Brasilien und die friedliche Urananreicherung
Brasilien baut eine Wiederaufbereitungsanlage, die nicht gänzlich den UN-Inspektoren offen stehen soll und bringt damit die US-Regierung in Verlegenheit, die nach dem Irak ein hartes Vorgehen vor allem gegen den Iran fordert
Es sind nicht mehr nur die klassischen Länder "Achse des Bösen" oder der Schurkenstaaten, die Intentionen hegen, sich mit Atomwaffen hochzurüsten, oder sich vielleicht auch nur die Option offen halten wollen. Pakistan, Indien und Israel haben sich bereits mit Atomwaffen ausgestattet, Nordkorea und der Iran sind vermutlich imstande, waffenfähiges Plutonium herzustellen. Libyen und bis zum ersten Krieg 1991 auch der Irak haben dies beabsichtigt. Nun aber kam vor kurzem noch ein weiterer Aspirant aus einer ganz anderen Region ins Spiel. Brasilien hatte letztes Jahr angekündigt, zur friedlichen Nutzung in Atomkraftwerken Uran in größerem Umfang anreichern zu wollen, Inspektoren der Atomaufsichtsbehörde IAEA will man aber nicht ins Land lassen.
Besonders für die US-Regierung - aber auch für die anderen "Atomländer", die schlicht aus historischen Gründen legitim Atomwaffen besitzen dürfen, aber für deren Nichtverbreitung eintreten - könnte Brasilien zu einem schwierigen Fall werden. Die Bush-Regierung hatte mit der Existenz von Massenvernichtungswaffen und angeblichen Atomwaffenprogrammen dem Krieg gegen den Irak gerechtfertigt, der gleichzeitig als abschreckende Mahnung an andere Länder inszeniert wurde. Massiv wurde so der Iran unter Druck gesetzt, die angeblich auch nur zur friedlichen Nutzung vorgesehene Wiederaufbereitungsanlage für die IAEA-Inspektoren zu öffnen und alle Bestrebungen einzustellen, waffenfähiges Nuklearmaterial einzustellen. Inzwischen hat die iranische Regierung den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben, den auch Brasilien unterzeichnet hat, nicht aber Israel, Pakistan oder Indien. Auch Inspektionen wurden zugelassen, aber es besteht der Verdacht, dass die iranische Regierung vielleicht weiterhin heimlich ein Atomwaffenprogramm verfolgen könnte.
Zweierlei Maß
Problematisch war auch schon in Bezug auf den Irak, dass die US-Regierung nicht ebenso scharf gegen Nordkorea vorging, dass im Unterschied zum Irak waffenfähiges Plutoium herstellen kann, mit der Wiederinbetriebnahme einer Wiederaufbereitungsanlage ein Abkommen mit den USA verletzt hat, keine Inspektionen zulassen will und zudem mit dem Einsatz von Atomwaffen bei einem Angriff drohte, auch wenn unbekannt ist, ob das verarmte Land tatsächlich Nuklearsprengköpfe besitzt. Bush hatte neben dem Iran auch Nordkorea zur Achse des Bösen gerechnet, hier aber auf Verhandlungen gesetzt, obwohl das Land nicht nur bekanntermaßen ein Atomwaffenprogramm verfolgt und biologische und chemische Waffen besitzt, sondern eine zumindest dem Irak unter Hussein ebenbürtige, wahrscheinlich aber schlimmere Diktatur ist.
Dass die US-Regierung - und die "Koalition der Willigen" - mit zweierlei Maß vorgehen und sich damit ihrer Glaubwürdigkeit berauben, wurde auch im Fall von Pakistan deutlich. Wie sich herausstellte war Pakistan wichtiger Lieferant von Technologien, die "Schurkenstaaten" für Atomwaffenprogramme benötigen. Ohne das Mitwissen anderer staatlicher Stellen hätte wohl der "Vater der muslimischen Atombombe" Khan das nicht betreiben können. Doch weil Pakistan mit seinem durch einen Putsch an die Macht gelangten Präsidenten Musharraf dringend im Kampf gegen al-Qaida und Taliban in Afghanistan benötigt wurde, gab es nicht einmal Sanktionsandrohungen, vielmehr wurde das Land nach der Entdeckung zu einem engen Alliierten erhoben, an das auch Militärtechnologie geliefert werden kann.
Dass Libyen sein geheimes, aber offenbar schon lange nicht mehr verfolgtes Atomwaffenprogramm einstellte, wurde von Blair und Bush als Erfolg ihrer Strategie gepriesen, mit Druck, wenn nötig auch mit militärischer Gewalt wie im Irak die Verbreitung von Technologien zur Herstellung von Nuklearwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen zu unterbinden. Solange aber nicht nur Israel, Pakistan und Indien weiter ungehindert aufrüsten können, sondern auch die fünf Atommächte China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA sich nicht zur Abrüstung verpflichten, wird dieses Ungleichgewicht für weitere Konflikte sorgen.
Das wird auch deutlich an der von US-Präsident Bush Initiative, im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zu beschließen, die die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindern soll (Bush will Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindern). Die Resolution würde von den Staaten verlangen, Gesetze zu verabschieden, die die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen an "nicht-staatliche Akteure", also "Terroristen", verbietet. Zudem würde Staaten die Wiederaufbereitung von Uran untersagt, die nicht schon solche Kapazitäten haben. Auf den Resolutionsentwurf haben sich die fünf Atommächte geeinigt. Die USA konnten China mit ins Boot ziehen, nachdem die eigentlich geplante Maßnahme, auf dem Meer Schiffe stoppen und nach Massenvernichtungswaffen durchsuchen zu können, wieder fallen gelassen wurde. So wird die "Proliferation Security Initiative", die eben die Kontrolle der Weltmeere in Eigenauftrag übernimmt und an der sich auch Deutschland beteiligt, weiterhin eine rechtlich fragwürdige Aktion bleiben (Notfalls auch mit militärischer Gewalt nach dem Exempel Irak).
Obwohl die Resolution im Sicherheitsrat vermutlich eine Mehrheit erlangen kann, wollen Nigeria und Deutschland, aber auch Pakistan und Brasilien Änderungen. Pakistan wünscht eine Diskussion auf der UN-Vollversammlung und will die Resolution als Empfehlung formuliert sehen. Kritisiert wird auch, dass die Resolution Sanktionen für Länder vorsieht, die sie verletzen, während die fünf Atommächte und permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates wegen ihrer Veto-Möglichkeit praktisch nicht belangt werden könnten.
Brasilien fordert die Atommächte auf, ihre Verpflichtungen zur Abrüstung zu erfüllen
Im Unterschied zu Pakistan steht Brasilien derzeit selbst unter Druck. Angeblich gibt es einen Konflikt zwischen der Atomaufsichtsbehörde und dem Land, da Brasilien IAEA-Inspektoren die Wiederaufbereitungsanlage nicht ganz überprüfen lassen will, die gerade in der Nähe von Rio de Janeiro hinter Mauern gebaut wird. Darin würde nur leicht angereichertes Uran hergestellt, das für Atomkraftwerke, aber nicht für Waffen verwendet werden könne. Daher sei dies nach ganz legal und Inspektionen schon deswegen nicht erforderlich, weil Brasilien erklärt hat, keine Atomwaffen herzustellen. Angeblich fürchtet man eine Preisgabe von "technischen Lösungen", die Geräte und Materialien einschließen, lasse aber Inspektionen im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags zu, der den Schutz von technologischen Geheimnissen garantiere. Das betrifft offenbar vor allem die Zentrifugen. Dort, wo Uran verarbeitet werde, würden sich auch von der IAEA kontrollierte Kameras befinden.
Brasilien hat alles in außergewöhnlicher Weise erfüllt. Das aber trifft auf die Atommächte nicht zu, die ihre Verpflichtungen nach dem Artikel 6 des Atomwaffensperrvertrags nicht erfüllen, der sie auffordert, Verhandlungen zur Abrüstung aller Atomwaffen einzutreten
Celso Amorim, der brasilianische Außenminister
In Brasilien gibt es viel Uran, bislang muss das Land das Uran im Ausland anreichern lassen, was viel Geld kostet. Man will jetzt die selbst die eigenen Atomkraftwerke versorgen können und zu dem angereichertes Uran exportieren. Die Washington Post sah in der Weigerung Brasiliens die Gefahr eines neuen atomaren Wettrüstens, indem Staaten sich die Möglichkeiten schaffen, schnell bei Bedarf atomwaffenfähiges Material herstellen zu können.
Brasilien hat den Atomwaffensperrvertrag erst 1998 ratifiziert, aber das Zusatzprotokoll noch nicht, das Überraschungsbesuche der Inspektoren erlaubt. 1994 wurde von Brasilien aber zusammen mit Argentinien der Vertrag von Tlatelolco zur Ächtung von Atomwaffen in Lateinamerika unterzeichnet - wodurch Lateinamerika zum atomwaffenfreien Kontinent erklärt wurde, das Land ist seit 1996 Mitglied der Nuclear Suppliers Group (NSG). Überdies hat Brasilien den Atomteststoppvertrag ratifiziert (im Unterschied zu China, Israel, dem Iran, Ägypten, Libyen Indien, Pakistan und den USA). Zuvor hatte das brasilianische Militär aber ein Atomwaffenprogramm betrieben. Mit der Hilfe Deutschlands konnte Brasilien bereits in den 70er Jahren Uran anreichern. Ebenfalls mit deutscher Hilfe wurden in Brasilien die ersten Atomkraftwerke gebaut.
Problematisch ist nun, ob Brasilien die Wiederaufbereitungsanlage nicht nur bauen kann, sondern auch wichtige Teile der Anlage wie die Zentrifugen vor den Augen der UN-Inspektoren verbergen darf. Sollte die US-Regierung hier dies gestatten, wäre das scharfe Vorgehen gegen Nordkorea und vor allem dem Iran klar noch einmal als einseitig und interessengeleitet erkennbar. Der brasilianische Außenminister Celso Amorim erklärte am Mittwoch, dass Brasilien in dieser Frage sich einem Druck von außen nicht beugen werde.