Botschaften im medialen Aufmerksamkeitskrieg

Al-Qaida meldet sich vor dem 11.9. mit einem Video zurück, auf dem keine Anschläge angedroht, sondern die Menschen aufgefordert werden, zum Islam zu konvertieren

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Es wäre verwunderlich gewesen, wenn sich al-Qaida zum fünfjährigen Jahrestag der Anschläge vom 11.9. nicht gemeldet hätten, zumal die US-Regierung derzeit massiv unter Druck steht, weil im Herbst Wahlen bevorstehen. Weder in Afghanistan noch im Irak steht es gut um die Befreiungsmissionen und den Krieg gegen den Terrorismus, vielmehr setzt sich der Eindruck auch in den USA durch, dass das in vieler Hinsicht unreflektierte Vorgehen der Supermacht den islamistischen Terrorismus, den die USA in Afghanistan mitsamt Bin Laden mit stark gemacht hat, erst wirklich gestärkt hat. Allerdings scheint die Gruppe um al-Qaida mittlerweile zu schwach zu sein, um Anschläge auszuführen, für die Verbreitung von Botschaften im Medienkrieg reichen die Kapazitäten aber noch.

Mit Bin Laden und Sawahiri sind zwei der Führungsköpfe von al-Qaida noch immer in Freiheit (Bin Laden schaut CNN und steht auf Whitney Houston). Für die Bush-Regierung, die die Terrororganisation durch die Ausrufung des Kriegs gegen den Terrorismus zu einem globale und ebenbürtigen Gegner stilisiert hat, stellt dies eine Schmach dar ("Wanted, Dead or Alive"). Allerdings hat al-Qaida, personifiziert durch Bin Laden und Sawahiri, durch die politische Inszenierung und die Unterstellung, hinter allen radikalen Bewegungen und Terrorgruppen der muslimischen Welt zu stehen, auch eine Bedeutung erlangt, die von den Prominenten auch benutzt werden kann. Geben sie ein Lebenszeichen und verbreiten sie Botschaften, indem sie Bänder an Medien geben, dann können sie gewiss sein, dass sie damit auf der Bühne der globalen Medienaufmerksamkeit auftreten werden – ohne großen Aufwand zu treiben, was beispielsweise US-Verteidigungsminister Rumsfeld immer wieder einmal dazu bringt, die mediale Überlegenheit des Feindes und die eingeschränkten eigenen Möglichkeiten zu beklagen, die öffentliche Meinung strategisch zu beeinflussen. Ein Video ist schnell und billig gemacht, wenn es von al-Qaida kommt, entstehen weiter keine großen Kosten, um damit die globale Öffentlichkeit durch virale Verbreitung zu erreichen.

Nun hat sich wieder einmal Sawahiri, der als stellvertretende al-Qaida-Führer gilt, mit einem Videoband gemeldet, um direkt die amerikanische Öffentlichkeit zu beeinflussen. Allerdings haben die al-Qaida-Medienprodukte, wenn es sich nicht um Tötungen vor der Kamera handelt, die Aufmerksamkeitsökonomie noch nicht verinnert. Mehr oder weniger wird, wie in diesem Fall, 48 Minuten geredet. Erst einmal tritt kurz „Azzam the American“ auf, der kurz Sawahiri einführt. Sawahiri selbst spricht nur vier Minuten. Zuletzt hatte er zur Unterstützung der Hisbollah im Libanon-Krieg aufgefordert. Jetzt hält sich Sawahiri zurück, um Azzam vorzustellen, der die Amerikaner direkt in ihrer Sprache anreden kann und, entweder gut auswendig gelernt oder vom Prompter gelesen, seine Botschaft herunterspult.

Azzam ist der Amerikaner Adam Gadahn, der sich al-Qaida angeschlossen hat und schon zwei Mal Auftritte in Videos verzeichnen konnte. Aufgenommen wurden Sawahiri und Gadahn offensichtlich an verschiedenen Orten. Das aus Kalifornien stammende al-Qaida-Mitglied, das nun offenbar zumindest die mediale Weihe zumindest von Al-Sahab empfangen hat, in den inneren Zirkel vorgerückt zu sein, versucht in langen Ausführungen, den Islam in ein gutes Licht zu rücken und zu erklären, während die USA, Israel und der Westen mehr oder weniger für die Übel der Welt verantwortlich gemacht werden. Den amerikanischen Soldaten sagte er, sie seien nur Kanonenfutter für Bush und würden, wenn sie getötet werden, direkt in die Hölle kommen. Der Krieg könne nicht gewonnen werden, meinte er, weswegen die Soldaten eingeladen würden, zum Islam zu konvertieren. Aber nicht nur die Soldaten, sondern auch die Amerikaner und auch sonst alle Menschen sollen zum Islam übertreten und ihre „inkohärenten und unlogischen Glaubensvorstellungen“ aufgeben: „Ist jetzt nicht die Zeit für Christen, Juden, Buddhisten und Atheisten gekommen, das Gefängnis der geistigen Dunkelheit zu verlassen und in das Licht des Islam aufzutauchen?“ Die Angesprochenen dürften angesichts des ideologischen Alleinvertretungsanspruchs, der das Spiegelbild von Bushs Freund-Feind-Schema ist, allerdings „Nein, danke“ zu der ebenso plumpen bildlichen und sprachlichen Botschaft sagen. Das macht aber eigentlich nichts, die Gesichter der abgewirtschafteten Terrorgruppe mit ihrer medialen Spin-Organisation sind ebenso wie die Worte ebenso präsent auf dem Schlachtfeld des medialen Krieges wie die Bilder und Botschaften von US-Präsident Bush.