Bollwerk gegen China

Indien: Mit US-Nukleardeal zur Weltmacht

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„Das 21.Jahrhundert soll das indische Jahrhundert werden,“ sagt der indische Premierminister Manmohan Singh. Damit dieser Wunsch auch erfüllt wird, hat die indische Regierung einen Pakt mit den USA geschlossen. Es geht um Nukleartechnologie und spaltbares Material. Indien will mit allen Mitteln zur Weltmacht aufsteigen. Auf die politische Landschaft Südasiens und die internationale Politik kann dieses Abkommen weitreichende Folgen haben.

Bis Ende der 80er Jahre wurden Indien und die USA als „entfremdete Demokratien“ bezeichnet. Indien war seit 1950 Wortführer der Bewegung der Blockfreien Staaten, die USA Supermacht und Verfechter einer aggressiven Außenpolitik. Im Grenzkonflikt um Kaschmir haben die USA nicht Indien, sondern Pakistan unterstützt. Indien zog es in den Jahren der Unabhängigkeit vor, gute Kontakte zur Sowjetunion zu halten. Bis heute ist Russland einer der wichtigsten Waffenlieferanten Indiens.

Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks orientieren sich die Regierungen in Delhi neu – egal, ob die Hindunationalisten der BJP regierten oder eine Regierungskoalition unter der Kongress-Partei, die aus der damaligen Unabhängigkeitsbewegung hervorgegangen ist. Mit dem Nuklearabkommen zwischen Indien und den USA streben die beiden Staaten nun die engste Zusammenarbeit seit der indischen Unabhängigkeit von 1947 an. Insgesamt geht es um einen Vertrag, dessen Auftragsvolumen Experten auf etwa 100 Milliarden Dollar schätzen. Er umfasst Kernbrennstoffe und Nukleartechnologie.

Die große geostrategische Option für die US-Regierung

Aber nicht nur die US-amerikanische Wirtschaft reibt sich die Hände. Auch im Pentagon sind die Führungskräfte auf der Suche nach einem neuen geostrategischen Partner in der Region. Pakistan ist nicht mehr lange im Rennen, die Tage von Präsident Musharraf, dem Bündnispartner der USA, sind gezählt, die politische Lage kaum zu kalkulieren. Den chinesischen Drachen nimmt das Pentagon als potentielle Bedrohung, aber keinesfalls als geostrategischen Partner wahr (PDF-Datei).

Zusammen mit Russland und vier zentralasiatischen Staaten hat sich China in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, SOZ, zusammengeschlossen, die aufwändige gemeinsame Militärmanöver durchführt und den USA unmissverständlich signalisiert, dass sie in der zentralasiatischen Erdölregion nicht militärisch aktiv werden soll. Die Gewährleistung der Sicherheit in der Region sei allein Aufgabe der SOZ. Die chinesischen Rüstungsausgaben schätzt das Pentagon auf die jährliche Rekordsumme von bis zu 122 Milliarden Dollar. Damit belegt China nach den USA Platz 2 bei den Rüstungsausgaben.

Indien ist also die große geostrategische Option für die US-Regierung. Damit der Atomdeal zu Stande kommen konnte, hat der US-Kongress sogar Ende letzten Jahres eigens ein vorbereitendes Gesetz erlassen, das den Nuklearpakt mit Indien ermöglicht. Denn Indien hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet, und eigentlich darf die US-Regierung keine Abkommen dieser Art mit solchen Staaten aushandeln.

Ausnahmefall Indien

Aber das Sondergesetz, der Henry-Hyde-Act, hat nun den Weg für das Geschäft mit der international umstrittenen Atommacht Indien bereitet.

Die Wirtschaftssanktionen gegen Indien, die nach den Nukleartests 1998 verhängt wurden, sind beendet, obwohl Indien Kontrollen nur im sogenannten „zivilen“ Atomsektor zulassen will. Nicht dem Abkommen unterstellte, militärische Anlagen sind von Kontrollen ausgeschlossen. Die Prinzipien des Atomwaffensperrvertrages sind damit international in Frage gestellt (PDF-Datei).

Die indische Regierung verspricht sich von dem Abkommen eine bessere Energieversorgung, die internationale Anerkennung als eigenständige Atommacht und global player. Es gibt weitere Faktoren, die diese Ambitionen unterstreichen: Die Rüstungsausgaben der indischen Regierung waren nie so hoch wie heute: Allein im Haushaltsjahr 2006/2007 hat die Regierung das Rüstungsbudget gegenüber dem vorherigen Haushaltsvorjahr verdoppelt, auf 22 Milliarden US-Dollar.

Wie wird die muslimische Gemeinschaft reagieren?

Damit steht Indien an achter Stelle der weltweiten Rüstungsausgaben – beim UN-Index über die menschliche Entwicklung belegt Indien hingegen immer noch einen der hinteren Plätze, nämlich den 126 sten unter 177 Staaten, die dort gelistet sind. Die US-Army führt gemeinsame Militärmanöver mit ihrem neuen indischen Partner an der chinesischen Grenze durch und unterstreicht damit ihre Absicht, Indien als Bollwerk gegen China aufzubauen. Die Mehrheit der politischen Elite in Indien akzeptiert diese neue Rolle.

Aber es regt sich auch Widerstand von linken Parteien und politischen Bewegungen. Seit der Inhalt des Atomdeals im August publik wurde, demonstrieren wöchentlich Tausende in Neu Delhi. Sie werfen der Regierung vor, dass sie mit der zivilen Atomtechnik auch ihr nukleares Waffenarsenal ausbauen wolle, das nukleare Wettrüsten mit dem Nachbarland Pakistan anheize und die vorsichtigen Annährungen zwischen China und Indien torpediere.

Auch an den Risiken der sogenannten „zivilen“ Ausrichtung der Atomkraft wird Kritik laut. Unklar ist noch, wie die Mehrheit der muslimischen Gemeinschaft in Indien auf die militärische Annäherung zu den USA reagieren wird. Mit 140 Millionen Muslimen zählt Indien weltweit die drittgrößte Glaubengemeinschaft der Muslime.

Linke Kritiker: Furcht vor Abhängigkeit von den USA

Angeführt wird der Protest von der größten Kommunistischen Partei Indiens, der CPI (M). Zusammen mit vier anderen Linksparteien stellt sie die drittstärkste Kraft im indischen Parlament. Die Regierungsallianz unter der Führung der Kongresspartei kann nur regieren, weil die Linksfraktion sie toleriert.

Sie haben zwar grundsätzlich keine Probleme mit der Atomkraft, fürchten aber die Abhängigkeit von den USA. Der Nukleardeal sei nur Teil einer weitergehenden Strategie, Indien zum festen Bündnispartner der USA zu machen. Eine These, die leicht zu beweisen ist.

Aber werden die indischen Kommunisten, die wegen der wirtschaftsliberalen Politik der Zentralregierung schon oft gebellt, aber nie gebissen haben, diesmal tatsächlich die Regierung stürzen lassen? Diese Möglichkeit sieht der Journalist Praful Bidwai, ein langjähriger Kommentator des politischen Geschehens in Indien, als gegeben. Vor allem durch die wirtschaftsfreundliche Politik der Linksregierung im Bundesstaat Westbengalen hätten die Kommunistischen Parteien schon viel Unmut an der Basis erzeugt.

Wenn die linken Parteien jetzt auch noch ihr Image als Gegner des US ’Imperialismus’ verlieren, riskieren sie wichtige Unterstützung und Loyalität.