Bommi Baumanns finale Pointe

Seite 2: Umherschweifende Haschrebellen

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Nach vier Monaten war Schluss mit lustig. Bommi und Georg gerieten sich in die Haare. Die Auseinandersetzung schienen mir und Bommi zu gefährlich und wir zogen aus. Aber wohin? Bommi fragte einige seiner Blues-Freunde, ob die uns aufnehmen würden. Taten sie, und wir landeten in einer Fixer-Kommune in der Lietzenburger Straße. Nette Leute, die aufpassten, dass wir nicht ihren Weg in die Abhängigkeit gehen würden.

So lernte auch ich Shorty, Hajo, Hannibal und Co kennen. Hannibal war so etwas wie der Guru in diesem Milieu. Er wollte Drogenkonsum legalisiert sehen, so etwa wie heute die Libertären in den USA, deren Präsidentschaftsbewerber Gary E. Johnson zur Zeit bei etwa 10% in den Umfragen liegt, gefolgt von den Grünen mit 6%, die das ebenfalls fordern. Zu diesem Zweck bat er mich, mit ihm einen Text zu verfassen, da ich als Student doch besser schreiben könne als er. Gesagt, getan, aber wer könnte ihn veröffentlichen? Ich kannte einen SDS-Genossen, der inzwischen Redakteur bei eine linken Postille war: "883" hieß dieses Blatt und gilt derzeit in der Historikerzunft als anarchistisch, was sie aber bis dahin nicht war. Unsere Überzeugungskunst überwand die starken Bedenken und die Redaktion sagte zu. Hannibal hatte eine Plattform.

Unsere neuen Freunde und einige Ex-Schüler aus der sogenannten "Terrorgruppe Neuruppin", saßen beisammen und überlegten, ob es nicht angebracht sei, einen Namen für die Gruppe, die Drogen legalisieren wollte, zu finden. "Wir sind Haschrebellen", sagte einer. Da uns inzwischen die Eigentümer der "Lietze" rausgeschmissen hatten, waren wir überall hin zerstreut. Keiner hatte eine feste Bleibe. Wir waren Streuner. Da passte der Begriff "umherschweifen" als Zusatz.

Ob das tatsächlich in Anlehnung an den gleichen situationistischen Terminus (dériver) geschah, weiß ich nicht mehr. Dieter Kunzelmann, einer der Begründer der "Kommune 1", der sich uns zeitweilig zugesellte, legt das jedenfalls nahe. "Umherschweifende Haschrebellen"? Das reichte Bommi nicht und hier kommt eine seiner Pointen. Da in jenen Monaten ehemalige Studentenführer dabei waren, sich selbst, bzw. ihre ehemaligen antiautoritären Ideen zu verraten und stalinistische Parteien gründeten, wäre es doch angebracht, meinte Bommi; statt ein Zentralkommittee zu kreieren wie diese Möchtegernkommunisten, uns in Anlehnung an den Zentralrat der Juden in Deutschland "Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen" zu bezeichnen. Das folgende Gelächter wurde als Zustimmung interpretiert. Fortan konnte jeder, der es wollte, mit diesem Label auftreten. Er war schlicht ein Ausdruck für ein unterschwelliges Gefühl von Blues-Freunden, von Ausgeflippten, und von verschiedenen Subkulturen.

Die Gruppe organisierte ein öffentliches Smoke-In im Berliner Tiergarten. Die Polizei ließ uns gewähren, griff erst ein, als Georg, der inzwischen auch zu uns gestoßen war, sich auf dem Rasen krümmte. Er hatte zu viele Haschkekse gegessen und sein Magen musste ausgepumpt werden, was prompt mit einer Lachsalve der anderen gewürdigt wurde.

In der FU-Mensa traf ich zufällig einen Genossen aus der GSG (Gewerkschaftliche Studentengruppe). Er fragte mich, ob ich interessiert wäre, mit seiner Gruppe nach London zu fahren. Ich sagte zu und heuerte Bommi, Shorty und Hannibal an, mitzukommen. In London könnten wir vielleicht John Mayall sehen und auch Rudi Dutschke, der sich dort bei Erich Fried noch von seiner Schussverletzung erholte.

Während der harte Kern der Haschrebellen also Swinging London genoss, fuhren Georg und Dieter Kunzelmann ins bayrische Ebrach zu dem berühmt-berüchtigten Knastcamp, um gegen die dortige Inhaftierung eines Münchener Genossen zu protestieren. Sie hatten sich den VW-Bus des Asta der TU-Berlin ausgeliehen. Ebrach war jedoch ein Reinfall. Nichts wurde erreicht. Da kam bei einigen die Idee auf, weiter nach Italien zu einer Kommune auf Sizilien zu reisen. Dort klappte auch nichts.

Es war vermutlich Dieter Kunzelmann, der dann seine Mitreisenden, Georg, Ina Siepmann und Abi Fichter, dazu überredete, in den Nahen Osten zu reisen, um PLO-Palästinenser zu besuchen. Zurück in Berlin redeten sie davon, klandestine Zellen zu gründen. Damit hatten sie erstmal wenig Erfolg. Als dann das Attentat auf das Jüdische Gemeindezentrum erfolgte, war das Entsetzen unter vielen von uns groß. Die Polizei nahm in einem Rundumschlag mehrere Haschrebellen fest, nur die wahren Täter nicht.

KOK Wolfgang Kotsch, Leiter der Abteilung für politische Delikte, vernahm mich. Die übliche Omertà nicht beachtend, also nichts auszusagen, distanzierte ich mich heftigst von dieser Irrsinnstat. Kotsch glaubte mir und sagte, Bommi hätte ihm dasselbe gesagt. Wir konnten nach Hause gehen, wo immer das gerade für uns war. Haschrebell Bodo Saggel, so kam kürzlich heraus, sagte aus, wen er für die Täter hielt: die Palästina-Fahrer. Das wurde aber merkwürdigerweise von den Ermittlungsbehörden nicht verfolgt.

Autor Günter Langer als Haschrebell.

Bewegung 2. Juni

Hier war das große Versagen nicht nur der Polizei, sondern auch von uns. Wir überließen die öffentliche Kritik daran dem 883-Redakteur und SDS-Matador Tilmann Fichter, der einen Wischi-Waschi-Text dazu veröffentlichte. Für Bommi und für mich schien das genug. Anstatt einen klaren Trennungsstrich zu ziehen, ging alles so weiter wie bisher.

Kunzelmann hatte sich inzwischen Heroin besorgt und experimentierte damit herum. Georg versuchte das auch und überredete Bommi dabei mitzumachen. Mir ging das absolut gegen den Strich. Im Nachhinein denke ich, dass aus alter Anhänglichkeit Bommi sich mehr und mehr Georg anschloss, der seit der Palästina-Reise wiederum mit Kunzelmann eng liiert war. Gegen Kunzelmann lag ein alter Haftbefehl vor und er versteckte sich in konspirativen Wohnungen. Nachdem Kunzelmann aufflog, verging nicht viel Zeit, bis die zwei mit anderen die "Bewegung 2. Juni" gründeten. Ich vermute, unter Georgs Einfluss ließ sich Bommi vermutlich eher widerwillig dazu verleiten, eine Waffe für den "Kampf" zu akzeptieren.

Ich traf die beiden dann noch zwei- oder dreimal. Das letzte Mal kurz vor Georgs Tod. Wir drei umarmten uns, so als ob es das letzte Mal sein würde. Ohne Georg hielt Bommi nicht mehr lange durch. Er stieg aus und floh ins Ausland. Sein Rechenschaftsbericht "Wie alles anfing" wurde ein Bestseller und sein Spruch "Genossen schmeißt die Knarren weg", so im Spiegel spektakulär gedruckt, machte ihn berühmt.

"Die abenteuerliche Flucht eines Ex-Terroristen"

Der Text ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Dort behaptet er z.B., sein Vater sei ein Nazi gewesen. Das ist glatt gelogen. Ich kannte seine Eltern. Die Mutter hatte das Sagen, der Vater war ein ruhiger, netter Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den "Berliner Extradienst", ein linkes, DDR-nahes Blatt zu verteilen. Als junger Dachs, Anfang der 30iger Jahre, so erzählte er es, sei er kurzzeitig Mitläufer der Nazis gewesen, hätte sich aber bald wieder abgewandt. Der Vater wurde von Bommi vermutlich als Nazi verkauft, um für sich eine bessere Rechtfertigung für sein Tun geltend machen zu können. Wer gegen Nazis rebelliert, muss sich selbst nicht mehr in Frage stellen.

Ich bezweifle auch, dass es jemals ein Attentat auf Nixon gegeben hat, das er sich auf die Brust heftet. Wie, wo und womit das geschehen sein soll, ist völlig rätselhaft. Sein Hinweis auf die Pattex-Zucker-Unkraut-Ex-Brandsätze, die der Verfassungsschutzagent Peter Urbach in die Szene gescmuggelt hatte, passt allerdings als Bommis gewollte Pointe gut ins Bild. Nie wurde auch nur irgendetwas gefunden, das diese Geschichte bestätigen könnte. Ich vermute, dass die Idee dafür vielleicht beim nächtlichen Joint aufgekommen ist, und von ihm im Nachhinein wegen der Pointe als real beschrieben wurde.

Egal, nachdem er seinen mehrjährigen Knast abgesessen hatte, konnte er in einer von Autonomen in der Kreuzberger Wrangelstraße betriebenen Kneipe anheuern, dem Kuckucksei. Ich besuchte ihn dort häufiger. Es gab dort einen guten (polnischen) Koch. Bommi schien mit sich selbst zufrieden und erzählte lustige Geschichten aus seinen Fluchtjahren in fernen Ländern, die er redigiert unter dem Titel "HiHo - Wer nicht weggeht, kommt nicht wieder", später als "Die abenteuerliche Flucht eines Ex-Terroristen" veröffentlichen ließ.

Die nächste Krise kam, als bekannt wurde, dass er auf der Flucht von der Stasi festgenommen und bei ihr intensiv gesungen hatte: 500 Seiten Protokolle über alle Personen, die er gekannt hatte. Wieviel davon wahr ist oder schlicht wiederum seiner Phantasie entsprang, vermag ich nicht zu beurteilen. Von Stund an war er in der linken Szene persona non grata. Er hatte verschissen. Ich war darüber naturgemäß auch enttäuscht, glaubte ihm aber, dass er das schwer bereute. So blieben wir in Kontakt.

Ich lud ihn dann auch zu Revival-Treffs der SDSler Ende der neunziger Jahre ein. Wir beide diskutierten unter anderem auch mit Horst Mahler, der gerade dabei war, sich als Konservativer zu verorten. Wir beide waren überzeugt, dass das nicht die letzte Station dieses ehemaligen RAF-Gründers sein würde. "Du wirst sehen, Mahler hört nicht auf, bis er wieder im Knast sitzt, diesmal als Nazi", meinte Bommi, und behielt schneller Recht, als ich es für möglich gehalten hatte.

Auch in anderen Bereichen entwickelte Bommi ein exquisites Urteil, ob es die internationale Drogenproblematik oder Machenschaften der Imperialisten betraf. Er tat sich mit Till Meyer, seinem Kumpel aus 2. Juni-Tagen zusammen, um weiter öffentlich wirksam zu sein. Mit Dieter Kunzelmann verbindet ihn gegenseitiger Hass. Ich glaube, Bommi war von seinem ehemaligen Idol aus Kommune 1-Tagen bitter enttäuscht. Dieters Experimente brachten ihn auf die schiefe Drogenbahn, von der er nur zeitweilig loskam. Er ließ auch nicht locker, Kunzelmann Antisemitismus vorzuwerfen, worauf dieser nur zu antworten wusste, Bommi müsse exkommuniziert werden und niemand dürfe mit ihm jemals wieder reden.

Mit Bommi wird eine weitere Ikone des subversiven Teils der antiautoritären 68iger-Bewegung zu Grabe getragen. Er war ein toller Geschichtenerzähler, bei dem die Pointe häufig wichtiger war, als der Wahrheitsgehalt. Er hat uns immer zum Lachen gebracht, eine Art Frohnatur. Seine Pointen werden uns fehlen. Am 19. August beschreibt er seinen letzten Weg, diesmal in die ewigen Jagdgründe, ohne Pointe und ohne Blues, den er schon vor Jahren aufgegeben hatte.

Günter Langer war Mitglied des SDS und Redakteur des anarchoiden Wochenblatts Agit-883.

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