Boliviens Regierungschef Morales lenkt ein
Nach den massiven Demonstrationen vom Wochenende in den vier reichen Departements Boliviens lenkt Evo Morales nun ein und ist zu Zugeständnissen bereit
Der Konflikt zwischen den Führern der vier reichen Departements im Osten Boliviens und dem linken Präsidenten Evo Morales spitzt sich weiter zu. Die reichen Landesteile wollen mit allen Mitteln eine Autonomie durchsetzen, um sich große Teile des Reichtums zu sichern. Der Konflikt hatte sich im Rahmen der Großdemonstrationen vom Wochenende weiter zugespitzt, wo es auch zu gewalttätigen Übergriffen auf die indigene Bevölkerung in den vier Departements kam. Nun lenkt Morales ein und will mit "sozialen Bewegungen" in den Regionen über die Autonomienfrage verhandeln. Er hofft damit die Basis für seine Politik zu verbreitern und zeigt sich überzeugt davon, dass der Verfassungstext mit zwei Dritteln verabschiedet wird.
Vor einem Jahr wurde erstmals in Bolivien ein indigener Präsident gewählt. Mit großer Mehrheit hatte sich im vergangenen Dezember die Bevölkerung des Landes für den Aymara-Indio Evo Morales von der "Bewegung für den Sozialismus" (MAS) entschieden (Neoliberalismus abgewählt). In einem Jahr an der Regierung hat Morales einige wesentliche Veränderungen auf den Weg gebracht, damit der Reichtum des Landes auch dem Großteil der verarmten Bevölkerung zu Gute kommen kann. Ein wichtiger Schritt war dabei die Verstaatlichung der Erdgas- und Erdölressourcen, mit der Morales sein wichtigstes Wahlversprechen einhielt. Schließlich waren es die heftigen Proteste gegen die Privatisierung, welche ihn in das höchste Amt gehievt haben. Später folgten weitere Schritte, wie die Landreform, die er inzwischen unter Dach und Fach bringen konnte. Nach längerem Gezerre konnten auch neue Verträge mit den Öl- und Gasmultis zur Förderung der Ressourcen abgeschlossen werden, die für das Land vorteilhafter sind. Natürlich hat die Politik des Sozialisten auch Widerstand bei denen provoziert, die von der Entwicklung nicht profitieren. So ist es kein Wunder, dass es vor allem in den Departements Widerstand gibt, wo die konservative Opposition regiert. Die vier reichen Departements im Tiefland, welche den Media-Luna (Halbmond) bilden, wollen an der alten Wirtschaftsführung festhalten, von der sie, aber vor allem die dortige Oberschicht und die Großgrundbesitzer, bisher begünstigt wurden.
Reiche Provinzen wollen Autonomie und drohen mit Abspaltung
Die Oberschicht und die politische Eliten schüren dort seit langem einen Futterneid in der lokalen Bevölkerung gegen die westlichen Hochlandprovinzen. Es wird behauptet, der Wohlstand der Tieflandregionen würde über den Transfer von Steuern ins Hochland und ins ferne La Paz abgeführt. Seither erhält im Halbmond die Forderung nach Autonomie immer stärkere Unterstützung. So hatten sich letztes Wochenende in den vier Provinzen Beni, Pando, Santa Cruz und Tarija zahllose Menschen an Demonstrationen gegen die Regierung beteiligt. Mobilisiert wurden sie von den Regionalregierungen, den Oppositionsparteien und so genannten Bürgerkomitees. Sie zeigten ihren Protest gegen die Abstimmungsmodalitäten in der Verfassungsgebenden Versammlung und traten für die Autonomie der Departements ein. In der Verfassungsgebenden Versammlung hatte die Mehrheit im Sommer den Abstimmungsmodus geändert, um die Ausarbeitung einer neuen Verfassung zur "Neugründung" von Bolivien zu beschleunigen (Opposition lehnt sich gegen Regierung in Bolivien auf). War ursprünglich geplant, den Text mit einer Zweidrittelmehrheit zu verabschieden, ist dies seither mit einer einfachen Mehrheit möglich. Damit wurde der konservativen Opposition die Blockademöglichkeit für einen Text entzogen, mit der die Umverteilung des Reichtums über die Verfassung abgesichert werden soll. Dass es sich dabei um ein "Attentat" auf die Demokratie oder um "totalitäres Vorgehen" handelte, wie die Konservativen stets behaupten, kann ins Reich der Mythen verwiesen werden. Denn das letzte Wort über die Verfassung hat in Bolivien ohnehin die Bevölkerung, die sie in einem Referendum absegnen muss. Doch die Konservativen wissen, dass die Mehrheit im Land einen progressiven Text annehmen wird, weil große Teile der verarmten Bevölkerung von den Veränderungen profitieren sollen. Deshalb nehmen etliche Konservative den neuen Abstimmungsmodus nur zum Anlass für ihren Protest, um ihre Privilegien abzusichern. Denn konservative Führer hatten auch schon vor der Veränderung zum Boykott der Versammlung aufgerufen. Ohnehin waren die Tieflanddepartements im Juli in einem Referendum, parallel zu den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung, mit ihren Autonomieanliegen an der Mehrheit gescheitert. Deshalb radikalisieren sich Teile dort immer weiter. So wurde auf den Demonstrationen vom Wochenende, an denen laut Presseberichten mehr als eine Million Menschen teilgenommen haben sollen, auch mit der Loslösung "von den staatlichen Institutionen" gedroht. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Übergriffen von rechten Schlägerbanden, die Anhänger von Morales zum Teil sogar mit Schusswaffen angriffen. In der Provinz Santa Cruz seien Häuser und Märkte der indigenen Bevölkerung nieder gebrannt worden. Daraufhin entsandte die Regierung die Polizei und das Militär. Seither herrscht eine gespannte Ruhe. Es wird befürchtet, die Angriffe könnten nach deren Abzug wieder aufflammen. Die Präfekten der vier reichen Departements haben nun am Montag einen so genannten "Autonomierat" gegründet und mit der Ausarbeitung eines Autonomiestatuts begonnen. Sie versicherten aber, das Land nicht aufteilen zu wollen. Sie wollten aber keine Verfassung akzeptieren, in denen ihre Autonomieforderungen nicht gewahrt würden, erklärten sie unnachgiebig. Offensichtlich hat die Größe der Bewegung Morales nun zum Einzulenken bewogen, der durch Zugeständnisse für Entspannung sorgen will. Er kündigte Verhandlungen an und ging sogar soweit, den Regionen die Autonomie zuzusichern, wenn sie in ihren Departements gewollt seien. "Um jede Reizbarkeit zu vermeiden, bin ich dazu bereit mit sozialen Bewegungen in den Regionen Verträge zu schließen, in denen für die Autonomie gekämpft wird", erklärte er. "Ja, wir sind bereit, die Debatte über die Autonomie zu vertiefen." Er zeigte sich erfreut darüber, dass nicht erneut über eine Separation gesprochen wurde. Die Frage der notwendigen Mehrheiten für den neuen Verfassungstext will er der Verfassungsgebenden Versammlung überlassen. Allerdings erklärte er sich überzeugt davon, dass der neue Text dort mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet wird, wie seine Gegner forderten. Offenbar geht er davon aus, dass er es schafft, wie in der Frage der Landreform, aus dem Oppositionslager Teile heraus zu brechen. Mit den Zugeständnissen will er wohl die Akteure isolieren, denen der Streit tatsächlich nur als Vorwand dient, um eine neue Verfassung zu blockieren. Mit Zugeständnissen an die Teile der Opposition, welche tatsächlich nur befürchtet, dass sich die MAS eine Verfassung nach Maß schneidert, würde er tatsächlich die Basis für die neue Verfassung eher verbreitern. Somit scheint sich in seiner Partei der Flügel der Intellektuellen gegen den radikaleren indigenen Flügel durchgesetzt zu haben.