Brennender Sand?

Rätsel um Kugelblitze möglicherweise gelöst

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Eine der verbliebenen unheimlichen, sagenumwobenen Naturerscheinungen ist der Kugelblitz. Er wurde zwar nur von vergleichsweise wenigen Menschen beobachtet, doch ist seine Existenz auch fotografisch belegt. Wie es zu diesem Phänomen kommt, ist bislang ungeklärt. Eine der diskutierten Theorien konnte nun im Laborexperiment praktisch nachvollzogen werden.

Kugelblitze entstehen im Umfeld von Gewittern, doch stürzen sie nicht aus dem Himmel, sondern bewegen sich in geringer Höhe und wechselnden Geschwindigkeiten über den Boden, verschwinden dabei auch schon einmal in Gebäuden und verlöschen mal langsam, mal mit einem lauten Knall. Zuvor schlagen sie manchmal Haken wie Hasen und jagen deshalb den Zeugen solcher Ereignisse große Angst ein.

Historische Zeichnung eines in einem Innenraum eindringenden Kugelblitzes

Ein derartig flüchtiges und seltenes Ereignis lässt sich wissenschaftlich natürlich nur schwer untersuchen. Es gibt deshalb zahlreiche Theorien, was dem Phänomen nun zugrunde liegen könnte. Am abstrusesten ist dabei die Vorstellung, dass es sich um im Blitzkanal entstandene mikroskopisch kleine Schwarze Löcher handele. Am populärsten war wiederum die 1955 von dem russischen Physiker Kapiza vertretene Ansicht, dass es sich um interferierende Mikrowellenstrahlen handeln könnte, die stehende Wellen erzeugen. Kapiza war der Ansicht, ein Kugelblitz müsse sich aus einer externen Energiequelle speisen, wenn er so viele Sekunden leuchte, weil es nicht möglich sei, dass eine eigenständige Entladung oder Explosion so lange anhalte: selbst eine Nuklearexplosion, die auf die Größe eines Kugelblitzes reduziert wäre, würde gerade einmal 10 Millisekunden leuchten, so sein Gedankengang.

Diese Theorie ließ sich immerhin von Y. H. Ohtsuki und H. Ofuruton mit den 5 kW Dauerleistung eines etwas stärkeren Mikrowellensenders im Laborexperiment 1991 nachvollziehen – es entstanden tatsächlich leuchtende Kugeln, jedoch nur von kurzer Dauer weit unter einer Sekunde. Der reale Kugelblitz soll dagegen typischerweise zwei bis acht, in Ausnahmefällen auch bis zu 30 Sekunden leuchten, wobei der starke Eindruck, der die Erscheinung hinterlässt, natürlich subjektiv zu einer etwas längeren gespürten Zeit führen könnte.

Historische Zeichnung einer Kugelblitzerscheinung in einem Innenraum: "Globe of Fire Descending into a Room" aus "The Aerial World," Dr. G. Hartwig, London, 1886

Allerdings ist schwer zu erklären, wo in der Natur derartig intensiv konzentrierte Mikrowellenstrahlung einer definierten Wellenlänge herkommen sollte – nur dann entstehen intensive Interferenzen, allerdings typischerweise an mehr als einer einzigen Stelle, es müssten also eher Ketten von Kugelblitzen entstehen. Auch die Theorie eines atmosphärischen Masers, die 1988 von Peter Handel aufgebracht wurde, um derartige Mikrowellenintensitäten zu erklären, hilft hier nur bedingt weiter: Mikrowellenstrahlung solcher Intensität hätte noch ganz andere Effekte und würde die Zeugen, die in die Nähe eines Kugelblitzes gekommen sind, erblinden lassen. Verletzungen durch Kugelblitze sind jedoch nur bekannt, wenn diese mit dem Opfer unmittelbar kollidiert sind.

Ein weiteres Problem ist, dass die durch die Mikrowellen erzeugten Plasmen dazu neigen, aufzusteigen, während Kugelblitze eben in nur geringer Höhe über dem Boden kriechen. Wissenschaftler der an Arbeitsgruppe Plasmaphysik des Garchinger Max-Planck-Instituts und der Berliner Humboldt-Universität haben letztes Jahr im Rahmen des Jahres der Wissenschaft mit elektrischen Entladungen in Wasser zwar kugelblitzähnliche Leuchterscheinungen im Labor erzeugen können, doch erreichten diese auch nur eine Lebensdauer von einer halben Sekunde und erinnern eher an Mini-Atomexplosionen, die schnell aufsteigen und verlöschen.

Künstliche Leuchterscheinungen nach Entladung in Wasser (Bild: IPP)

Eine andere Theorie aus dem Jahr 2002 von John Abrahamson und James Dinniss von der University of Canterbury in Christchurch, Neuseeland, besagt, dass es sich beim Kugelblitz um eine Folgereaktion eines Blitzeinschlags in vorzugsweise stark sandhaltigen Boden handelt: Bei der extremen Energiezufuhr durch den Blitz wird das Silizium, das im Sand als Siliziumoxid vorliegt, auf seine metallische Form reduziert und verdampft. Wenn dieses Siliziumgas dann langsam wieder oxidiert, also verbrennt, entsteht eine Leuchterscheinung, die auch entsprechend jene Hitze freisetzt, wie sie bei Kugelblitzen beobachtet wurde.

Ein Wissenschaftlerteam um Antônio Pavão und Gerson Paiva von der staatlichen University of Pernambuco in Brasilien hat nun im Labor diese Theorie in einem Experiment praktisch nachvollzogen, indem sie 350 µm dicke Siliziumwafer aus der Halbleiterherstellung zwischen zwei Elektroden platzierten und mit Strömen von bis zu 140 Ampere verdampften. Anschließend ließen sie einen Funken zwischen den Elektroden überspringen, so wie er auch in einer Blitzentladung vorzufinden wäre. Dabei konnten sie Leuchterscheinungen von der Größe eines Tischtennisballes und Farbabstufungen von orange-weiß bis blau-weiß erzeugen, wie sie auch bei echten Kugelblitzen beobachtet wurden. Zudem erreichten diese Erscheinungen bis zu acht Sekunden Lebensdauer, die sie im Labor und her schwebten und dabei Plastik zum Schmelzen brachten sowie Paiva auch ein Loch in seine Jeans brannten. Weitere Verletzungen blieben den Forschern allerdings erspart.

Die Forschungsergebnisse werden in den Physical Review Letters veröffentlicht, vorab berichtete darüber bereits der New Scientist. Damit sind die Siliziumfeuer den echten Kugelblitzem deutlich ähnlicher gekommen als alle anderen bislang experimentell erzeugten Leuchterscheinungen und es spricht einiges dafür, dass man diesmal tatsächlich dem Rätsel der Kugelblitze auf den Grund gekommen ist. Allerdings ist noch eine deutliche Verfeinerung der Experimente notwendig, um dies sicher belegen zu können.