Bildung und Lernen: "Schule muss anders"
Seite 4: Schule muss wirklich anders
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Genauso wie es in Berlin – besonders vor dem Enteignungs-Volksentscheid – eine Mieterbewegung gibt, kann eine Gesundheits- oder eine Bildungsbewegung an Zustrom gewinnen.
Solche Bewegungen entstehen in einer Gesellschaft, deren Bruttosozialprodukt wächst, während zentrale Bereiche, die für die Entwicklung der menschlichen Vermögen wesentlich sind (wie z. B. das Bildungswesen), in schlechtem Zustand bleiben.
Im Bruttosozialprodukt gelten alle Inhalte gleich bzw. sind in ihm gleich gültig. Es steigt, wenn z. B. mehr Produkte schnell schnell veralten bzw. leicht kaputt gehen und mehr Ersatzkäufe stattfinden. (Einer 2013 erschienenen Studie über "Geplante Obsoleszenz" (also über vorsätzlich in die Produkte eingebauten Verschleiß) zufolge könnten die Verbraucher pro Jahr 100 Mrd. Euro sparen, wenn sie "nicht ständig neue Produkte kaufen, weil die alten zu früh kaputtgehen", Süddeutsche.de, 20.3. 2013).
Das Bruttosozialprodukt ist das Pseudonym des abstrakten Reichtums. Er orientiert sich an der Akkumulation des Kapitals. Die Vorherrschaft dieses abstrakten Reichtums schadet auch den Schulen. Die skizzierten Strukturen des Unterrichts entsprechen einer Gesellschaft, in der im Alltag – nicht am Sonntag – das Individuum als Humankapital gilt.
Es muss danach streben, sich auf Arbeitsmärkten als verwertbar zu erweisen (employability). Vielerlei Lernstoffe entwickeln "eine selbst objektive Seite oder Qualität, die an uns haftet", aber "nicht eigentlich uns" (Simmel 1986, 207).
Diejenigen, die "Schule muss anders" wollen, können es nicht dabei belassen, die Beschränkung der Schule durch knappe Mittelzuweisung zu bekämpfen. Gewiss würde sich einiges am Lernen ändern, gäbe es kleinere Klassen, mehr Förderunterricht, Teams aus unterschiedlichen Berufen u. ä. Lehrer sind sich schnell einig darüber, dass eigentlich mehr Geld in das Schulwesen gehört.
Brisant werden Kontroversen im Kollegium aber erst, wenn es um die Frage nach den Strukturen des Schulunterrichts geht. Die notwendige qualitative Veränderung wird sich nicht als Wirkung der quantitativen Erweiterung (mehr Lehrer, Sozialarbeiter usw.) einstellen.
Um den skizzierten Gegensatz zwischen zentralen Formen der Beschulung und dem guten Leben zu überwinden bedarf es – wir belassen es bescheiden bei einer Aussage über die Bildungsanstalten – nicht nur eines "mehr" an Schule, sondern einer anderen Schule.