Billiglohn im Schlachtgewerbe
Auch ohne Dienstleistungsrichtlinie funktioniert die Ausbeutung
Antibiotika im Schweineschnitzel? BSE? Wasser im Schinken? Salmonellen im Hähnchenbein? – egal, in Deutschland wird Fleisch produziert und konsumiert wie lange nicht mehr. Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge stieg die Produktion im vergangenen Jahr auf 6,6 Millionen Tonnen Fleisch, davon 4,3 Millionen Tonnen Schweinefleisch, 1,2 Mio. Tonnen vom Rind und eine Million Tonnen Geflügel. Eine Steigerung um 4,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Die Deutschen essen wieder mehr Fleisch – aber es wird auch fleißig exportiert – schließlich hat sich die deutsche Fleischindustrie zum Billiglohnland herunter entwickelt. In den meisten großen Schlachthöfen schuften inzwischen Arbeiter aus den neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten – für Hungerlöhne.
Matthias Brümmer, Sekretär der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) in Oldenburg, spricht von 6.000 Arbeitsplätzen in der Fleischindustrie, die in den letzten vier Jahren allein in der Region zwischen Oldenburg und Bielefeld verloren gegangen seien. Bundesweit, so Brümmer, waren es rund 26.000 ordentlich bezahlte Jobs. Doch die meisten Jobs gingen nicht verloren, weil es keine Arbeit mehr gibt, sondern weil die Unternehmen ihre einheimischen Arbeiter entlassen und durch Billiglohn-Kolonnen aus Osteuropa ersetzten. Branchengrößen wie die Firma Gausepohl sprechen in ihren Stellungnahmen selbst von mehr als 17.000 ausländischen Mitarbeitern in der Branche.
Bei der Norddeutschen Fleischzentrale (NFZ) in Emstek beispielsweise arbeiten rund 600 Mitarbeiter, 300 noch aus der Region, 300 aus allerlei Ländern.Das war mal anders. Albert S, aus Oldenburg, heute 31 Jahre alt und gelernter Schlachter, arbeitete zehn Jahre lang im Schlachtgewerbe.
Vor zehn Jahren, da haben wir gut verdient. Sogar Hilfsarbeiter haben 3- bis 4.000 DM bekommen, die Aufhänger, die haben im Akkord gearbeitet, die bekamen 4.000 DM. Diese Zeiten sind vorbei, heute bekommen die nur noch rund tausend Euro, um die Hälfe weniger.
Albert S. hat die Branche gewechselt, er macht eine Umschulung. Die Plackerei für immer weniger Geld hat Albert satt. Im Sommer vergangenen Jahres durfte er gemeinsam mit seinen Kollegen bei Standard Fleisch in Oldenburg die osteuropäischen Nachfolger auf ihren bisherigen Arbeitsplatz noch anlernen, dann wurden sie entlassen. Albert S. fuhr die nächsten Monate über 280 Kilometer zum Schlachthof in Bochum. Für drei Monate, dann kam auch dorthin Ersatz aus Polen.
Ausbeutung dank staatlicher Verträge
Die Umstellung auf "Billiglohn“ begann nach der Maueröffnung. Die damalige Regierung Kohl wollte Facharbeitern aus Ost- und Südosteuropa eine Weiterbildung in Deutschland ermöglichen. Deshalb wurden im Rahmen zwischenstaatlicher Abkommen beispielsweise mit Rumänien Arbeitskraftkontingente für einzelne Industriezweige vereinbart. Fortan sollten Schlachter aus rumänischen Betrieben für einen bestimmten Zeitraum die Möglichkeit erhalten, für den in Deutschland üblichen Lohn in deutschen Schlachthöfen arbeiten und sich fortzubilden, um anschließend nach Rumänien in ihre alte Firma zurückzukehren. Soweit das Abkommen und soweit die Theorie.
Tatsächlich bildete sich in Windeseile eine kriminelle Struktur. In Rumänien wurden Briefkastenfirmen gegründet, nicht selten gemeinsam mit deutschen Partnern wie beispielsweise Axel Hintzen aus Dormagen. Er betrieb gemeinsam mit Gabriel Sarbu, dem Bruder eines Politikers, der zuletzt rumänischer Arbeitsminister war, über mehrere Jahre hinweg verschiedene Firmen. Zumindest eine dieser Firmen, die Firma Donald’s, war nach Recherchen der rumänischen Fernsehsendung "Cutia neagra“ (Schwarze Box) lediglich eine Briefkastenfirma. Eine von vielen, die Arbeiter für wenig Geld nach Deutschland schickte.
Bei zahlreichen Firmen erfolgte die Anwerbung praktisch auf der Straße oder durch Kleinanzeigen. Gelernte Fleischer, aber auch arbeitslose Bauarbeiter wurden für die Arbeit in deutschen Schlachthöfen angeworben. Die Versprechungen klangen verlockend: 1200 Euro im Monat, geregelte Arbeitszeit, kostenlose Unterbringung und Transport hatte beispielsweise der Chef einer rumänischen Firma versprochen. Arbeiter wie Daniel Kincza vertrauten ihm. Was sie allerdings in Deutschland erlebten, fasst Kincza in einem Satz zusammen: "Es war wie im Lager."
Weil einer dieser Menschenhändler es zu wild trieb und im Winter 2003 seine rumänischen Arbeiter, die für ihre ausstehenden Löhne streikten, in ihrer Unterkunft in Badbergen nachts zusammenschlagen ließ, kamen bereits laufende Ermittlungen so richtig in Fahrt. Das Ergebnis: der Arbeitskräftevermittler Wilfried Ideke und die beiden Geschäftsführer des Schlachthofes D+S in Essen (Oldenburg) wurden im Spätsommer letzten Jahres in Oldenburg zu drei Jahren Haft bzw. zwei Jahren mit Bewährung verurteilt. Das war nur der Anfang, derzeit laufen Ermittlungen gegen mehrere große Schlachthöfe und Werkvertragsfirmen. Nach dem Oldenburger Prozess verständigte sich die Bundesregierung mit ihren rumänischen Partnern für die Fleischindustrie darauf, die Werkarbeitsverträge auslaufen zu lassen.
Nun wechseln etliche der Menschenhändler in die neuen EU-Mitgliedsländer, um dort Firmen zu gründen und Arbeiter für die deutschen Schlachthöfe anzuheuern. Wie zuvor den Rumänen wird nun den Polen, Tschechen oder Slowaken viel versprochen – und wenig davon eingehalten.
Zunehmend wird auch die restliche Stammbelegschaft durch Billiglohnkolonnen ersetzt. Statt acht oder zehn Euro erhalten diese Arbeiter oft nur zwischen drei und sechs Euro pro Stunde. Die Firma Westfleisch mit Werken im Raum Münster und Coesfeld beginnt damit, ganze Produktionsbereiche auszugliedern mit der Zielsetzung, weitere Teile der bisherigen Belegschaft ebenfalls durch Osteuropäer zu ersetzen. Schon jetzt werden von den Westfleischmitarbeitern Schichten von mehr als 12 Stunden Dauer verlangt, wie Telepolis und den zuständigen Behörden vorliegende "Zeiterfassungen“ belegen.
Ratloser Ratschlag
Auf einer Veranstaltung der niedersächsischen SPD-Bundestagsabgeordneten in Löningen machten Mitte Februar Betriebsräte und arbeitslose Fleischer ihrem Ärger Luft. Die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Gabriele Groneberg berichtete, dass sich die dänische Nahrungsmittelgewerkschaft öffentlich darüber beklage, dass die dänischen Fleischkonzerne große Teile ihrer Produktion ins benachbarte "Billiglohnland" Deutschland verlagern.
Im Gegensatz zum Schlachtvieh gelten hierzulande für die Arbeiter keine Mindeststandards, was Entlohnung oder soziale Behandlung betrifft. Im Baugewerbe existiert ein Flächentarifvertrag, in der Fleischindustrie nicht. Da nur wenige Fleischer in der Gewerkschaft organisiert sind, gibt es zudem kaum Betriebsräte, die diesem Namen auch gerecht werden. So schuften die Osteuropäer nicht selten für weniger als die Hälfte des Normallohnes, leben zusammengepfercht auf wenigen Quadratmetern. Polnische Arbeiter, die in Polen einen Arbeitsvertrag mit der Firma Multi-Job abschlossen, um bei Stöver in Wildeshausen, dem Frittenproduzenten von McDonalds, zu arbeiteten, erhielten in einem Monat etwas über 400, dann um die 200 und zuletzt gar keinen Euro mehr.
Als die Gewerkschaft NGG von Stöver den vorenthaltenden Lohn einforderte, erklärte sich die Firmenleitung als nicht zuständig. In einer anwaltlichen Abmahnung erläuterten die Rechtsanwälte der Firma Stöver deren Sicht der Dinge. Demnach stellte Stöver stellt lediglich den Arbeitsplatz, trägt aber nach Ansicht der Stöver Anwälte keine Verantwortung für die Arbeitsverhältnisse im eigenen Haus.
Weder waren die Mitarbeiter, von denen Sie sprechen, bei der Firma Stöver Produktion GmbH & Co KG tätig, noch waren sie dort über drei Monate tätig. Es gibt kein Arbeitsverhältnis der Firma Stöver Produktion GmbH & Co KG Fleischverarbeitungswerk mit polnischen Mitarbeitern. (...) Die Forderungen richten sich gegen Subunternehmen aus Warschau, deren deutsche Vertretung in Ostercappeln ansässig ist und die ohne Frage für die Firma Stöver Produktion GmbH & Co KG tätig ist. Damit ist aber weder die Firma Stöver Produktion GmbH & Co KG Arbeitgeber, noch beschäftigt sie zu Lohndumpingpreisen oder gar illegal solche Mitarbeiter. (...) Die Firma Stöver (...) hat auch keinerlei Einfluss auf die vertraglichen Beziehungen zu den einzelnen von anderen Unternehmen beschäftigten Mitarbeitern...
Auf der Veranstaltung der SPD-Bundestagsabgeordneten im münsterländischen Löningen fand sogar der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Gerd Andres angesichts solcher Zustände recht deutliche Worte. Im Chemnitz, so Andres, habe ein Unternehmen (gemeint ist Gausepohl) kürzlich sechzig Schlachter und Zerleger vor die Tür gesetzt, um sie durch eine in der Tschechischen Republik angeworbene Kolonne zu ersetzen. Andres dazu:
Wer solche Zustände für normal hält, der kann nicht ganz normal sein.
Der Beifall war ihm sicher. Doch zurück in Berlin fällt ihm und seinem Minister zur Lösung der Misere so recht nichts mehr ein. Immerhin hat der Kanzler erst kürzlich weiteres Ungemach für hiesige Arbeitskräfte verhindert, indem er gemeinsam mit dem österreichischen Kanzler und dem französischen Staatspräsidenten die geplante europäische Dienstleistungsrichtlinie stoppte. Wäre der bisher vorliegende Entwurf der EU-Kommission umgesetzt worden, hätten künftig in Osteuropa ansässige Firmen ihre Arbeiter ganz legal für den heimischen (Niedrig)-Lohn nach Deutschland schicken können.
Kern des Kommissionsentwurf war es, künftig das "Herkunftslandprinzip" anzuwenden. Das hätte bedeutet, Dienstleister hätten "einzig und allein den Rechtsvorschriften des Landes, in dem er niedergelassen ist" unterlegen. Damit wäre letztlich ganz Europa im Dienstleistungsbereich zum Billiglohnland geworden, in dem sich die betroffenen Branchen natürlich am niedrigsten Lohnniveau innerhalb der Gemeinschaft orientiert hätten. Dieser Entwurf scheint nun zunächst einmal erledigt zu sein.
Doch wie mit der auch ohne Dienstleistungsrichtlinie bestehenden Dienstleistungsfreiheit in Deutschland umgegangen werden soll, scheint unklar. Innerhalb der Bundesregierung zirkuliert eine Ideenskizze, verfasst vom ehemaligen Staatssekretär Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Dr. Martin Wille. Darin ist die Rede von verstärken Kontrollen seitens der zuständigen Stellen, wie Zoll (Finanzkontrolle Schwarzarbeit), Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften. Damit soll Druck auf die Fleischbetriebe ausgeübt werden, um zumindest die ärgsten Gesetzesverstöße künftig zu ahnden.
Außerdem soll es eine "vertiefte Prüfung“ darüber geben "ob und in welcher Form die Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes doch auf die Fleischbranche übertragbar sind“. Und dann wird die Deutsche Botschaft in Dänemark aufgefordert, über die dänische Situation zu berichten. In Dänemark ist die Rentenversicherung mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft verbunden. Schon deshalb gibt es dort starke Gewerkschaften, ordentliche Tarifverträge und hohe Löhne und - trotz EU-Mitgliedschaft - keinen Hungerlohn für Arbeiter aus Osteuropa. Wille schlägt vor "zu prüfen, ob in Dänemark geltende arbeitsrechtliche Regelungen auf Deutschland übertragbar sind.“
Ob das die inzwischen geschaffene Struktur noch mal ändert, bleibt abzuwarten. In Hamburg trafen sich am 4. März 2005 auf Einladung ihres deutschen Vizepräsidenten Josef Möllenberg Vertreter der Europäische Gewerkschaftsföderation für den Landwirtschafts-, Nahrungsmittel- und Tourismussektor (EFFAT aus Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien, Polen, Ungarn und der deutschen NGG, um künftig gemeinsam auf die desolate Situation nach der EU-Osterweiterung zu reagieren.
In einer gemeinsamen Erklärung wird "ein Europa ohne Grenzen“ begrüßt, und festgestellt, man lasse sich "nicht gegeneinander ausspielen“. Europa sei "nicht nur ein Wirtschaftsraum, sondern muss auch sozial gestaltet werden.“ Gemeinsam wolle man ein "europäisches Netzwerk von Betriebsräten, Job Stewards und Gewerkschaften schaffen sowie Tarifverträge und europaweit soziale Mindeststandards durchzusetzen.“ Möllenberg forderte die Arbeitgeber in der deutschen Fleischwirtschaft auf, endlich ihre Blockadehaltung aufzugeben und mit der Gewerkschaft NGG Sozialstandards zu vereinbaren.