"Boris Palmer vertritt eine Einzelmeinung"
Seite 2: Wir haben die südeuropäischen Staaten viel zu lange allein gelassen
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- Wir haben die südeuropäischen Staaten viel zu lange allein gelassen
- Wichtig ist, dass wir aus dem Krisenmodus rauskommen
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Auf europäischer Ebene ist in den kommenden Wochen nicht mit einer Einigung zu rechnen. Was nun, Frau Amtsberg?
Luise Amtsberg: Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie noch intensiver versucht, die europäischen Staaten von einer gemeinsamen Politik zu überzeugen. Ein erster Schritt wäre es zum Beispiel, nicht nur von der Abschaffung der Dublin-Regelung zu reden, sondern ein Alternativkonzept vorzulegen. Nur so kann man andere vom eigenen Kurs überzeugen. Ohne eine gemeinsame europäische Agenda geht es nicht. Das weiß auch die Bundesregierung.
Demnach wäre Frau Merkel in der jetzigen Situation hilflos - weshalb dann all die Vorwürfe in ihre Richtung?
Luise Amtsberg: Ich bin die Letzte, die Kanzlerin Merkel für ihre derzeitige Haltung in der Flüchtlingspolitik kritisieren würde. Nur leider setzt sie sich nicht durch mit ihrem Kurs. Um den inneren Frieden zu wahren, ließ sie der CSU zum Beispiel die Debatte um die Transitzonen. Die CSU ihrerseits kommt immer wieder mit neuen, skurrilen und völlig unnützen Vorschlägen. Sie wählt dabei eine gefährliche Sprache.
Eine weitere Zahl: In der EU könnten nach einer Prognose aus Brüssel bis Ende des kommenden Jahres drei Millionen Flüchtlinge ankommen.
Luise Amtsberg: Schaut man sich die Krisenregionen an, überrascht das nicht. Die Frage ist doch: Gelingt es uns in Europa, eine gemeinsame Sprache zu finden und das "Weiterschicken" der Verantwortung zu beenden. Wir haben die südeuropäischen Staaten viel zu lange allein gelassen und währenddessen zugeschaut, wie Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken.
Die CDU gehörte bis vor kurzem zu den stärksten Befürwortern der Dublin-Verordnung. Es ist mir ein Rätsel, weshalb wir nun wieder den Fehler machen und warten, bis alle EU-Staaten sich irgendwann einigen. Ein paar Länder müssen jetzt vorangehen, Zeichen setzen, einfach mal anfangen.
Apropos, was halten Sie von den sogenannten Hotspots in Italien und Griechenland, in denen Flüchtlinge registriert werden?
Luise Amtsberg: Ich benutze die Begrifflichkeit "Hotspot" nicht gern. Aus meiner Sicht kann eine gerechte Verteilung in Europa aber tatsächlich nur mit europäischen Erstaufnahmeeinrichtungen gelingen. Die Weiterverteilung in die EU ist aber eine zwingende Voraussetzung, sonst werden diese Orte zur Sackgasse für Flüchtlinge. Zudem müssen wir die Staaten, in denen diese Erstaufnahmeeinrichtungen geschaffen werden, finanziell stark unterstützen sowie eine medizinische Notversorgung und Unterbringung für alle Ankommenden gewährleisten. Wie genau das aussehen soll, ist derzeit aber noch völlig unklar.
Ohnehin sollten wir uns genau anschauen, was jedes einzelne Land leisten kann. Ein absolutes Negativbeispiel ist aus meiner Sicht Großbritannien. Das Verhalten der britischen Regierung in der Flüchtlingskrise ist nicht nur unsolidarisch, sondern beschämend.
Fordern Sie Sanktionen gegen jene Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen?
Luise Amtsberg: Darüber sollte man ernsthaft nachdenken. Denn so wie bisher kann es nicht weitergehen. Wer sich der Flüchtlingsaufnahme derart entzieht, entfernt sich damit vom Konsens unserer Gemeinschaft. Es heißt stets, wir seien ein Europa der Sicherheit, Freiheit und des Rechts. Dann müssen wir auch entsprechend handeln. Diejenigen Länder, die sich unseren Grundwerten versperren, haben sich in meinen Augen von der der Kernidee Europas verabschiedet.
Sind EU-Austritte denkbar?
Luise Amtsberg: Wir dürfen es nicht soweit kommen lassen, dass derlei Befürchtungen Realität werden. Wir müssen diesen Staaten klar machen, dass eine gemeinschaftliche Flüchtlingspolitik für alle Beteiligten die beste Lösung ist. Würde jedes Land seine Grenzen dicht machen, Zäune errichten und Flüchtlinge zurückschieben, schadeten wir nicht nur den Menschen, die Schutz suchen, sondern auch uns selbst.