Brexit: IfW-Chef regt Einlenken Brüssels beim Backstop an
Juncker gibt zu, dass man in Brüssel nun doch "intensiv an einem Deal arbeitet"
Einen guten Monat vor einem am 31. Oktober drohenden "Hard Brexit" rät Gabriel Felbermayr, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Brüssel zum Einlenken bei den Verhandlungen über einen neuen Ausstiegvertrag. Der alte, den das britische Unterhaus drei Mal ablehnte, ist dem Österreicher zufolge für die Briten "kein guter Deal", weil Theresa May mit ihm "praktisch alle Trümpfe aus der Hand" gab, "ohne zu wissen, was bei den Gesprächen über ein künftiges Handelsabkommen herauskommt".
"Sinnvolle" und schnell machbare Ergänzungen vom Mays Ausstiegsdeal wäre seiner Ansicht nach das Angebot eines Zollvereins, bei dem das Vereinigte Königreich ein Mitspracherecht hat, und ein Kündigungsrecht für den "Backstop", der das Land auch nach dem Austritt an EU-Regeln binden würde (vgl. "It's all Spin and no Substance"). So ein Kündigungsrecht könnte seiner Ansicht nach dann wirksam werden, wenn zwei Jahre lang ergebnislos über eine Regelung für die irische Binnengrenze verhandelt wurde, an der der Backstop Kontrollen verhindern soll.
Zuletzt war es jedoch nicht London, sondern Brüssel, das solche Maßnahmen androhte: Nachdem Mays Nachfolger Boris Johnson im August zusicherte, keine Kontrollen an der britischen Binnengrenze durchzuführen, die gegen das Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 verstoßen würden, stellte sich die EU auf den Standpunkt, dass in so einem Fall die Republik Irland die Grenze kontrollieren müsse. Ihr Argument: Sonst könnten "über die nordirische Hintertür chinesische Billigware und amerikanische Chlorhühnchen in den Binnenmarkt gelangen" (vgl. "Wir schaffen das" mit britischem Akzent).
Auch der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der lange behauptete, man könne und werde den mit Theresa May geschlossenen Deal nicht mehr aufschnüren, gab am Freitag gegenüber der Augsburger Allgemeinen zu, dass man in Brüssel nun doch "intensiv an einem Deal arbeitet". Aus "diplomatischen Kreisen in Brüssel" hatten andere Medien vorher erfahren, dass die von London vorgelegten "Ideenpapiere" zu Backstop-Alternativen zwar nicht ausreichten, aber ein "Fenster für einen Deal geöffnet" haben könnten.
SNP-Chefin Sturgeon fürchtet "schlechten Deal" noch mehr als einen Ausstieg ohne
Die schottische Regionalregierungschefin Nicola Sturgeon ließ am Freitag auf Twitter durchblicken, dass sie so einen neuen Deal noch mehr fürchtet als einen Ausstieg zu WTO-Konditionen am 18. Oktober. Unausgesprochener Hintergrund dieser Präferenz dürfte sein, dass der amtierende Premierminister mit so einem Deal gute Chancen hätte, eine vorgezogene Neuwahl zu gewinnen. Das von ihr angestrebte erneute Referendum über eine schottische Unabhängigkeit würde er dann wohl kaum genehmigen.
Wahrscheinlich auch deshalb wäre Sturgeon bereit, den Labor-Chef Jeremy Corbyn als Interimspremierminister zu akzeptieren, der nach einem Sturz Johnsons durch ein Misstrauensvotum baldige Neuwahlen ansetzen soll. Daran, dass ein einmal vom Parlament zum Premierminister gemachter Corbyn das dann auch unverzüglich macht, glaubt allerdings nicht jeder. Bei den Liberaldemokraten fürchtet man, dass er so lange abwarten könnte, bis die Umfragewerte für seine Partei wieder besser aussehen, und hat deshalb andere Namen genannt, die wiederum der Labour Party nicht recht sind (vgl. Labour, Liberaldemokraten und Remainer-Tories streiten über einen Sturz Johnsons).
Erneute Parlamentspause?
Johnson selbst plant der Daily Mail zufolge nach seiner Ablehnung einer fünfwöchigen Parlamentspause durch den Supreme Court am letzten Dienstag, einen Antrag auf die sonst übliche zweiwöchige Pause zu stellen, die seit zwei Jahren überfällig ist. Während dieser traditionellen zweiwöchigen Pause hat die Regierung Zeit, ihre Vorhaben und Prioritäten in einer Rede zusammenzufassen, die dann von der englischen Königin vorgelesen wird. Seinem Antrag, die Sitzungsperiode wegen des heute beginnenden Tory-Parteitags in Manchester bis Mittwoch zu unterbrechen, lehnte das Unterhaus letzte Woche ab.
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