Bürgergeld: Wer kürzt mehr?

Seite 2: Staatliches Ideal: Das ganze Volk arbeitet für den nationalen Reichtum

Bei diesem Programm ist es daher ein Ärgernis für den Staat, wenn nicht alle Arbeitsfähigen vom Kapital hergenommen werden, mithin diese kein Einkommen erzielen können. Damit tragen sie nicht zum deutschen Reichtum bei, stellen sogar einen Abzug dar: Die auf Dauer Arbeitslosen verursachen für den Staat Ausgaben – früher als Hartz IV bekannt, jetzt Bürgergeld.

Denn die Arbeitslosenversicherung, bezahlt von den Beschäftigten und deren Arbeitgebern jeweils zur Hälfte, greift bei ihnen nicht mehr. Die Versicherungsleistungen sind auf bis maximal zwei Jahre befristet. Danach gehörte man bis vor Kurzem zu den Hartzern. Die heißen nun vornehmer Bürgergeld-Bezieher.

An dem sehr geringen Geld für diese Bezieher hat sich nichts Entscheidendes geändert. Jetzt sind es 563 Euro für Alleinstehende und Alleinerziehende, 506 Euro für Paare je Partner, und für Kinder und Jugendliche gibt es je nach Alter je zwischen 357 und 471 Euro. Ein bequemes Ruhekissen, auf dem man sein Leben mit dem hiesigen Preisniveau angenehm gestalten kann, sieht anders aus.

Das wäre ja noch schöner, dürfte CDU-Mann Carsten Linnemann tönen. Die sollen schließlich weniger verdienen als die, die eine Arbeit haben! Damit sie sich gezwungen sehen, eine Beschäftigung anzunehmen – egal welche. Denn dann kosten sie dem Staat nicht Euros, die für Wichtigeres ausgegeben werden könnten, siehe die genannten Ziele.

Und sie würden zu einem Gewinn beitragen, sei es als Putzkraft einer Reinigungsfirma oder Lagerarbeiter einer Spedition, von dem Steuern für den Staat abfielen.

Was Bürgergeld-Beziehern nicht erlaubt ist: Den besten Arbeitsplatz aussuchen

Eine betriebswirtschaftliche Kalkulation der Betroffenen kommt im Gedankengang des Volkswirtschaftlers Linnemann nicht vor. Wie viel mehr Geld bringt der neue Job, welche Kosten entstehen und wie viel Zeit braucht es, um den Arbeitsplatz zu erreichen? Wie schwer ist er, und hat er das Potenzial, weiterzukommen?

Überhaupt: Entspricht er meinen Qualifikationen? Gar nicht zu denken daran, dass die neue Arbeit vielleicht sogar ein klein wenig interessant und nicht allzu stressig ist.

Wer beim Bürgergeld angekommen ist, darf all dies nicht in Erwägung ziehen. Er ist grundsätzlich verpflichtet, wieder eine Arbeit aufzunehmen, die ihm angeboten wird.

Spätestens beim zweiten Angebot, sonst drohen Kürzungen. Dabei ist die Einschränkung, der neue Job müsse zumutbar sein, sehr dehnbar. Und ein irgendwie attraktives Gehalt kommt als Bedingung auch nicht vor.

Die SPD handelt: Wer ein Arbeitsangebot zu oft ablehnt, wird gekürzt

Wenn der Bürgergeld-Empfänger die Angebote ablehnt, hat er seinen Anspruch verwirkt. So die eiskalte Drohung nicht nur von Carsten Linnemann. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) legte bereits Ende vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf vor, der Kürzungen des Bürgergelds in solchen Fällen vorsieht:

[…] denjenigen die Regelleistung bis zu zwei Monate lang komplett zu streichen, die jegliches Arbeitsangebot ablehnen. Lediglich die Kosten für Unterkunft und Heizung zahlt der Staat weiter, damit die Arbeitslosen nicht obdachlos werden.

Das Arbeitsministerium wies darauf hin,

[…] dass die geplante komplette Streichung des Regelbedarfs in bestimmten Fallkonstellationen auch vom Bundesverfassungsgericht für möglich erachtet werde, wenn Betroffene etwa ohne wichtigen Grund einen Job nicht annehmen.

Aktuell dürfen die Jobcenter maximal 30 Prozent des Bürgergelds kürzen. Das Bundesverfassungsgericht ließ zuletzt aber eine Verschärfung für Fälle zu, in denen ein Bürgergeld-Empfänger ohne wichtigen Grund ein konkret bestehendes und zumutbares Arbeitsangebot verweigert

Die Presse tritt auf den Plan: Das Thema ist zu wichtig für Parteienstreit!

Zwei Monate das Bürgergeld streichen oder länger, wenigstens Wohnung und Heizung noch zahlen oder auch das nicht mehr – zwischen diesen menschenfreundlichen Polen bewegen sich die Drohungen von sozialen und christlichen Demokraten. Da ist die Presse nicht weit, um den nötigen journalistischen Ausgleich zu schaffen. Stellvertretend für viele: Simon Groß in der Süddeutschen Zeitung.

Erst einmal zeigt er viel Verständnis für die Verschärfung: "Sicher, mit dem Bürgergeld hat man es zu gut gemeint".1 Nein, damit meint er nicht, dass es den Empfängern nunmehr eine halbwegs würdige Existenz ermöglicht. Sondern Untersuchungen hätten gezeigt, "dass das Bürgergeld in seiner jetzigen Form die Anreize zum Arbeiten verringert hat".

Die Kalkulation beim Wechsel von Hartz IV zum Bürgergeld war tatsächlich nicht nur die eines Etikettenwechsels, um die SPD vom leidigen Makel der Hartz-Erfinder zu erlösen.

Vielmehr setzt das Bürgergeld außerdem noch mehr den Akzent auf Vermittlung in eine neue Arbeit. Ein Kooperationsplan soll individuell eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt anstreben und dazu auch Weiter- und Fortbildung enthalten.

Rechnung ohne den Wirt: Unternehmen haben Langzeitarbeitslose abgeschrieben

Dumm nur, wenn die Unternehmen dafür wenig zu bieten haben, genauer gesagt Jobs, die in puncto Arbeitsbedingungen und Bezahlung unterirdisch sind.

Die umfangreichen Entlassungen haben die Betriebe ja nicht vorgenommen, um sogleich wieder in ähnlichem Umfang neue Leute für teures Geld einzustellen. Über die vielen Langzeitarbeitslosen hat das Kapital das harte Urteil gefällt: Wir brauchen euch nicht mehr.

Die Rechnung ist also im gewünschten Umfang für den Staat nicht aufgegangen, findet auch der SZ-Journalist. Ein Urteil über eine Wirtschaft, die einige Millionen Menschen für nutzlos erklärt und sie in Existenznot stürzt, fällt ihm indes nicht ein. Hingegen nimmt er sich voller Verständnis der Nöte der Politik an.

Klartext der FDP: Kürzung spart fast eine Milliarde Euro!

Allerdings nicht in dem ernüchternden Sinne, dass dem Staat angesichts vieler Milliarden Euros, die er für militärische und ökonomische Konkurrenz benötigt, die Kosten des Bürgergelds zu viel sind. Die Liberalen sind da deutlicher2:

FDP-Fraktionschef Dürr sagte, eine inflationsgemäße Kürzung des Bürgergelds könnte die Haushaltslücke um bis zu 0,85 Milliarden Euro schließen.

Dieser Betrag käme zustande, wenn man das Bürgergeld von 563 Euro monatlich für Alleinstehende und Alleinerziehende um 14 bis 20 Euro senkte.

SPD und Bündnis 90/Grüne wie auch das Bundesarbeitsministerium haben den FDP-Vorschlag zurückgewiesen. Zumal man sich in der Bundesregierung einig ist, dass das Bürgergeld 2025 nicht steigen wird.

Und da man getrost von einer weiteren Inflation ausgehen darf, wird es wie von selbst den arg geplagten staatlichen Haushalt weniger belasten. Den FDP-Vorschlag braucht es also nicht – die effektive Kürzung bekommt man auch so hin.