Bommeleeër-Affäre: Luxemburger Staatsanwaltschaft klagt erneut an

Justiz sieht mysteriöse Terrorserie der 1980er-Jahre als Inside-Job

In den Luxemburger "Jahrhundert-Prozess" wegen der ungeklärten Attentatsserie zwischen 1984 und 1986 kommt nach fast achtjähriger Unterbrechung wieder Bewegung. Statt ursprünglich zwei Verdächtigen präsentiert die Staatsanwaltschaft nunmehr neun Männer aus dem Sicherheitsapparat, denen sie eine Verwicklung in die mysteriöse Bombenlegeraffäre zur Last legt.

Mit auf die Anlagebank soll nun auch "Super-Flic" Ben Geiben, der bis 1984 die Eliteeinheit "Brigade mobile" der Gendarmerie (BMG) aufgebaut hatte. Nach Geibens damals überraschendem Wechsel aus der Antiterroreinheit in den privaten Sicherheitssektor wurden auf etliche öffentliche Einrichtungen wie Strommasten, das Olympiabad, den Flughafen und den Justizpalast Bombenanschläge verübt.

Sogar bei einem Treffen der Europäischen Staats- und Regierungschefs wurde ausgerechnet im Hochsicherheitsbereich eine auffällig harmlose Bombe geworfen. Als pressewirksam erwies sich ein Anschlag auf die Zeitung "Luxemburger Wort".

Terror ohne Terroristen

Die nie aufgeklärte Terrorserie ohne schlüssiges Täterprofil endete so geheimnisvoll, wie sie begonnen hatte. Auch der CIA fiel auf, dass die Bombenanschläge mit militärischer Professionalität durchgeführt wurden, jedoch offenbar intendiert nur geringen Sachschaden anrichteten (Affair Bommeleeër: CIA tappte 1986 im Dunkeln).

Ein späterer Luxemburger Geheimdienstchef vermutete eine Desinformations-Kampagne, um die politische Stimmung zu beeinflussen (Steckte Luxemburgs Nationalheld Émile Krieps hinter der Bommeleeër-Affäre?).

Der Geheimdienst, der in Luxemburg mit der Polizei personell verwoben ist, hatte nach den Anschlägen Geiben ohne Ergebnis beschattet. Angeschwärzt hatte Geiben offenbar sein einstiger Handlanger, der BMG-Mann Jos Steil - zufällig selbst ausgerechnet Sprengstoffspezialist und eine Art Mann fürs Grobe ("Jos" von der Wehrsportgruppe G.I.R.L.).

Steil war bei der Nachfolge Geibens nicht zum Zuge gekommen, sondern zum Offizier Charles Bourg als dessen Assistent versetzt worden. Bourg war Operationschef der Gendarmerie und wurde späterer Generaldirektor der Polizei. In der Szene hielt sich das Gerücht, Geiben und Steil seien die Bombenleger, beide sollen sich entsprechend gebrüstet haben. Der schillernde Schattenmann Steil verstarb 2004.

Ebenso wie die Anschläge verebbte das Aufklärungsinteresse der Sicherheitsbehörden, nachdem deren zuvor prekäre Ausstattung aufgestockt worden war (Luxemburger Bombenleger-Prozess: Erstaunliches Desinteresse der Ermittlungsbehörden). Der in den 1980er-Jahren zuständige Luxemburger Untersuchungsrichter Prosper Klein sagte 2013 aus, er sehe als Nutznießer der Attentatsserie die damalige Führungsriege der Gendarmerie, da diese durch Umbildung des Sicherheitsapparats enorm an Macht gewonnen hätte.

Der Direktor der Polizei befehlige mehr bewaffnete Beamte als die Armeespitze und es gäbe 72 Offiziere. Justizminister Luc Frieden habe befürchtet, dass die Justiz gegen die Polizei verlieren würde. Klein belastete den früheren Gendarmerie-Kommandanten Aloyse Harpes und den bereits erwähnten Charles Bourg, der nach Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie deren Kommandant wurde.

Spätzünder

2004 führten journalistische Recherchen zu neuen Untersuchungen. Im Verlauf der Ermittlungen verschwanden allerdings 88 von 125 Beweisstücken. 2008 enthob Justizminister Frieden den Generaldirektor der Polizei, Pierre Reuland, der einst Geiben bei der BMG nachgefolgt war, sowie den Generalsekretär Guy Stebens ihrer Ämter.

2013 schließlich klagte die Justiz zwei ehemalige Mitglieder der BMG an, Marc Scheer und Jos Wilmes. In insgesamt 175 Verhandlungstagen lud die Justiz etliche Polizisten, Geheimdienstler und Politiker vor, die teils aberwitzige Gedächtnislücken plagten. Der Prozess bot dem wortgewaltigen Staranwalt Gaston Vogel eine Bühne zur Abrechnung mit dem katholischen Großherzogtum, den Amerikanern und der Justiz.

Das Verfahren brachte zwar diverse Skandale ans Licht und führte zu einer Staatskrise. Staatschef Jean-Claude Juncker reichte 2013 seinen Rücktritt ein (Juncker nimmt den Schlapphut, sein Kronprinz Luc Frieden wechselte in die Privatwirtschaft. 2014 wurde der Prozess ergebnislos ausgesetzt.

Neuer Prozess?

Neben den beiden ehemaligen BMG-Mitgliedern soll nunmehr deren damaliger Kollege Marcel Weydert angeklagt werden sowie deren ehemaliger Chef Pierre Reuland. Ebenfalls auf der Anklagebank sitzt Ex-Gendarmerie-Chef Aloyse Harpes.

Nicht zuletzt die dubiosen Aussagen vor Gericht werden nun auch diversen Offizieren der Prozess zum Verhängnis, denen neben möglicher Verwicklung auch Falschaussage und Justizbehinderung vorgeworfen wird. So etwa dem bereits erwähnten Polizeifunktionär Charles Bourg (Eine Frage der Ehre? Die Luxemburger Polizisten schweigen zur geplatzten Bombe).

Guy Stebens, damals Leiter der Observierungs- und Ermittlungsgruppe GOR, hatte die Möglichkeit eines Insidejobs offenbar "konsequent ignoriert". Besonders pikant ist die Person des weiteren Angeklagten Armand Schockweiler, der während der Bommeleeër-Affäre als "Chef der Ermittler" fungierte. Vor Gericht hatte sich Schockweiler in erstaunliche Widersprüche verstrickt.

Überraschend steht als neunter Angeklagter nun auch Geiben auf der Liste, den der Untersuchungsrichter noch 2019 für unschuldig hielt. Erstaunlicherweise will sich ausgerechnet der Gründer der Antiterroreinheit BMG nicht für die Terrorserie interessiert haben. Geiben allerdings gibt sich gelassen und erklärte sein Vertrauen in die Justiz.

Über die Zulassung der Anklagen haben nun die Gerichte zu befinden.