Bürgergeld: Wer kürzt mehr?
Seite 3: Wenn Journalisten "Stimmungen" erkennen, meinen sie meist die eigenen
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- Staatliches Ideal: Das ganze Volk arbeitet für den nationalen Reichtum
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Es geht jedoch um mehr als rein finanzielle Überlegungen. Die Schrauben beim Bürgergeld anzuziehen, sei auch eine Frage der Gerechtigkeit, meint SZ-Kommentator Groß3:
Seitdem die Inflation vielen zusetzt und beim Staatshaushalt gefühlt um jeden Euro gerungen wird, ist das Verständnis für Menschen, die von der Gemeinschaft unterstützt werden, spürbar gesunken.
Wie fleißige Journalisten nun einmal arbeiten, hat Groß mal eben eine repräsentative Umfrage unter allen Deutschen organisiert. Er weiß daher ganz sicher, dass das Verständnis gesunken ist, sogar spürbar. In Wahrheit ist es sein Verständnis, was da den Bach runtergeht. Es klingt nur objektiver, eine vermeintliche Stimmung im Volk als unumstößlichen guten Grund für eine politische Entscheidung zu benutzen.
Dabei müsste eines sofort auffallen: Seit wann richten sich Politiker – und mit ihnen die soufflierenden Medien – nach einer solchen Stimmung? Womöglich noch einer, die sich sogar mit Demonstrationen auf die Straße traut?
Missgunst als Argument: Wenn wir weniger haben, müssen die auch weniger haben
Der demokratische Souverän heißt nicht von ungefähr genauso. Druck von der Straße oder Stammtischen beugt er sich nicht. Die Politik handelt nach den Erfordernissen eines Staates, der aus seinem Volk das Maximum herausholen will für die Anhäufung von Reichtum und damit Macht und Einfluss in der Welt. Auf Einzelinteressen wird dabei keine Rücksicht genommen. Es sei denn, sie passen zu den Erfordernissen.
Aber mal ernst genommen: Warum soll das Verständnis für Bürgergeld-Bezieher gesunken sein? Erstens, weil die Inflation vielen zusetzt. Die Unternehmen treiben die Preise hoch, das normale Volk kann sich weniger leisten. Da schauen die Leute dann voller Missgunst auf das Bürgergeld? Nach dem Motto: Wenn wir weniger haben, sollen die auch weniger haben?
Abgesehen von den lächerlichen paar Euros, die die Bezieher relativ zur Inflation mehr bekommen und abgesehen von dem Fehler, den eigenen Schaden nicht zu bekämpfen, sondern ihn auch anderen zu wünschen – wie daneben ist es, Missgunst als guten Grund herzunehmen?
Der Staatshaushalt als Kuchen: die Mär von der gerechten Verteilung
Zweitens der Staatshaushalt, bei dem um jeden Euro gerungen wird. So sind sie, die Politiker: Echte Helden, die nur ein Säckel Geld zur Verfügung haben und damit versuchen, in der Verteilung ans Volk es so gerecht wie möglich zu machen.
An diesem Bild stimmt nichts. Es sind keine Helden, sondern ziemlich nüchterne Leute, die für die staatlichen Vorhaben das nötige Geld einplanen – und dabei nicht nur mit den Steuereinnahmen arbeiten. Das würde schließlich so manchen wichtigen Plan zu arg beschränken. Also wird Kredit aufgenommen, soviel das Finanzkapital hergibt.
Das zum Säckel Geld: Der Haushalt ist kein Kuchen mit abgezählten Tortenstücken. Und verteilt wird davon auch nichts. Vielmehr gibt der Staat sein Geld für die nötigen Voraussetzungen in der Gesellschaft aus, auf dass diese Gesellschaft in seinem Sinne bestmöglich funktioniert.
Jeder Euro für Soziales weniger ist ein guter Euro, denken Politiker
Dazu zählen auch die Ausgaben für Soziales. Mit ihnen hält er im Wesentlichen Existenzen in seinem Volk am Leben, die vom Kapital nicht beschäftigt werden oder zu wenig Einkommen fürs Überleben erzielen.
Das sind allerdings nur Kosten, für den Staat ärgerlich. Denn sie tragen nichts zur Produktivität der Wirtschaft bei. Umso besser aus seiner Sicht, wenn sie so niedrig wie möglich gehalten werden können.
Der SZ-Journalist will mit seiner Nacherzählung der gängigen Ideologie aber nicht einfach den Politikern recht geben. Neben den "Dreisten, die sich davor drücken, arbeiten zu gehen und einfach nicht ihren Teil zum Gemeinwesen beitragen wollen", gebe es auch "die anderen: Viele Langzeitarbeitslose haben psychische Probleme, sind suchtkrank, haben soziale Schwierigkeiten oder sind schlicht mit den Anforderungen der Behörden überfordert. Auch einen Teil dieser Menschen würde man mit einer Radikallösung treffen."
Das Bürgergeld ist ein Problem der Politik: Wie es den Beziehern geht, ist zweitrangig
Eine Lösung des von der Politik aufgemachten Bürgergeld-Problems findet Simon Groß schon angezeigt. Aber die Kürzungen und Verschärfungen sollten die "Dreisten" genauer treffen. Und "Politiker, ganz egal welcher Partei, sollten auch in Zukunft dem Reflex widerstehen, nach unten zu treten."
Das hat den Bürgergeld-Beziehern gerade noch gefehlt: Bei aller Drangsalierung und gesellschaftlichen Ächtung wenigstens nicht als Material für den Machtkampf der herrschenden Parteien herhalten zu müssen.
Also bitte, liebe SPD, CDU, FDP, Bündnis 90/Grüne, mahnt der Journalist, einigt euch: Spart am Bürgergeld, aber lasst die darauf Angewiesenen in Ruhe. Der Spareffekt wird ja nicht größer, wenn ihr alle Bezieher an den Pranger stellt. Da solltet ihr schon differenzieren. Weniger ist sozusagen mehr.
Und außerdem: Das Schlimmste ist nicht, dass viele Leute weiter kaum über die Runden kommen. Sondern, dass dieser unnötige Streit der Ampel-Koalition einen neuen Konflikt beschert und die Opposition Oberwasser bekommt, Carsten Linnemann sei Dank.
Das Bürgergeld ist ein Problem der Politik. "Arbeitslose haben keine Lobby", bemerkt unser SZ-Journalist dazu. Bei welchen Politikern sollen auch Menschen Gehör finden, denen sie als immer zu teure Last gelten? Eben.