Blaupausen für die Ukraine
Seite 2: Blaupausen erprobter Kriegs-Strategien ergeben keine Friedenslösung
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Was bleibt ist ein schlimmer Krieg, der über die Notlage in der Ukraine hinaus die Frage aufwirft: Was kommt nach Putin?
Nach der jahrelangen Dämonisierung mag es verführerisch klingen, wenn er nicht mehr der Präsident Russlands ist. Wenn wir auch diesbezüglich Parallelen in der Entwicklung auf dem Balkan abklopfen, dann zeichnet sich nicht das demokratischste Bild ab; sondern die Erstarkung von Ultra-Nationalismen.
Immer wieder für die Ukraine diskutiert, als beispielsweise SS-Runen auf Helmen des Asow-Regiments in den ZDF-Nachrichten auftauchten, könnten sich auch in Russland Faschisierungstendenzen durchsetzen. Eine relativ junge Nachricht aus Slowenien über Pläne für neue Grenzziehungen entlang ethnischer Gruppen lässt jeden Balkan-Kenner erschaudern.
Als Torwart Manuel Neuer ein kroatisches Lied einer rechtsextremen Band mitsang, spült der Skandal das Thema Extremismus etwas an die Oberfläche. Dabei ist es immer wieder einmal Medienthema. So meinte der MDR in Kroatien einen Rechtsruck auszumachen, während die Deutsche Welle eher eine Kontinuität festzustellen meint. Und Extremismus-Tendenzen gibt es nicht nur in Osteuropa.
Vielleicht wird man die Rolle Putins, aus der Zukunft betrachtet, noch einmal anders bewerten. Die US-amerikanische Rand-Corporation jedenfalls hatte mit ihrem Report 2021 der russischen Regierung defensives Verhalten bescheinigt, einen Perspektivwechsel verlangt und deeskalierende Empfehlungen an die US-Regierung gegeben, die nicht befolgt wurden. Das Worst-Case Szenario ist nun eingetreten.
Woran sich direkt die Medienfrage anschließt: Welches ist die Aufgabe der Medien? Was muss geleistet werden? Besonders in der Krise. Sind die Blickwinkel weit genug? Ist man zu nah dran und droht wichtige Fakten zu übersehen?
Letztere Frage stellt sich wiederum aus einem Déjà-Vue Moment heraus, nämlich dem medialen Katzenjammer nach dem Kosovo-Krieg, wo nach dem Krieg und vielen toten Zivilisten auch durch Nato-Bombardements selbstkritisch erörtert wurde, ob man sich zu sehr als Kriegspartei hat hereinziehen lassen. Die Aufarbeitung dieser Frage ist inzwischen geschehen – an dieser Stelle sei auf zwei Autoren verwiesen, die das Thema wissenschaftlich erfassen: der Historiker Kurt Gritsch und der Medienwissenschaftler Jörg Becker.
Einen Hoffnungsschimmer im aktuellen Aufrüstungschor stellt Georg Restle vom WDR-Monitor dar, der in einem Tweet die Fehlentwicklung auf den Punkt bringt:
Die neue deutsche Aufrüstungsdebatte ist so hilflos wie verlogen: Als hätte selbst eine perfekt ausgerüstete Bundeswehr der #Ukraine heute geholfen. Als hätte Wettrüsten je Kriege verhindert. Als hätte der Ausstieg aus internationalen Rüstungskontrollverträgen Frieden gebracht.
Georg Restle
Auch das bereits erwähnte Interview im Deutschlandfunk mit Florian Zollmann stellt einen Lichtblick in die richtige Richtung dar – wenn man ihn denn ernst nimmt. In der Tat arbeitet(e) das Bedienen einer polarisierenden Schwarz-Weiß-Malerei ohne Differenzierungen letztendlich dem Krieg zu.
Was wird ausgeblendet?
Während der Aufrüstungschor ohrenbetäubend eine Floskel nach der anderen formulieren darf, ohne kritische Einordnung und Gegenstimme, bleiben die kreativen und nachhaltigen Möglichkeiten konstruktiven Handelns unbeleuchtet – wie sie etwa die US-amerikanische Frauen-Friedens-Organisation Code Pink vertritt.
Vermutlich scheinen sie auch darum nicht auf, weil Putin als völlig irrationaler Aggressor ausgemacht wird; das beste Mittel, um Kommunikationskanäle zu verschließen. Das gelingt nach langen Jahren der Stigmatisierung – worauf u.a. die langjährige Russland-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz hinweist – und verleitet dazu zu glauben, man hätte keinen gleichwertigen Verhandlungspartner und könne deshalb auch nicht verhandeln. Das ist das Israel-Palästina-Moment in der aktuellen Krise. Das schafft Facts on the Ground auf Kosten von Menschen und Gerechtigkeit und verbleibt in einer Gewaltspirale – ist also ungeeignet als Modell.
Der Einmarsch in die Ukraine dürfte sich als großes Fehlkalkül erweisen. Aber statt die aus der Propagandaforschung bekannten Reflexe der Psychiatrisierung zu erkennen, die verhindern sollen, dass man sich auf die Sicht des "Irren" und die Analyse der Gegenseite zugunsten eines Gesamtbilds einlässt, fällt man erneut auf sie herein. Dabei wissen wir, dass es dieses selbstidealisierende Schwarz-Weiß nirgends gibt. Die Waffenlobbyisten dürften der aktuellen Entwicklung freudig entgegenblicken, die Aktienkurse stehen auf Wachstum, wie die FAZ berichtet.
Ergänzt man ein Fakt, worüber in der Vergangenheit bereits berichtet wurde, wenn auch nicht in diesem Kontext, dann könnte sich die Einschätzung der Lage zudem ändern. Der Freidenker-Verband weist in einer sich sehr auf die russische Perspektive einlassenden Stellungnahme auf ein wichtiges Fakt hin: Die Entwicklung von Hyperschallwaffen durch die USA, worüber der Spiegel bereits 2003 berichtete, wird die Reaktionszeit im Fall eines tatsächlichen oder vermeintlichen Abschusses von einer derzeit in Europa stationierten Rakete Richtung Moskau von einer halben Stunde auf wenige Minuten verkürzen.
Damit wird der Rückschlag nicht unwahrscheinlicher, sondern wahrscheinlicher, weil Zeit zur Klärung fehlt – und Russland hat inzwischen vergleichbare Systeme entwickelt, wie wiederum der Spiegel berichtete.
Interessant ist an dieser Stelle, wie die Arbeitsweise in Medien anscheinend verhindert, dass man selbst Schlüsse aus der eigenen Berichterstattung zieht. Denn integriert man die diversen Berichterstattungen zum Thema, dann wird klarer, was mit gegenseitigen Sicherheitsinteressen gemeint sein könnte.
Aber auch ohne die eigene Sicht auf einen immer dämonischer wirkenden Putin und die gleichzeitig zum Verteidigungsbündnis mutierende Nato zu hinterfragen, kann es gelingen, die möglichen Konsequenzen aus diesem Krieg und der sich weiter drehenden Rüstungsspirale zu ziehen, indem man sie in die globalen Herausforderungen einordnet.
Angesichts endender Ressourcen einer durch menschliches Wirtschafen vergifteten Welt, die wir dreimal täglich verbrauchen, stehen erhöhte Rüstungsausgaben nicht auf dem Programm – sondern Konversion und Kreislaufwirtschaft, Energiewende und vielfältige Kooperationen zur Sicherung des Lebensraums für die echte Humanität, das Überleben des Menschen. Irgendein Machtwahn, wie der Philosoph Hans Köchler es analysiert, wird uns dabei nichts nützen. Und das Klima braucht uns nicht.
Der Ausstieg aus dieser fatalen Logik kann nur mit Verhandlungen gelingen. Es ist ein Fehler diese Möglichkeiten abzusagen und auf eine fatale Kriegslogik zu setzen, an deren Ende auf jeden Fall und sowieso Verhandlungen stehen werden. Lassen wir die Menschen in Osteuropa nicht im Stich!
Sabine Schiffer leitet das unabhängige Institut für Medienverantwortung (IMV) in Berlin. In ihrem Lehrbuch "Medienanalyse" stellt sie das notwendige Handwerkszeug für die Analyse von Medienbeiträgen zusammen. Das IMV richtet sich an Medienschaffende und Mediennutzende gleichermaßen und klärt über Darstellungsmechanismen, Medieninhalte und Produktionsbedingungen auf und bietet Medienbildung in Seminaren, Publikationen und Konzepten.