.

Hinsichtlich des Gesundheitswesens stellen die Kritiker das "Kaputtsparen" und die Privatisierungen in einen Zusammenhang zum Pandemie-Verlauf. Daran zeige sich, dass sich die Regierenden um Geschäft und Profite statt ums Wohlergehen der Bürger sorgten.

Keine stimmigen Antworten auf die Corona-Krise

Natürlich hinterlässt eine kapitalistische Gesundheitspolitik auch im Rahmen einer Pandemie ihre Spuren, was Kritik verdient. Aber wenn diese im Deuten auf die Zustände aufgeht, stimmen ihr in ihrer falschen Enttäuschung über den "pflichtvergessenen" Staat viele Leute gerne zu. Einerseits. Weil sie die medizinischen Leistungen aber für ihr Erwerbsleben brauchen und in Anspruch nehmen, erscheint ihnen und anderen die Behauptung, es gehe ums Geld und nicht um die Gesundheit, zugleich befremdlich. Ähnliches gilt dem missbilligenden Zeigefinger auf volle Fabrikhallen oder halbseidenes Homeoffice.

So wird eben nicht klar, was das für ein System ist, in dem die Bürger die staatliche Betreuung ihrer Gesundheit und ihrer Erwerbsquellen tatsächlich brauchen – dass also dieser Dienst, und nicht seine vermeintliche Vernachlässigung, ein Anlass zur Kritik ist.

Eine andere Richtung linker Wortmeldungen legt das Thema Gesundheitsschutz eher auf die Seite und interpretiert die staatliche Pandemie-Politik als wahrgenommene Gelegenheit für mehr und Schlimmeres. Maskenpflicht, Reiseverbote, Lockdowns, Impfkampagnen und ähnliches verlieren darüber ihre Besonderheit und werden zu Bestandteilen einer entweder als demokratiefeindlich oder "neoliberal" gesehenen Agenda.

Was den angeblichen Abbau der bürgerlichen Freiheiten betrifft, so speist sich der Vorwurf gerne und ausgerechnet aus einem urdemokratischen Phänomen, nämlich der Überprüfung des Staatshandelns auf Rechtsförmigkeit. Wenn die Exekutive beim Durchregieren seitens der Justiz, durch das parlamentarische Prozedere oder den Föderalismus auf Friktionen stößt, korrigiert sie sich – oder initiiert nötigenfalls gesetzliche und behördliche Nachbesserungen.

Diese rechtssichernden Maßnahmen und ihren Bezug zur jeweiligen Sachlage verpasst und verfremdet man gründlich, wenn man sie als Ausdruck eines leeren Machtstrebens des Staats gegenüber den Bürgerrechten deutet. Das gilt auch, wenn solche Gesetzesänderungen ihren Anlass überdauern. Verpasst wird dann ebenfalls, was der Staat sich verspricht, wenn er die Freizügigkeit, das freie Meinen oder das Demonstrationsrecht gewährt.

Was den "Neoliberalismus" angeht, so macht die Kritik geltend, der Staat dezimiere mittels Lockdown den gewerblichen Mittelstand zugunsten der globalen Geldeliten oder plane die Totalkontrolle durch eine Digitalwährung.

Da fragt es sich schon, ob der "Wumms" der Finanzhilfen samt der Sorge um die Kleinunternehmen im Lockdown nur Augenwischerei sind. Sachlich gehen solche "Enthüllungen" an dem vorbei, was als staatlich betreute Konkurrenz der Kapitale um Geld und mit ihm zu erklären wäre.

Verstiegen wird die Sache dann, wenn andere Linke, die sich zum Beispiel um "Zero Covid" bemühen oder zeigen, was volksgesundheitliche Maßnahmen sind, mit Helfershelfern des "autoritären Corona-Staats" oder eines obskuren "Avantgardekapitals" gleichgesetzt werden.

Ein Nachdenken im Sinn dieser Bestandsaufnahme könnte vielleicht weiterhelfen.

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