Bodenständig, banal und wenig sexy?
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Wie sich Deutschland mit seinen Kultur- und Bildungseinrichtungen im Ausland darstellt. Und warum die architektonische Sachlichkeit dennoch visionär ist
In einem Cartoon des großen Hans Traxler sitzt, im dichten Urwald, ein Paar vor einer Hütte und blickt auf ein kleines, akkurat angelegtes Beet. Der Mann sagt zur Frau: "Man könnte meinen, Gott sei sich seines chaotischen Naturells schmerzlich bewusst. Warum sonst hätte er sich die Mühe gemacht, uns Deutsche zu erschaffen?" Das sagt einiges aus über das (Selbst-)Bild der Deutschen.
Und da das Ordnen von jeher eine der vornehmsten Aufgabe des Architekten war, könnte man die Aussage auch in diesen Kontext stellen: Die Menschen müssten sich ihres chaotischen Naturells schmerzlich bewusst sein – warum sonst würden sie sich die Mühe machen, sich von Architekten ihre Häuser bauen zu lassen?
Wie sich "die Deutschen" durch ihre Bildungs- und Kulturbauen im Ausland repräsentieren, ist ab ovo eine zweischneidige Frage – ganz abgesehen davon, ob man durch Bauen überhaupt noch neu ordnen kann. Zum einen ist das Konzept von nationaler Zugehörigkeit und Zuordnung zunehmend relativ geworden und kaum mehr in Kategorien eindeutiger Differenzierung zu denken (mögen Pegida und AfD hier auch anderer Auffassung sein).
Zum anderen wirkt das kulturelle Repertoire bei der Formulierung von Eigenbildern ubiquitär und damit tendenziell beliebig. In dieser Situation erscheint es so naheliegend wie sinnvoll, wenn das spezifisch Deutsche in seinem architektonischen Auftritt pragmatisch und bodenständig daherkommt, wenn es sein Heil nicht in gestalterischer Extravaganz oder gewagten Experimenten sucht. Gefragt ist eher, sich in das bereits Bestehende hineinzuversetzen, als ihm Neues entgegenzusetzen.
Heimisch-Werden in vormodernen Gebäuden
Bei den deutschen Goethe-Instituten standen und stehen ohnedies keine potenziell prestigeträchtigen Neubauten an. Vielmehr ist ihre Architektur von den Begriffen Umbau und Sanierung geprägt – oder man ist gar, wie in Almaty oder in Taschkent, "zur Miete" untergebracht.
Das passt insofern ins Bild, als die Haltung gegenüber dem Vorhandenen, der Umgang mit dem Bestand ja längst so etwas wie die Gretchenfrage der Architektur darstellt. In der heutigen Zeit, in welcher der Umfang von Gebäudesanierungen jenen der Neubautätigkeit deutlich übersteigt, stellt sich diese Frage mit Vehemenz.
Zumeist handelt es sich um ein erneutes Heimisch-Werden in vormodernen Gebäuden. In Jakarta etwa wurde die unter Denkmalschutz stehende ehemalige Deutsche Schule aus den Jahren 1911–12 behutsam saniert und ergänzt. Auch in Thessaloniki residiert das Goethe-Institut in einer vormals Deutschen Schule, bestehend aus drei um 1930 erbauten Gebäuden auf einer recht weitläufigen Fläche südlich des Stadtzentrums.
Hie wie da zeigt sich, dass Bauten ein selbstreferenzielles Bezugssystem bilden, das bei Umbauten in unterschiedlicher Weise wirksam wird – etwa durch Anerkennung, Betonung, Steigerung auf der einen und Ablehnung, Kontrastierung oder auch bloße Nichtbeachtung auf der anderen Seite.
Und blickt man schließlich über diese materiellen Aspekte hinaus, so steht Architektur immer in einer Art multiplen Verhältnis zur Geschichte: zu der eines Ortes, eines Ereignisses – und nicht zuletzt zur eigenen, die für jedes Bauwerk schon in jenem Moment anbrechen kann, in dem es erdacht wird, die spätestens aber dann beginnt, wenn es fertiggestellt ist.
In Kiew hat das Goethe-Institut – in Kooperation mit dem British-Council – auf dem Gelände der 1615 gegründeten Schule des Brüderklosters ein denkmalgeschütztes Gebäude instandsetzen und umbauen lassen; und sich dabei bemerkenswerterweise auch auf die gemeinsame Nutzung einiger zentraler Räume verständigt.
In London nutzt das Institut seit mehr als einem halben Jahrhundert ein in der Exhibition Road, der Kulturmeile im begehrten Stadtteil South Kensington, situiertes Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. Zwischen 1997 und 2012 wurde in drei Phasen eine grundlegende Neuordnung aller sieben Geschosse des Gebäudes vorgenommen.
In Paris hingegen residiert man einen 1960er-Jahre-Bau, der unlängst generalüberholt wurde. Die erneuerte Hülle fügt sich nun harmonischer in den umgebenen Stadtraum ein, der von Haussmanns imperialem Stil geprägt ist, und die weitläufigen Innenräume erstrahlen hell und licht.
Nachdenken über das Altern
Erstaunlich ist in allen Fällen die Nüchternheit, das Fehlen jeglichen architektonischen Auftrumpfens. Offenkundig beherzigt das Goethe-Institut in seiner Arbeit – wie auch in seinem baulichen Auftritt –, dass Dauerhaftigkeit von Architekturen nicht allein eine Funktion von Finanzierung, Material und Bautechnik ist, sondern davon abhängt, welche Ansprüche eine Gesellschaft mit der Nutzung von Bauten verbindet.
Insofern erweist sie sich als ein kulturelles Produkt, eine fortwährende Abstimmung darüber, welche Anforderungen und welche Anpassungen für ein Gebäude als erforderlich und als hinnehmbar betrachtet werden.
Statt eines Dranges zur formalen Innovation ist eher das Nachdenken über das Altern zu erkennen, und statt gezielter Obsoleszenz vormaliger Raumschöpfungen der Versuch, protektive Erneuerungen durchzuführen.
Die Architektur ist ja immer wieder als Ausdruck politischer Selbstdarstellung benutzt – oder doch interpretiert – worden. Zudem scheint es ein latentes Strukturprinzip der Fachhistoriographie zu sein, dass (Staats)Bauten sich weniger einem Harmoniebedürfnis als einem Überbietungswillen verdanken. Doch augenscheinlich hat sich hierzulande mittlerweile eine gewisse Widerstandkraft gegen solche Vereinnahmung entwickelt.
Deutsche Schule Madrid
Zumindest gehorcht dem weder die vor einigen Jahren eröffnete Deutsche Schule Madrid von Grüntuch Ernst – deren Entwurf ist eher geprägt von einer kompakter, organisch gewachsenen Dorfstruktur mit polygonförmigen, fünfeckigen Innenhöfen denn von einem monolithischen Solitär – noch die deutsch-polnische "Willy-Brandt-Schule" in Warschau, die nach den Plänen des Berliner Büros Staab Architekten 2015 offiziell in Betrieb genommen wurde.
Da weder der benachbarte Neubau der Kathedrale, noch die umgebende Bebauung des Entwicklungsgebiets im Stadtteil Wilanow städtebauliche Anknüpfungspunkte boten, wurde das Grundstück aus den programmatischen Bedingungen der Ganztagsschule entwickelt und in Felder unterschiedlicher Aktivitäten unterteilt. Vier zueinander versetzte, doch an den Ecken miteinander verbundene Baukörper für Grundschule, Gymnasium, Sporthalle und Aula übernehmen die räumliche Gliederung des Terrains, sodass vielfältige Bezüge und Außenräume entstehen.
Der Wechsel zwischen den einzelnen Funktionsbereichen ist unkompliziert möglich, weil die einzelnen Häuser einfach und übersichtlich im ersten Obergeschoss miteinander verbunden sind. Die geschickte Anordnung des Entrees, die sachliche Architektursprache und eine einheitliche Hülle aus beweglichen Metallpaneelen vermögen es, ein veritables Schulhaus zu erschaffen und die Einzelbaukörper auch äußerlich zusammenzuziehen.
Diese beiden Beispiele mögen, je für sich, eine überzeugende architektonische Antwort auf konkrete pädagogische Anforderungen bieten. Sie verwahren sich aber unausgesprochen gegen die Zuschreibung einer nationalen Repräsentation; dazu sind sie, konzeptionell und bildersprachlich, ohnehin zu unterschiedlich. Noch wichtiger aber ist: Sie stellen nur die Ausnahme von der Regel dar.
Denn ähnlich wie bei den Goethe-Instituten geht es auch bei den deutschen Auslandsschulen grundsätzlich um behutsame Modernisierung, weniger um neue Setzungen. Als Bildungsstätten richten sie sich weltweit an Deutsche, die sich beruflich im Ausland befinden und für ihre Kinder eine schulische Erziehung wünschen, wie man es von Zuhause kennt. Zugleich aber bieten sie Kindern der Gastländer die Möglichkeit, sich mit Deutschland, seiner Kultur und Sprache vertraut zu machen.
Da rund zwei Drittel der Schüler aus den Gastländern kommen, werden diese Einrichtungen heute überwiegend als Begegnungsschulen konzipiert – gleichsam genuine Orte des interkulturellen Dialogs.
Wenn sich in den letzten Jahren eine Haltung herauspräpariert hat, dann liegt sie darin, Kontinuität zu schaffen, nicht immer neue subjektive Bauten, die einen Bruch im historischen und visuellen Kontext intendieren. Mit anderen Worten: In der Architektur der Auslandsschulen ist eine situativ passgenaue Arbeitsweise gefragt, nicht die Suche nach einer generellen Ausdruckssprache. Es wird eher das Leise, Nüchterne, Unaufgeregte auf die Bühne gestellt – und damit letztlich die architektonischen Lösungen, nicht die großen (Selbstdarstellungs-) Fragen.
Deutsche Schule in Valencia
Beispielsweise die Deutsche Schule in Valencia. Sie stellt ein sowohl typisches als auch gelungenes Beispiel der 50er-Jahre-Architektur dar. Die Einflüsse von Le Corbusier und Oskar Niemeyer sind bei diesem Entwurf der seinerzeitigen Bundesbaudirektion deutlich erkennbar. Die Schule gliedert sich in ein größeres Lehrgebäude, einen Kindergarten und eine Turnhalle.
Alle Häuser sind durch einen überdeckten Verbindungsweg miteinander verbunden, stehen rechtwinklig zueinander und umschließen einen sich nach Norden öffnenden Pausenhof. Das vierstöckige Schulhaus steht im Erdgeschoss frei auf Sichtbetonstützen. Als Verkleidung kam allseitig weißes Mosaik (technisches Porzellan) zur Anwendung.
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