Brexit: Großbritannien vor dem Großen Sprung

Seite 2: Schottland: ungewisse Zukunft

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In Schottland ist der Unmut über die Regierung in London inzwischen dermaßen groß, dass Regierungschefin Nicola Sturgeon ein neues Unabhängigkeitsreferendum anstrebt, nachdem Theresa May auf die Wünsche Schottlands, weiterhin Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu haben, nicht eingegangen ist.

Wenn die Unabhängigkeitsbewegung in Schottland jetzt wieder stärker wird, dann ist das vor allem für die britische Regierungschefin ein Problem: Das Vereinigte Königreich zerbröselt ihr in den Fingern. Doch selbst bei einem Treffen mit Sturgeon am Montag lenkte May nicht ein: Sie habe kein "Angebot, das man nicht ablehnen kann", auf den Tisch gelegt, beklagte sich Sturgeon danach.

Dabei war es gar nicht ausgemacht, dass die Schotten, die mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt hatten, deswegen jetzt für die schottische Unabhängigkeit sind. Denn erstens spricht vieles, was gegen den Austritt des kleinen Großbritannien aus der großen EU spricht, auch gegen den Austritt des kleinen Schottlands aus dem großen Britannien. Die Schotten hätten mit einem Schlag dieselben Probleme wie London. So gehen rund zwei Drittel der schottischen Exporte in andere Teile des Vereinigten Königreichs, wie die Regierung in London Ende Januar vorrechnete.

Zweitens könnte ein unabhängiges Schottland wahrscheinlich gar nicht so einfach EU-Mitglied bleiben: Vor allem die spanische Regierung fürchtet einen gefährlichen Präzedenzfall. Denn in Katalonien mit der Hauptstadt Barcelona gibt es auch eine starke Unabhängigkeitsbewegung, die die Trennung von Madrid anstrebt. Von daher müsste ein unabhängiges Schottland den EU-Beitrittsprozess wohl ganz von vorne durchlaufen.

EU-skeptisches Schottland

Drittens hat sich das Verhältnis der schottischen Bevölkerung zur EU auch verändert. So ergaben Umfragen, dass zwar die Zustimmungswerte zu einem unabhängigen Schottland mit 46 Prozent so hoch wie nie sind. Gleichzeitig ist aber auch die Skepsis gegenüber der EU auf 67 Prozent gewachsen. 1999 lag dieser Wert noch bei 40 Prozent.

Unabhängigkeit und EU-Mitgliedschaft gehören also bei vielen Bürgern vielleicht gar nicht mehr zusammen. Dementsprechend wird schon über einen Kurswechsel in der Politik spekuliert. So forderte Ex-Staatssekretär Alex Neil, bei einem Referendum zwei Fragen zu stellen: "Wollen Sie, dass Schottland ein unabhängiger Staat wird?" und "Wollen Sie, dass ein unabhängiges Schottland Mitglied der EU wird?"

Die schottische Regierungschefin selbst bekräftigte zwar, dass ihre Scottish National Party weiter dafür ist, dass Schottland in der EU bleibt. Aber es gibt inzwischen auch andere Stimmen. So meinte der frühere stellvertretende SNP-Vorsitzende Jim Sillars, er werde ein Unabhängigkeitsreferendum boykottieren, wenn damit Sturgeon im EU-Binnenmarkt bleiben will.

In Schottland gibt es deswegen auch manche, die die Norwegen-Option wollen. Britische Medien spekulieren bereits, ob die SNP intern nicht schon längst in diese Richtung geschwenkt ist.