Bio: Ein EU-Entwurf für den Schredder?
Breite Ablehnung der neuen EU-Öko-Verordnung
Kaum Verbesserungen für die Verbraucher, Vernachlässigung des Tierwohls - Unmut bei Händlern und Verunsicherung bei Bio-Landwirten: Die geplante Revision der EU-Öko-Verordnung sorgt für schlechte Stimmung in der Bio-Branche und Augenrollen bei Verbraucherschützern. Auch in den zuständigen Bundesministerien ist man skeptisch. CSU-Minister wollen sich vor die "kleineren Bio-Landwirte" stellen und sie vor der "Brüsseler Bürokratie" bewahren. Den deutschen EU-Abgeordneten wurde jüngst ein Offener Brief zugestellt. Hundertsiebenundzwanzig Unternehmen der Öko-Branche fordern darin, die geplante "Total-Revision" abzulehnen. - Werden die Verbraucher mit dieser Richtlinie für andere Ziele missbraucht?
Man wolle den Verbraucher vor Betrug in der Bio-Branche und einer Verwässerung der Standards schützen. Wo "Bio" drauf steht, solle auch wirklich nachhaltig Biologisches enthalten sein. Das war das ursprüngliche Anliegen der EU-Kommission, um eine neuerliche Revision der EU-Bio-Verordnung (sie wurde 2007 bereits komplett neu gestaltet) zu initiieren. Verbraucherschützer, aber auch Öko-Branchenverbände stehen einer Weiterentwicklung der Bio-Standards durchaus positiv gegenüber, zumal "schwarze Schafe" der Öko-Branche schaden würden. Tatsächlich gibt es speziell im Bereich der Geflügelzucht extreme Ausreißer, wie beispielsweise ein auf Recherchen von Tierschützern beruhender Bericht der ARD zeigt.
Tier-Transporte und Schlachtungen bleiben unberücksichtigt
Doch der vorgelegte EU-Entwurf scheint keinen der Stakeholder wirklich zu befriedigen. Wünschenswerte Verbesserungen im Bereich des Tierwohls wären nicht berücksichtigt, moniert der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV) in seiner offiziellen Stellungnahme. So gebe es keine verbindlichen Richtlinien zu Tiertransporten und Schlachtung der Tiere. Das werde aber ebenso wie klarere Regional-Kennzeichnungen vom interessierten Verbraucher gewünscht:
Gleiches gilt für die Anforderungen an den Tierschutz. Auch das hat die Kommission aufgegriffen und versucht in der Revision stärker umzusetzen. Jedoch fehlt noch ein umfassender Ansatz. So sollten unter anderem Rassen definiert werden, die für die ökologische Haltung geeignet sind. Des Weiteren fehlen verbindliche Vorgaben für die Überprüfung des Tierwohls. Die Initiative dreier großer nationaler Öko-Anbauverbände, sich auf einen einheitlichen Standard für die Beschreibung und Kontrolle des Tierwohls zu verständigen, begrüßen wir. Auch die EU sollte einen solchen Standard definieren, damit Tierwohl in den Betrieben messbar wird und Verstöße dagegen, leichter sanktioniert werden können. Auch sollten verbindliche Vorgaben für den Transport der Tiere, zum Beispiel zum Schlachthof sowie zur Schlachtung der Tiere erlassen werden.
Verbraucherzentrale Bundesverband
Zumindest die deutschen Bio-Anbauverbände haben hier offensichtlich schon selbst weit mehr im Sinne der Verbraucherschützer voran gebracht, als die EU-Behörden mit dem vorgelegten Verordnungs-Text.
Knackpunkt Pestizidrückstände und Kostenabwälzung
Große Verunsicherung bei den Bio-Landwirten und den Bio-Lebensmittelerzeugern löst eine geplante Regelung zur Begrenzung von Pestizidrückständen und sonstigen Verunreinigungen aus. Bereits im Januar dieses Jahres hatte es Gerüchte darüber gegeben (Aufregung in der Bio-Branche). So soll der Standard auf den von Baby-Nahrung gehoben werden, was nahezu einer Null-Toleranz gegenüber Pestizidrückständen gleich kommt. Dies könnte in Gebieten mit kleinteilig organisierter Landwirtschaft zum Problem werden, zumal es zu Einträgen durch benachbarte konventionell wirtschaftende Betriebe kommen kann.
Sollte die neue Bio-Verordnung tatsächlich implementiert werden, würden sich vor allem für kleinere Landwirte derart große Rechtsunsicherheiten ergeben, dass sie wahrscheinlich wieder auf konventionelle Landwirtschaft umsteigen würden. An einen Ausbau der Bio-Landwirtschaft, wie es sich der bayrische Agrarminister Helmut Brunner vorgenommen hat, wäre dann nicht mehr zu denken. Gegenüber der dpa kündigte Brunner kürzlich an, dass er sich vor die "kleinen Landwirte" stellen wolle.
Faktisch schnitten Bio-Produkte bei Kontrollen immer sehr gut ab, wie auch verschiedene europaweite Datenauswertungen zeigten. Probleme gab es eher bei Importen. Die derzeit bestehenden Grenzwerte werden auch von Verbraucherschützern als ausreichend angesehen. Dass man Kosten für weitere Kontrollen auf die Bio-Landwirte abwälzen könnte, sehen sie kritisch. Die Verordnung sieht noch die Möglichkeit vor, dass EU-Staaten durch Verunreinigungen entstandene Schäden für Bio-Landwirte finanziell ausgleichen können. Das würde aber das Verursacherprinzip umkehren und zudem die Steuerzahler belasten.
Die Möglichkeit, dass für eine nicht sachgerechte Arbeit konventionell wirtschaftender Betriebe Verbraucher über ihre Steuern zur Kasse gebeten werden können, lehnen wir ab. Stattdessen sollte hier nach dem Verursacherprinzip vorgegangen werden. Analog zur Rechtslage bei Kontaminationen mit GVO, sollte im Falle einer Kontamination jeder benachbarte Landwirt, der zum Beispiel Pflanzenschutzmittel einsetzt, gesamtschuldnerisch haften und für den Vermarktungsausfall beim ökologisch wirtschaftenden Landwirt durch das Vorhandensein nicht zugelassener Erzeugnisse oder Stoffe, aufkommen.
Bundesverband der Verbraucherschützer
Stakeholder- und Bürgerbeteiligung?
Die Bio-Branche ist über den Richtlinien-Entwurf derart verschnupft, dass Demeter-Vorstand Dr. Alexander Gerber einen Abschnitt seines Vortrags auf einer Fachtagung im Juli mit der Überschrift "Arroganz der Bürokraten" versah. Gerber kritisierte Ungereimtheiten im Vorfeld der Ausarbeitung der Richtlinien-Änderung. Stake-Holder-Befragungen hätten mit Suggestiv-Fragen operiert, so Gerber. Als Beispiel zitiert er folgende Frage: "Soll das Level für Pflanzenschutzmittelrückstände in Bioprodukten niedriger als in konventionellen sein?" Das kann tatsächlich als eine "No-Na"-Frage für den Verbraucher gewertet werden. Die entscheidende Frage ob man eine Reduktion von Schwellenwerten wünscht, wurde offenbar nicht gestellt.
Bei der Einschätzung von Grenzwerten ist allerdings ein gewisses fachliches Hintergrundwissen notwendig, das wahrscheinlich nur bei einem sehr kleinen Prozentsatz der Bevölkerung überhaupt gegeben ist. Der EU darf man zugutehalten, dass sie immerhin versucht hat, die Bürgerinnen und Bürger in einen Entscheidungsprozess einzubinden, wenngleich die gewählte Form nicht unbedingt repräsentative Ergebnisse liefert. Denn durchgeführt wurde eine Online-Befragung. Daran beteiligten sich 45.000 Menschen. Die "hohe Beteiligung" und den Ausgang der Befragung interpretierte der EU-Kommissar Dacian Cioloş als Beweis für die hohen Ansprüche der Bürger an den biologischen Sektor. Diese müsse man mit den realen Möglichkeiten eines Wachstums der Bio-Branche in Einklang bringen:
This success demonstrates that citizens have high expectations for organic agriculture. The organic sector is at a crossroads, facing important decisions for its future. Citizens increasingly see it as a benchmark for sustainable production and this provides real scope for the sector's growth. The challenge will be to meet the demand without losing the value of the sector and the level of standards but strengthening the link of trust with consumers.
Dacian Cioloş
Alexander Gerber von Demeter räumte im Rahmen einer Fachveranstaltung im Juli ein, dass das gesamte Procedere auf EU-Ebene zunächst durchaus erfolgversprechend begonnen hätte. Die weitere Abwicklung beurteilt er aber als unbefriedigend.
Sie (Anm. d. Red. EU-Kommission) setzt Stakeholder-Befragungen nur zum Schein ein. Die öffentliche Umfrage, die der Revision vorausging, war tendenziös. Bei Studien zur Folgenabschätzung der Gesetzesüberarbeitung wurden Ergebnisse beeinflusst. Für die Weiterentwicklung des Öko-Landbaus brauchen wir eine kohärente Politik.
Alexander Gerber
Experteneinschätzung
Angespielt wird dabei auf eine EU-übliche Folgenabschätzung, die letztlich als wichtige Vorlage zur Ausarbeitung der neuen Verordnung diente.
Kritiker bemängeln, dass bei dieser Folgenabschätzung viel zu wenig auf Erkenntnisse diverser Studien eingegangen worden wäre. So hatte die von der EU beauftragte umfassende Evaluierung der bestehenden EU-Gesetzgebung durch das Braunschweiger Thünen-Institut nur einige Punkte bezüglich der derzeitigen Praxis zu bemängeln. Verbesserungsmöglichkeiten wurden etwa bei den unterschiedlichen nationalen Regelungen in der EU angemahnt. In einer Pressemitteilung mit dem bezeichnenden Titel "EU-Ökoverordnung: gut aber es geht noch besser" schreiben die Studienautoren über weitere Bereiche, die zu wenig berücksichtigt wurden:
Weiteren Handlungsbedarf sehen die Evaluatoren unter anderem bei den Bereichen, die bisher nicht oder nur unspezifisch geregelt sind. Hierzu zählt beispielsweise der Energieverbrauch, die Wassernutzung oder die Bewirtschaftung von Naturschutzflächen.
Aus ökologischer Sicht sind Optimierungen in diesen Bereichen sicher angebracht. Man denke etwa an Südspanien, wo es riesige Flächen für Bio-Tomaten-Anbau gibt, die enorme Wasserreserven benötigen. Gegen Änderungen in diesem Bereich würden sich sicherlich nur spanische Produzenten und jene Bio-Produzenten wehren, die von den Bio-Tomaten abhängig sind. Die Verbraucher hätten hingegen wohl wenig gegen eine "Re-Ökologisierung" derartiger Produktionszweige einzuwenden.
Kontrollen zur Betrugsvorbeugung
Insgesamt gab es bisher die größeren Probleme bei Importen aus Drittländern. Hier gab es immer wieder Betrugsfälle und einiges verwandelte sich in teures "Bio"-Gut was nicht im Entferntesten damit zu tun hatte. Auch dürften es diverse andere EU-Staaten mit den Kontrollen nicht so genau nehmen wie beispielsweise Deutschland und Österreich, wo die Standards sehr hoch sind. Die Studienautoren von Thünen sahen in diesem Bereich Optimierungsbedarf. Das befürworten auch die großen deutschen Branchenverbände. Sie drängen auf Verbesserungen bei der Umsetzung auf Basis bestehenden Rechts. Antje Kölling, verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit im Branchenverband Demeter, konkretisiert gegenüber Telepolis:
Wir denken, dass die Umsetzung bestehenden Rechts zielführender wäre als eine Totalrevision der Bio-Verordnung. Zum Beispiel sollte das Kontrollsystem noch effektiver werden, um Betrugsfälle zu vermeiden. Dazu bräuchte es verstärkte Kontrollen an Risikopunkten und besseren Informationsaustausch zwischen Behörden über Ländergrenzen hinweg. Bei der Qualitätssicherung durch Kontrollen geht es letztlich um den Ruf der Branche. - Das Procedere um die EU-Verordnung bindet aber viele Kräfte. Die damit beschäftigten Beamten haben jetzt eben weniger Zeit, neue Maßnahmen zur effizienten Umsetzung bestehender Regeln auszuarbeiten.
Antje Kölling
Keine Bio-Milch an der Tankstelle?
Durchwegs positiv bewertet wird das geplante Verbot von Doppelführungen auf einem Hof. Künftig soll es nicht mehr möglich sein, einen Teil (z.B. Viehzucht) ökologisch und einen anderen Teil konventionell zu führen. Der EU-Abgeordnete Martin Häusling (Grüne) nennt in einem Briefing-Papier noch weitere "positive" Punkte, beispielsweise die geplante Aufhebung nationaler Ausnahmeregelungen oder die Umstellung auf hundert Prozent Saatgut aus ökologischer Produktion bzw. "Jungtiere aus ökologischer Erzeugung" mit einer Übergangsregelung bis 2021.
Häusling spricht sich aber vehement gegen neue Kontrollpflichten für Einzelhändler aus. Entsprechend der neuen EU-Bio-Verordnung müssten kleinere Händler zusätzliche Kontrollen für Bio-Ware durchführen. Beispielsweise müsste ein Tankstellen-Shop für den Verkauf von Bio-Milch eigene Kontrollen durchführen. Das würde wahrscheinlich dazu führen, dass die kleineren Händler Bio-Ware einfach auslisten, zumal der Aufwand zu groß wäre. Häusling dazu:
Alle Einzelhändler, die Bioprodukte anbieten, sollen kontrollpflichtig werden. Schon heute ist jeder Handelsbetrieb, der selber abpackt oder aufbereitet, kontrollpflichtig. Nun sollen auch die Einzelhändler von abgepackter Ware kontrollpflichtig werden. Das ist ein enormer bürokratischer Aufwand ohne jeden Nutzen für die Sicherheit biologischer Lebensmittel. Ein Bioangebot kleiner Läden wäre damit extrem erschwert. Unverständlich bleibt, warum ausgerechnet Großverpfleger von dieser Kontrollpflicht ausgenommen werden sollen.
Martin Häusling
Verkomplizieren bis zum Öko-Aus?
Die neue EU-Verordnung wird von Seiten der zuständigen Ministerien ebenfalls kritisch gesehen. Nach Einschätzung von Bundesminister Christian Schmidt (Ernährung und Landwirtschaft) liefere die Verordnung "keine geeigneten Antworten" auf die Schwachstellen. Er führe zu "deutlichen und ungerechtfertigten" Erschwernissen für Bio-Produktion und Handel. Er wäre froh, dass der Öko-Landbau sein "Nischendasein" verlassen hätte. Und:
Wir dürfen nicht riskieren, dass insbesondere kleine und mittlere Betriebe in Deutschland reihenweise wieder aus dem ökologischen Landbau aussteigen, weil sie die überzogenen Anforderungen schlichtweg nicht mehr erfüllen können.
Christian Schmidt
Zurückhaltender zeigt sich das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Bau. In einem Schreiben an den Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) räumt man allerdings Diskussionsbedarf mit den Partnern in Brüssel ein.
Die Bio-Branchenvertreter machen indes weiter mobil gegen die EU-Bio-Verordnung. Sie hoffen, dass über das EU-Parlament die Regelung noch verändert wird. Die zuständigen Ausschüsse werden erst nach der Sommerpause Anfang September wieder zusammentreten. Sollte sich dann nichts bei den wichtigsten Kritik-Punkten ändern, so wird sich die EU einmal mehr den Vorwurf der "Bürgerfeindlichkeit" gefallen lassen müssen.
Aus Sicht der Verbraucherschützer würden Verbraucher in diesem Fall sogar für ganz andere Ziele missbraucht. Jutta Jaksche vom Bundesverband der Verbraucherzentralen auf der Fachtagung der BÖLW dazu:
Der Kommissionsvorschlag löst aus Sicht der Verbraucher keine Probleme, sondern die Verbraucher werden hier für andere Zwecke missbraucht. Der Entwurf müsste komplett anders aussehen, wenn die Kommission wirkliche Verbesserungen für die Verbraucher erreichen möchte, wie z.B. klare, ambitionierte Regeln für Bio-Produkte oder eine bessere Regionalkennzeichnung.
Jutta Jaksche
Ihr Fazit: "Den Vorschlag schreddern."