Bitcoin und Co: Kryptische Perspektiven für die Finanzsysteme

Seite 3: Kryptische Konkurrenz für den US-Dollar

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All das ist noch weitgehend Zukunftsmusik. Auf dem Feld der internationalen Politik stellen Kryptowährungen indessen bereits heute eine handfeste Herausforderung der bestehenden Machtverhältnisse dar. Als in Russland im vergangenen Jahr über Verbote und Blockaden von Krypto-Handelsplätzen diskutiert wurde, äußerte der russische Tech-Unternehmer Pavel Durow seine Kritik daran mit dieser Begründung: "Zum ersten Mal seit 70 Jahren hat das globale Finanzsystem die Chance, die Hegemonie der USA abzuwerfen, welche der Welt ihre nationale Währung als Reserve aufgezwungen hat."

So ähnlich dürfte der russische Präsident Wladimir Putin das auch sehen. In diesem Kontext spielt nicht nur der geplante Krypto-Rubel eine Rolle, sondern auch der mögliche Einsatz von Kryptowährungen im internationalen Handel und auf den Weltfinanzmärkten. Schon seit Jahren versucht die russische Regierung, eine Alternative zum internationalen Zahlungssystem Swift aufzubauen, bisher ohne Erfolg.

Über Swift werden internationale Transaktionen zwischen Banken und anderen Finanzinstituten abgewickelt. Es ist kein Geheimnis, dass dabei regelmäßig vertrauliche Daten an US-amerikanische Behörden, neben dem US-Finanzministerium auch an die CIA, übermittelt werden. Durch Swift kann die US-Regierung eine weitgehende Kontrolle über die globalen Finanzmärkte und damit über den gesamten internationalen Handel ausüben und beispielsweise auch ausländische Institute bestrafen, die sich nicht an US-Sanktionen beteiligen.

Im Zuge des Ukraine-Konflikts und der westlichen Sanktionen gegen Russland kam zudem immer wieder die Forderung auf, die russischen Banken ganz aus dem Swift-System auszuschließen, was einer internationalen Isolierung des russischen Finanzsystems gleichkommen würde.

Auch Swift gehört indessen zu den Intermediären, die durch Blockchain-basierte Zahlungssysteme umgangen werden können. Mit Kryptowährungen lassen sich internationale Finanz- und Handelsgeschäfte problemlos ohne vermittelnde Finanzinstitute abwickeln.

Im Dezember wurde erstmals eine Schiffsladung russischer Weizenexporte in die Türkei mit Bitcoin bezahlt. Die Prime Shipping Foundation, ein Blockchain-Projekt mit Sitz in Gibraltar, wickelte das Geschäft ab. Sie plant, langfristig eine eigene Kryptowährung für den grenzüberschreitenden Handel mit Lebensmitteln einzuführen. Auch mit Sanktionen belegte Staaten könnten damit Lebensmittel importieren.

Mit staatlichen und nicht-staatlichen Kryptowährungen lassen sich alle möglichen Arten von Finanzblockaden umgehen. Das historisch wohl erste Beispiel dafür ist Wikileaks. Nachdem die Enthüllungsplattform 2010 geheime US-Dokumente aus dem Irakkrieg veröffentlicht hatte, kappte die US-Regierung durch Druck auf Banken und Bezahldienste sämtliche Finanzierungswege. Wikileaks bat daraufhin um Bitcoin-Spenden. Das scheint ganz gut geklappt zu haben. In einem ironischen Tweet bedankte sich der Gründer Julian Assange letztes Jahr bei der US-Regierung, da der Bitcoin-Kurs seitdem um über 50.000 Prozent zugelegt habe.

Etwas Ähnliches, wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen, versucht zurzeit der venezolanische Präsident Nicolás Maduro. Mit Hilfe des "Petro" will er die Finanzblockade durchbrechen, mit der die USA das wirtschaftlich ohnehin ruinierte Land zusätzlich strangulieren. Der Wert des Petro soll sich am Ölpreis orientieren und durch die Ölreserven im Orinoco-Fördergebiet gedeckt sein. So will Maduro vor allem das Vertrauen internationaler Investoren gewinnen.

Das Problem ist, dass Maduro das Vertrauen der Bevölkerung Venezuelas größtenteils verloren hat. Er hat das gewählte Parlament entmachtet und regiert zunehmend wie ein Diktator. Ob eine staatliche Cyberwährung unter solchen Bedingungen erfolgreich sein kann, ist zumindest zweifelhaft. Solange die Bevölkerung kein Vertrauen in den Staat hat, wird sie ihr Einkommen weiterhin in Bitcoin und US-Dollar in Sicherheit bringen und den Petro meiden.

Das Beispiel Venezuela zeigt jedoch, wie sich internationale Machtstrukturen durch staatliche Cyberwährungen verschieben. Anders als viele Venezolaner zeigte sich die US-Regierung von Maduros Petro nicht amüsiert. Nachdem Maduro verkündet hatte, mit internationalen Investoren zu verhandeln, drohte sie, wer Petros kaufe, verletze die US-Sanktionen. Doch wird es den USA gelingen, die Namen der Investoren herauszufinden?

Je stärker sich Kryptowährungen im internationalen Handel und als Staatsgeld durchsetzen, desto mehr schrumpfen die Möglichkeiten der USA, missliebige Staaten und Organisationen durch Finanzblockaden zu strangulieren. Gleichzeitig verliert der US-Dollar dabei unweigerlich seine Rolle als Weltleitwährung. Die ohnehin bröckelnde Hegemonialposition der USA wird durch Kryptowährungen weiter geschwächt.

Überraschende Perspektiven für Bitcoin und Co. Es ist nicht genau das, was den Erfindern vorschwebte, als sie vor zehn Jahren die Geschichte der Kryptowährungen starteten. Keine "finanzielle Freiheit" für Freaks und Milliardäre. Kein Geld, das ohne Vertrauen funktioniert. Aber einige der Werte, die den Bitcoin-Revolutionären am Herzen lagen, finden sich in dieser Zukunftsperspektive wieder, wenn auch anders als gedacht - Dezentralisierung, Enthierarchisierung, Demokratisierung.

In der internationalen Politik führen staatliche und nicht-staatliche Kryptowährungen zu einer Enthierarchisierung, indem sie die Hegemonialmacht USA ihrer finanziellen Erpressungsinstrumente berauben. Im Euroraum und für Regionen könnte das Cybergeld für eine Dezentralisierung der Macht genutzt werden. Und auf der globalen Ebene könnte staatliches Kryptogeld die Handlungsfähigkeit der Politik gegenüber den Märkten wieder vergrößern und dadurch die Demokratien stärken.