"Boris Palmer vertritt eine Einzelmeinung"
Seite 3: Wichtig ist, dass wir aus dem Krisenmodus rauskommen
- "Boris Palmer vertritt eine Einzelmeinung"
- Wir haben die südeuropäischen Staaten viel zu lange allein gelassen
- Wichtig ist, dass wir aus dem Krisenmodus rauskommen
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Zurück zu Ihrer Partei, Frau Amtsberg: Migrations-, Integrations- und Asylpolitik, allesamt Themen, bei denen den Grünen bislang in Umfragen stets eine hohe Kompetenz zugeschrieben wurde. Was antworten Sie jenen Wählern, die sagen, Ihre Partei würde genau diese Kompetenz in der aktuellen Debatte nicht für sich nutzen oder gar aufs Spiel setzen?
Luise Amtsberg: Ich halte diese Analyse für falsch. Es gibt keinen Grünen, der zurzeit nicht an einer Lösung vor Ort arbeitet. Die Kernfrage ist, inwieweit ist es für unsere Wählerinnen und Wähler - aber auch für unsere Mitglieder - in Ordnung ist, wenn Regierungsgrüne Kompromisse schließen. Wir haben unlängst gelernt, dass grüne Programmatik nicht immer den Praxistest besteht. Trotzdem halte ich es für richtig, an unseren Grundsätzen festzuhalten und sie zur Leitlinie unseres politischen Handelns zu machen.
Wie gefährlich ist die aktuelle Phase für Ihre Partei?
Luise Amtsberg: Ich halte die Situation nicht für gefährlich. Ich begreife es eher als einen weiteren Lernprozess. Klar ist für mich aber auch: Ich will nicht nur meckern, sondern dass wir Grüne an Lösungen mitarbeiten. Und seien wir mal ehrlich: Die Debatte, auf die wir uns steil zubewegen, ist die der Obergrenzen für Flüchtlinge. Ich will, dass Grüne in den Ländern ihren Einfluss geltend machen und diese Debatte verhindern. Das kann im Zweifel aber auch bedeuten, dass Eingeständnisse an anderer Stelle gemacht werden müssen.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer spricht von "Überforderung" und "Diskursverboten", Ihre Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt dagegen von "Chancen" und "Willkommenskultur". Haben Sie Verständnis dafür, wenn Wähler sagen, sie könnten nicht einschätzen, wofür die Grünen in der Flüchtlingsdebatte stehen?".
Luise Amtsberg: Boris Palmer vertritt eine Einzelmeinung und verwechselt das mit angeblichen Diskursverboten. Ich finde es legitim, die Probleme zu benennen, die es zweifelsohne gibt. Aber zu behaupten, Deutschland könne, egal wie es sich anstrenge, die derzeitige Lage nicht meistern, ist doch absurd. Noch mal: Deutschland geht es gut - und damit das so bleibt, brauchen wir Zuwanderung. Eine zügige Integration der Schutzsuchenden ist der einzig kluge Weg. Ich bin da ganz klar bei der Vorsitzenden meiner Fraktion.
Wann stellt Ihre Partei ein eigenes, umfassendes Konzept vor?
Luise Amtsberg: Das Konzept ist doch längst da: Wir haben einen Vorschlag für ein Einwanderungsgesetz gemacht im Parlament. Auf europäischer Ebene vertreten wir, dass es einen neuen Verteilschlüssel braucht, der die Wirtschaftskraft und Größe eines Landes einbezieht. Wir müssen Fluchtursachen vor Ort bekämpfen und die Lage in den Nachbarstaaten der Krisenregionen verbessern.
Und in Deutschland gilt es, bereits jetzt Strukturen aufzubauen, vor allem bei den Sprachkursen, damit Flüchtlinge eine Möglichkeit haben, schnell ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Hiermit zu beginnen, wäre die halbe Miete, davon bin ich überzeugt. Und in der jetzigen Notsituation braucht es flexible Lösungen, auch wenn das nicht die reine grüne Lehre ist.
Nennen Sie bitte ein Beispiel.
Luise Amtsberg: Mindeststandards in Flüchtlingsunterkünften. Bis vor einem Jahr haben wir eisenhart festgehalten an unseren Vorstellungen: Soundsoviel Quadratmeter pro Flüchtling, diese und jene Ausstattung in den Zimmern und sanitären Einrichtungen - all dies sind gute und richtige Vorsätze. Momentan bewegt sich die Realität aber eher bei der Frage, ob wir Zelte aufbauen müssen oder es überhaupt schaffen, alle Schutzsuchenden ins Trockene und Warme zu bringen - leider.
Fühlt sich das an wie eine Niederlage?
Luise Amtsberg: Nein. Wichtig ist, dass wir handeln und aus dem Krisenmodus rauskommen. Nur so wird es gelingen, zu den alten Grundsätzen zurückzukehren.