"Die Ausplünderung der Bodenschätze ist beendet"
Bolivien hat seine Erdöl- und Erdgasindustrie per Dekret verstaatlicht. Morales kündigt die Nationalisierung weiterer Branchen an
Der bolivianische Präsident Evo Morales hat am 1. Mai sein wichtigstes Wahlversprechen eingelöst. Per Dekret erhält Bolivien das Eigentum und die volle Kontrolle über seine Bodenschätze, weitere Wirtschaftszweige sollen folgen (Südamerikanische Regierungen trotzen Erdölkonzernen bessere Bedingungen ab). Die Fördergebiete, Raffinerien und Pipelines werden vom Militär bewacht und die Steuern für die internationalen Energiefirmen angehoben. Diese haben sechs Monate Zeit, um neue Bedingungen auszuhandeln. Das Vorgehen führt zu Spannungen mit Spanien und Brasilien, deren Unternehmen Repsol-YPF und Petrobras besonders betroffen sind. Spanien ist „tief besorgt“, während Brasilen das Vorgehen als „unfreundliche Geste“ bezeichnet.
„Der bolivianische Staat hat die Ausplünderung der Bodenschätze durch die multinationalen Unternehmen beendet“, erklärte Evo Morales auf der 1. Mai-Kundgebung an den Ölfeldern in der Provinz Tarija. „Es ist die Stunde gekommen, der ersehnte Tag, der historische Tag, an dem Bolivien wieder die totale Kontrolle über seine Bodenschätze erlangt.“
In der Nacht auf Dienstag unterzeichnete der Präsident das „Höchste Dekret“ Nummer 28701. So verfügt er, dass die Energievorkommen unter die Kontrolle des Staatskonzerns „Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos“ (YPFB) gestellt werden. Der Aymara-Indio und Anführer der Koka-Bauern löst damit sein Versprechen ein, mit dem er im vergangenen Dezember die Wahlen deutlich gewann (Neoliberalismus abgewählt). Der Konflikt um den privatisierten Energiesektor stürzte im letzten Sommer die Regierung unter Carlos Mesa und ebnete Morales den Weg zur Macht (Krise in Bolivien vertagt).
Erstaunlich ist, dass sich viele Beobachter erstaunt über den Schritt äußern, denn Morales hatte diese Politik auch nach dem Wahlsieg vertreten. Nur 24 Stunden ließ er nach der Machtübernahme am 23. Januar verstreichen, um mit seinem venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez ein strategisches Energieabkommen zu unterzeichnen. Zehn Punkte hat der Vertrag und erlaubt es der venezolanischen Petróleos de Venezuela S.A. (PDVSA) in Bolivien tätig zu werden. Minuten zuvor hatte der gerade ernannte Minister Andrés Soliz Rada angekündigt, dass die Reserven des spanisch-argentinischen Konzerns Repsol-YPF an der Börse in New York als Eigentum von Bolivien deklariert werden. Repsol, der als größter Einzelinvestor im Land gilt, schrieb daraufhin ein Viertel seiner Reserven ab. Das waren 1,254 Milliarden Barrel Öl und Gasäquivalente.
Auch juristisch zog Bolivien die Schrauben gegen Repsol an. Die Behörden in La Paz beschuldigen die bolivianische Tochter Andino des Schmuggels von Benzin und Fälschung von Dokumenten. Der Firmensitz wurde durchsucht und Mitglieder der Direktion verhaftet. Im März trat der angeschuldigte Präsident von Repsol in Bolivien zurück, nachdem er auf Kaution aus dem Gefängnis kam.
Neben dem von Spanien dominierten Ex-Staatsbetrieb sind von dem Dekret vor allem das brasilianische Staatsunternehmen Petrobas, die britischen Unternehmen British Gas, sowie Britisch Petroleum (BP) und der französische Multi Total betroffen. Sie dürfen ihre Geschäfte nur noch über die staatliche YPFB abwickeln. Sie müssen ihre Lizenzen zur Ausbeutung der Energievorkommen zurückgeben und haben sechs Monate Zeit, um neue Verträge mit YPFB auszuhandeln. Wer dazu nicht bereit sei, müsse das Land verlassen, sagte Morales. Mit dem Dekret wurden auch die Steuern für die drei größten Gasausbeuter im Land erhöht. Hatte Morales sie schon zuvor auf 50 % angehoben, steigen sie für Repsol, Petrobas und Total nun auf 82 %.
Spanien, Brasilien und die EU kritisieren die Maßnahme
Wegen der Lage für Repsol sprach die sozialistische spanische Regierung ihre „tiefste Besorgnis“ aus, während sich der Konzern bereit zu Verhandlungen zeigt. Madrid hat den Wirtschaftsbeauftragten der bolivianischen Botschaft, Alvaro del Pozo, einbestellt. Das Außenministerium besteht in einer Erklärung auf Verhandlungen mit den Firmen über eine Lösung. „Es muss ein wirklicher Prozess des Dialogs und Verhandlungen geöffnet werden, in denen die Interessen von beiden Seiten beachtet werden und ein negatives Signal an internationale Investoren vermieden wird.“
Für die EU kritisierte der Spanier Javier Solana das Vorgehen. Der Verantwortliche für die gemeinsame Außenpolitik erklärte, er sei in großer Unruhe und sehr unzufrieden. „Ohne Sicherheit gibt es keine Auslandsinvestitionen und ich glaube nicht, dass das Land sich so entwickeln kann“, fügte Solana an. Die Bolivianer würden darunter zu „leiden“ haben. Für den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist die „Reichweite“ der Beschlüsse noch nicht klar. Die Entwicklung sei aber ungünstig für die Wirtschaftsbeziehungen meinte er: „Das lässt sicher einige Investoren vorsichtig sein.“
Am deutlichsten fiel die Bewertung Brasiliens aus. „Es ist eine unfreundliche Geste, die als Bruch früherer Vereinbarungen verstanden werden kann“, sagte ein Sprecher des Bergbau- und Energieminister Silas Rondeau. Ähnlich äußerte sich der Petrobras-Präsident José Sergio Gabrielli, der seinen Besuch in Texas abgebrochen hat. Der einseitige Schritt zwinge Petrobas dazu, seine Lage in Bolivien genau zu analysieren. Gabrielli zeigte sich erstaunt darüber, dass Morales auch so hart mit dem befreundeten Land umgehe. Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hat inzwischen seine Regierung zu einer Sondersitzung einberufen, um über das Dekret zu beraten. 60 % des in Brasilien verbrauchten Erdgases liefert Bolivien über eine 3200 Kilometer lange Pipeline.
Weitere Verstaatlichungen angekündigt
Nach dem Vorbild von Venezuela will Morales die Einnahmen aus dem Energiegeschäft nun der völlig verarmten Bevölkerung zugute kommen lassen (Pipeline für Südamerika). Die Kontrolle der Ressourcen durch das „bolivianische Volk ist die Lösung für die ökonomischen und sozialen Probleme in unserem Land“, erklärte er. Derweil ließ er vom Militär mehr als 50 Fördergebiete, Raffinerien und Pipelines besetzen. Die würden aber nicht „konfisziert“, sondern nur gesichert, versicherte er.
Bei der Rücknahme der Privatisierung werde der Staat nun die Aktien übernehmen, die sich im Besitz von ausländischen Firmen befinden. Mit den erwarteten Einnahmen würden Arbeitsplätze geschaffen, um den Reichtum des Landes zu verteilen und produktiv wirksam werden zu lassen. Bolivien ist zwar eines der ärmsten Länder Südamerikas, es hat aber nach Venezuela die zweitgrößten Gasvorkommen in Lateinamerika. Das Land produziert täglich auch mehr als 40.000 Barrel Rohöl. Die Öl- und Gasvorkommen machen etwa 15 Prozent seiner gesamten Wirtschaftsleistung aus.
Das sei erst der Anfang der Nationalisierungen, sagte Morales: „Schon bald werden die Minenunternehmen, die Forstwirtschaft und alle anderen nationalen Reichtümer, für die unsere Vorfahren gekämpft haben, an die Reihe kommen“, versicherte er vor Tausenden jubelnder Anhänger am Sitz der Regierung in der Hauptstadt La Paz.
Der Konflikt zwischen Brasilien und Bolivien wirkt sich allerdings hinderlich darauf aus, Bolivien für den gemeinsamen südamerikanischen Markt Mercosur zu gewinnen. Dem Pakt gehören derzeit Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay an. Chávez will ihn durch den Beitritt Venezuelas beleben und ihm eine neue Richtung geben. Er hat nach dem definitiven Ausstieg aus dem Andenpakt (CAN) im April darauf gesetzt, dass sich auch Bolivien dem Mercosur anschließt. Zu dessen ambitionierten Plänen gehört auch eine Gaspipeline über mehr als 8.000 Kilometer von der Karibik bis zum Rio de la Plata (Pipeline für Südamerika). Chávez hat den Ausstieg aus dem CAN damit begründet, dass Kolumbien und Peru bilaterale Freihandelsabkommen mit den USA geschlossen haben und damit dem ohnehin leblosen CAN endgültig den Todesstoß versetzt hätten. Chávez setzt darauf, einen Gegenpol zur Vormachtstellung der USA in Lateinamerika aufzubauen.