"Wanted, Dead or Alive"

Auch fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11.9. wird Osama bin Laden auf der Fahndungsliste des FBI nicht dieser Tat beschuldigt

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Der fünfte Jahrestag der Anschläge vom 11.9. nähert sich. Damit rückt ihr angeblicher Drahtzieher Osama bin Laden wieder in den Blickpunkt (Bin Laden schaut CNN und steht auf Whitney Houston). Gerade ist so die Washington Post wieder über einen seltsamen Sachverhalt gestolpert: Bin Laden, Most Wanted For Embassy Bombings?. Auf der „Most Wanted Fugitive“-Liste des FBI wird zwar Bin Laden an erster Stelle genannt und eine Belohnung von 25 Millionen US-Dollar auf Hinweise ausgesetzt, die zu seiner Ergreifung führen, aber von seiner Verantwortung für den 11.9. ist hier ebenso wenig die Rede wie bei der „Most Wated Terrorist“-Liste, auf derf Bin Laden gleichfalls an erster Stelle steht. Dasselbe gilt für al-Sawahiri.

Auf die FBI-Liste rückte Bin Laden 1999 nach den Anschlägen im Jahr 1998 auf die zwei US-Botschaften in Kenia und Tansania. Damals standen erst 5 Millionen Dollar auf seine Ergreifung. Er wird auch wegen weiterer Terroranschläge verdächtigt, ist zu lesen. Näher ausgeführt wird allerdings nur, dass er wegen Mord an US-Bürgern im Ausland, Verschwörung zum Mord an US-Bürgern im Ausland und einen Angriff auf eine US-Behörde mit Todesfolge gesucht wird. Nach dem 11.9. wurde die Belohnung auf 25 Millionen erhöht – ohne die Anschläge vom 11.9. zu erwähnen, die der Grund für die Erhöhung waren.

Seltsamerweise wird auch Khalid Sheikh Mohammed, der 2003 in Pakistan gefangen genommen wurde und irgendwo in einem CIA-Gefängnis festgehalten wird, vom FBI in der "Captured"-Meldung auch nicht in Zusammenhang mit dem 11.9. gebracht, obgleich er im Bericht der 9/11-Commission als der „principal architect of the 9/11 attacks“ gilt. Er soll den Vorschlag, das World Trade Center mit entführten Passagierflugzeugen anzugreifen, Bin Laden 1999 gemacht haben, der nach erstem Zögern dem Plan schließlich zugestimmt haben soll.

Seltsam scheint dies vor allem, weil Bin Laden nicht nur gleich als Verantwortlicher von der US-Regierung ausgemacht wurde, sondern er die Verantwortung für die Anschläge auch selbst übernommen hat. Zuletzt in seiner Audiobotschaft im Mai dieses Jahres, in der er bestritt, dass der in den USA als 20. Entführer beschuldigte und schließlich verurteilte „Bruder“ Zacarias Moussaoui tatsächlich für den Anschlag vorgesehen gewesen sei (Moussaoui selbst hatte zwar gestanden, einen Anschlag geplant zu haben, aber nicht an dem Plan für den 11.9. beteiligt gewesen zu sein).

Ich habe die 19 Brüder, möge Gott sie in Frieden ruhen lassen, mit dieser Schlacht betraut. Ich habe niemals Bruder Zacaria beauftragt, mit ihnen an dieser Mission teilzunehmen. Sein Geständnis ist falsch. Niemand kann daran zweifeln, dass er es nur aufgrund des Druckes der vergangenen viereinhalb Jahre abgelegt hat.

Nun könnte man vielleicht der Meinung sein, dass Bin Laden, nachdem sein Stern allmählich untergeht, sich jetzt doch entschlossen hat, die Anschläge öffentlich klar und deutlich für sich zu reklamieren, weil dies die allseits gehegten Vermutungen bestätigt, dass er der Auftraggeber sei, und er so sein Ansehen unter den Fundamentalisten festigen könnte, auch wenn er sie gan nicht Auftrag gegeben hatte. Andere wieder könnten vermuten, die US-Regierung zögere möglicherweise deswegen, Bin Laden die Schuld an diesen Anschlägen zuzuschreiben, weil sie selbst Dreck am Stecken hat oder irgendetwas verbergen will. Fragt sich nur, was sie davon hätte, während die späte Übernahme der Verantwortung durch Bin Laden sich auch damit erklären ließe, dass zwar jeder die Drahtzieher wusste, man durch Schweigen zu Beginn aber das militärische Vorgehen der Amerikaner besser als „Kreuzzug gegen den Islam“ darstellen konnte.

FBI-Mitarbeiter erklärten der Washington Post, dass die fehlende Zuschreibung nicht ungewöhnlich sei, da nur tatsächlich erhobene Anklagen aufgeführt werden. „Es gibt hier kein Geheimnis“, zitiert die Washington Post FBI-Sprecher Rex Tomb. „Sie hätten den 11.9. hinzufügen können, aber sie haben es nicht gemacht, weil es hier nicht notwendig ist … Es gibt hier eine Logik.“ Die mag zwar nicht jedermann sofort erkennbar sein. David N. Kelley, ein ehemaliger Staatsanwalt von New York, erklärt, dass dies aus rechtlichen Gründen so sei und man gegenüber Angeklagten fair sein müsse: “Von außen betrachtet mag dies ein wenig seltsam wirken, aber das macht aus der rechtlichen Perspektive Sinn. Wenn ich in der Regierung wäre, würde ich, unabhängig davon, um wen es geht, in Schwierigkeiten kommen, wenn ich gefragt würde, ein Fahndungsbild auszugeben, wenn keine formale Anklage erhoben worden ist.“ Solches Rechtsbewusstsein hat man zwar nicht immer bei der US-Regierung, wenn man Verdächtige ohne Anklage in Geheimgefängnissen „verhört“ und wegschließt oder sogenannte feindliche Kämpfer ohne Anklage Jahrelang einsperrt.

Allerdings wird auf der Überblicksseite der Most Wanted Terrorists-Liste der Sachverhalt, nach dem sich das FBI richtet, auch erklärt. Zur Fahndung ausgeschrieben werden Terrorverdächtige, die formal angeklagt worden sind, wofür auch Beweise vorgelegt wurden: Man könne auch die erhobenen Anklagen im Rahmen der fortschreitenden Strafverfolgung anderer Terroranschläge erweitern: „Beispielsweise der Terroranschläge am 11. September 2001.“ Für die Fahndung und Festnahme würden die aufgeführten Anklagen ausreichen.

Beunruhigend muss für die US-Regierung jedoch bleiben, dass der al-Qaida-Führer und Drahtzieher der Anschläge vom 11.9., aufgrund derer die USA in den Krieg zogen, noch immer unbehelligt irgendwo lebt. Am 17.9.2001 hatte US-Präsident Bush gesagt und damit die globale Jagd auf die Terroristen ausgerufen: "I want justice. There's an old poster out West that said: 'wanted, dead or alive.'"