Big Brother ist den Providern zu teuer
Auf bis zu 150.000 Mark schätzt die Internetindustrie die Kosten für Bereitstellung der zum Abhören nach der vorgesehenen TKÜVnötigen Schnittstellen
Von den Providern schon fast vergessen, wurde sie im Februar vom Bundeswirtschaftsministerium zur allgemeinen Überraschung plötzlich wieder aus dem Hut gezaubert - die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV). Sie regelt das Abhören von Emails, SMS, Mailboxen, Telefonaten im Festnetz und per Handy sowie Voice-over-IP-Diensten durch staatliche Stellen wie Polizei, Justizbehörden, Zollkriminalamt, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz. Nachdem die ersten zwei Entwürfe nach heftigen Protesten aus der Wirtschaft noch zu Zeiten der konservativ-liberalen Regierung zurückgezogen werden mussten, liegt nun der dritte Entwurf, diesmal von Rot-Grün, vor.
Damit sich die interessierte Nutzergemeinde ein Bild machen kann, hat das Bundeswirtschaftsministerium den Entwurf (PDF-Datei) und eine Begründung ins Internet gestellt. Bis zur ersten Anhörung im Bundestags-Unterausschuss "Neue Medien" Anfang April kann nun über die Vorlage diskutiert werden. Die Verordnung konkretisiert das Telekommunikations-Gesetz (TKG) von 1996.
Die TKÜV verpflichtet die Betreiber von Telekommunikations-Anlagen, die ihre Dienste der Öffentlichkeit anbieten, zur Aufzeichnung und Weiterleitung der Daten, wenn die Strafverfolgungsbehörden eine Einzelfall-Anordnung gemäß der Strafprozessordnung treffen. Dazu müssen die Internet-Provider auf eigene Kosten feste Schnittstellen einrichten. Daran entzündete sich heftige Kritik des Branchen-Verbands Electronic Commerce Forum (eco).
Im Unterschied zu seinen Vorgängern nimmt der aktuelle Verordnungsentwurf die Betreiber von Nebenstellen-Anlagen, Unternehmens-Netzwerke und Hochgeschwindigkeitsnetze mit Datenübertragungen von über 2 Megabit pro Sekunde von der Pflicht aus, die nötige Lauschtechnik einzurichten. Telekommunikationsanbieter mit weniger als 2000 Kunden können sich einen "Gerätepark" mit anderen Verpflichteten teilen.
Provider wollen über hohe Kosten mit dem Wirtschaftsministerium verhandeln
Heftige Kritik am neuen TKÜV-Entwurf übte besonders der Provider-Verband Electronic Commerce Forum (eco). Auf bis zu 150.000 Mark schätzte sein Vorsitzender Michael Rotert die Kosten für die Bereitstellung der zum Abhören nötigen Schnittstellen und äußerte sich in einem Interview mit der Financial Times Deutschland darüber "schockiert". Auf Nachfrage erklärte eco-Geschäftsführer Harald Summa, diese Zahl stamme vom holländischen Provider-Verband. Er hatte Mitte Februar vor dem Konkurs eines Drittels der Anbieter von Internet-Zugängen in den Niederlanden gewarnt, wenn sich an der gesetzlichen Verpflichtung, bis April die Überwachungsgeräte anzuschaffen, nichts ändere (Abhörverpflichtungen bringen holländische Internetprovider in Schwierigkeiten).
Summa sagte, die teure Technik setze sich aus der Schnittstelle, dem Rechner und der Leitung zusammen. Man habe bei den holländischen Kollegen nachgefragt, auf welcher Berechnung deren Kostenschätzung von 150.000 DM beruhe, warte aber noch auf die Antwort. Grundsätzlich sei man über den neuen Verordnungs-Entwurf überrascht: "Wir sind davon ausgegangen, dass die TKÜV in der Schublade des Ministeriums vergammelt, und wurden im Vorfeld der Veröffentlichung auch nicht befragt." Das soll jetzt nachgeholt werden: In zwei Wochen trifft sich eco mit Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums. Dabei hofft der Geschäftsführer, die Behörde von einer günstigeren Kostenregelung für seine Klientel überzeugen zu können.
Denn nicht nur die teure Anschaffung der Lauschgeräte schlägt zu Buche, auch die Wartungskosten müssen von den Anbietern des Netzzugangs getragen werden. Das sind laut BDI 10.000 Mark pro Jahr. Weiteres Ungemach droht durch mögliche Schadensersatzforderungen. Denn die Provider sind verpflichtet zu prüfen, ob der Antrag der Fahnder auf Abhörung rechtens ist. Zeigt sich später, dass die Bespitzelung rechtswidrig war, drohen Schadensersatzansprüche der Betroffenen. "Ich kann allen Firmen nur raten, ständig einen Justiziar bereitzuhalten", empfiehlt eco-Vorsitzender Rotert. Was bekanntlich ein teurer Spaß ist.
Doch die ganze Kritik an der finanziellen Last, die den Providern aufgebürdet wird, kommt reichlich spät. Denn dies wurde bereits 1996 im Telekommunikations-Gesetz (§88) geregelt. Dass es dem Gesetzgeber damit nach wie vor Ernst ist, damit haben offenbar weder Verband noch einzelne Provider mehr gerechnet. Für sie ist aber noch nicht aller Tage Abend. AOL-Pressesprecher Jens Nordlohne: "Wir sind überzeugt, dass sich in den nächsten Wochen noch Änderungen ergeben werden. Das Problem der Kosten wird auch in der Politik kontrovers diskutiert. Und die Gefahr, dass die Kosten auf die Nutzer verlagert werden, wodurch das Surfen teurer würde, will man nicht eingehen. Schließlich will die Regierung die Internet-Nutzung billiger machen." Ohnehin gebe es billigere Abhörmöglichkeiten, die bereits in der Verfolgung des Kinderporno-Handels eingesetzt worden seien; Einzelheiten dazu wollte er aber nicht nennen. Auch der Branchen-Primus T-Online setzt auf Zeit. Man prüfe derzeit den Verordnungstext. Es sei ohnehin nur ein Entwurf, hieß es in der Pressestelle des rosa Riesen.
Im zuständigen Bundeswirtschaftsministerium gibt man sich nach der laut gewordenen Kritik konziliant: "Wir haben die TKÜV absichtlich früh ins Netz gestellt, damit sich alle Beteiligten bis zur Anhörung im April damit befassen können", teilte Pressesprecher Frank Bonaldo mit. "In Abwandlung eines bekannten Zitats sage ich mal: Kein Entwurf kommt so heraus wie er hereinkommt."
Auf alle Fälle müssten die Provider detailliert nachweisen, wie sie auf die Summe von 150.000 Mark kämen. "Diese Zahl ist nach Ansicht unserer Experten deutlich zu hoch", so Bonaldo. Rein rechtlich hat das Ministerium gute Karten. Denn "auch § 17a des Zeugen- und Sachverständigen-Entschädigungsgesetzes sieht keine Entschädigungen für Überwachungs-Vorkehrungen, sondern nur für zusätzlichen Personalaufwand vor. Eine staatliche Kostenübernahme gibt es normalerweise nicht. Dafür können Kosten steuerlich geltend gemacht werden", lautet der für die gebeutelten Provider wenig tröstliche Tipp des Ministeriumssprechers.
Bundesdatenschutz-Beauftragter äußert sich "grundsätzlich" zufrieden
Wo die Überwachung der Telekommunikation droht, sind die Kassandra-Rufe vor dem Big-Brother-Staat nicht weit. Doch bei dem dritten Entwurf der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) muss man sich vor schnellen Pauschalierungen hüten. Und so lautet die Beurteilung des Bundesdatenschutz-Beauftragten nach den Worten von Pressesprecherin Helga Schumacher "grundsätzlich zufriedenstellend". Besonders positiv sei, dass im Unterschied zu den ersten beiden Entwürfen nun die Betreiber von Nebenstellen-Anlagen von der Verpflichtung zur Anschaffung der Abhörtechnik befreit seien. Dazu zählen Krankenhäuser, Anwaltskanzleien, Gaststätten und Wohngemeinschaften. Auch Corporate Networks sind ausgenommen.
Allerdings lässt der Entwurf laut Schumacher noch einige Fragen offen. "Wie präzise muss die Anordnung der Überwachung sein? Wer oder was wird genau überwacht, eine bestimmte Mail-Adresse zum Beispiel? Sind die derzeitigen Protokollierungs-Vorschriften ausreichend? Diese Fragen müssen wir noch klären", sagte die Behördensprecherin. "Aber es ist auf alle Fälle ein Fortschritt, dass der Text zum ersten Mal öffentlich zugänglich gemacht wird", lobt sie die neue Offenheit der Regierung.
Die Verpflichtung der Provider, durch Einsatz geeigneter Technik den Strafverfolgern das Leben leichter zu machen, ist nicht neu. Bereits die Fernmelde-Überwachungsverordnung von 1995 hat den Zugangs-Anbietern dies vorgeschrieben. Und so räumt AOL-Pressesprecher Jens Nordlohne ein: "Wir arbeiten schon jetzt konstruktiv mit den Behörden zusammen." Entscheidend sei jedoch für AOL, "dass unsere Kunden nicht das Gefühl haben, dass sie ausspioniert werden. Denn das könnte für e-Commerce und Internet-Nutzung hierzulande einen Rückschlag bedeuten, den auch die Regierung nicht will."
Das Bundeswirtschaftsministerium weist nach den Worten seines Sprechers Frank Bonaldo darauf hin, "dass wir die Überwachung nicht ausweiten, sondern lediglich auf die neuen Kommunikationsformen übertragen". Das Spannungsfeld zwischen den legitimen Interessen des Datenschutzes und der Strafverfolgung gebe es schon lange. Bis zur Anhörung im Bundestag Anfang April könnten strittige Fragen noch geklärt werden. Eines, so räumt er ein, kann auch die neue TKÜV nicht ändern: Private Foren im Internet können nicht belauscht werden. Und deswegen tauscht sich dort die Zielgruppe der Verordnung, die organisierte Kriminalität, besonders gerne aus.