Bürgerkrieg in Äthiopien: Anfang vom Ende?
- Bürgerkrieg in Äthiopien: Anfang vom Ende?
- Akteure und Interessen im Krieg um Tigray: eine Übersicht
- Welche Perspektiven für die Lage am Horn von Afrika?
- Auf einer Seite lesen
Zentralregierung erklärte Waffenstillstand für umkämpftes Bundesland Tigray. Doch ist dem Frieden zu trauen?
Acht Monate nachdem die äthiopische Zentralregierung, der eritreische Diktator Isaias Aferwerki und amharische Milizen in Tigray einmarschiert sind, hat der Bürgerkrieg in dem nördlichsten Bundesland Äthiopiens Ende Juni eine überraschende Wendung genommen.
Die äthiopische Regierung unter Abiy Ahmed Ali erklärte einen einseitigen Waffenstillstand, zog aus Mekelle - der Hauptstadt Tigrays - ab und Verbände der Tigray Defense Force (TDF) rückten in die Stadt ein.
Für viele Beobachter des Konfliktes kam diese Entwicklung unerwartet. Einige hatten die Regierung des Bundeslandes Tigray unter Führung der TPLF (Tigray Peoples Liberation Front) und ihre Streitkräfte Tigray Defense Force (TDF) schon für besiegt erklärt. Schließlich hatte der regierende Staatschef Äthiopiens, Abiy Ahmed Ali, eine mächtige Allianz gegen die TPLF geschmiedet.
Bereits kurz nach seinem Amtsantritt schloss er ein Bündnis mit dem ehemaligen Erzfeind Äthiopiens, Eritrea. Verkauft wurde dies als "Friedensvereinbarung" und Abiy Ahmed Ali bekam dafür den Friedensnobelpreis. Mittlerweile kann davon ausgegangen werden, dass dieser Vertrag - dessen Inhalt bis heute unter Verschluss gehalten wird - weniger ein Friedensvertrag war, sondern vor allem der Kriegsvorbereitung gegen die Regionalregierung Tigrays und die TPLF diente.
Die TPLF stellte lange Zeit die dominierende Kraft in der Zentralregierung, hat weiterhin den Rückhalt der Bevölkerung im Bundesland Tigray und wird von dem zunehmend autokratischer agierenden Premier Abiy Ahmed Ali somit als eine Hauptbedrohung für seine Macht angesehen.
Militäroperation wurde beinahe zum Desaster für äthiopische Armee
Am 4. November letzten Jahres waren Truppen der äthiopischen Zentralregierung, eritreische Verbände und amharische Milizen in Tigray einmarschiert. Unterstützt wurden sie dabei von massiven Drohnenangriffen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die von eritreischem Boden aus Ziele der Tigray Defense Force (TDF) zerstörten. Abiy Ahmed Ali deklarierte den Krieg als zeitlich befristete "law enforcement operation", leugnete monatelang die Beteiligung eritreischer Truppen und prognostizierte einen vollständigen Sieg seiner Armee innerhalb von drei Tagen.
Anfangs sah es tatsächlich nach einem schnellen Sieg aus.
Tatsächlich gelang es der äthiopischen Armee recht schnell, die Hauptstadt Mekelle unter Kontrolle zu bringen. Eritreische Truppen marschierten von Norden und Osten und amharische Milizen von Süden und Westen in Tigray ein. In Mekelle wurde von Abiy Ahmed Ali eine provisorische Übergangsregierung eingesetzt.
Amharische Nationalisten nutzten die Gunst der Stunde, vertrieben tigrayische Bauern und erklärten weite Teile Tigrays zu Amharenland. Die Streitkräfte Tigrays zogen sich in das gebirgige Hochland zurück und begannen einen Guerillakampf. Sie konnten dabei auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen, die die Kräfte der Kriegskoalition des Friedensnobelpreisträgers als Invasoren betrachtete.
Der Krieg entwickelte sich in den kommenden Monaten zunehmend zu einem Vernichtungsfeldzug gegen die Zivilbevölkerung.
Massaker, Massenvergewaltigungen und Hunger wurden als Waffe eingesetzt. Der einst als Hoffnungsträger und Friedensbringer hofierte Abiy Ahmed Ali entpuppte sich in atemberaubender Geschwindigkeit als machtbesessener Autokrat und Kriegsverbrecher.
Besonders die eritreischen Truppen taten sich durch Exekutionen, brutale Vergewaltigungen und Plünderungen hervor. Der internationale Druck auf Abiy Ahmed Ali nahm zu, es wurde der Abzug der eritreischen Truppen und ein Zugang für humanitäre Hilfslieferungen gefordert.
Trotz Ankündigung von Abiy Ahmed Ali kam es bis heute nicht zu einem Rückzug der eritreischen Truppen aus Tigray. Nach Einschätzung vieler Beobachter hätte die äthiopische Zentralarmee ohne die Eritreer kaum eine Chance gegen die TDF.
Nicht nur eine gute Ausbildung und eine hohe Disziplin kommen der TDF zugute. Die außergewöhnliche Brutalität mit der das äthiopische Regime im Verbund mit eritreischen Söldnern und amharischen Nationalisten gegen die Zivilbevölkerung vorging, bewegte junge Tigrayaner dazu, sich scharenweise dem bewaffneten Kampf anzuschließen.
Die Verluste der Ethiopian National Defense Force (ENDF), der Eritreer und der Amharen nahmen zu. Zunehmend erfolgreicher gelang es der TDF wichtige Nachschublinien zu unterbrechen, immer mehr Soldaten der äthiopischen Zentralstreitkräfte ergaben sich oder ergriffen die Flucht.
Am 18. Juni startete die TDF eine Gegenoffensive unter dem Namen Operation Alula (Ras Alula Aba Nega war ein tigrayanischer General, der maßgeblich am Sieg gegen italienische Invasoren beteiligt war).
Die TDF konzentrierte sich mit ihrer Offensive auf die Streitkräfte der ENDF, große Teile der äthiopischen Armee wurden innerhalb kurzer Zeit besiegt, und Kriegsgerät wurde in nennenswertem Umfang erbeutet. Das Tempo, in dem die militärische Stärke der Zentralstreitkräfte erodierte, erstaunte dabei nicht nur internationale Beobachter, sondern auch die Führung der tigrayischen Verbände.
Nachdem die Hauptstadt Mekelle immer mehr in Bedrängnis geraten war, entschied sich die äthiopische Regierung notgedrungen zu einem Kurswechsel. Hals über Kopf flüchteten Militärs und Regierungsbeamte aus Mekelle. Dabei wurden Lebensmittel, das Geld der Banken und technisches Gerät geplündert und mitgenommen. Auch von Hilfsorganisationen wurden Kommunikationseinrichtungen gestohlen oder zerstört.
Truppen der TDF rückten unter dem Jubel der Bevölkerung in die Stadt ein. Am 28. Juni verkündete Abiy Ahmed Ali einen einseitigen Waffenstillstand. Er begründete dies damit, dass die von ihm eingesetzte provisorische Interimsregierung Tigrays ihn darum gebeten habe. Öffentlichkeitswirksam wird als weitere Begründung angeführt, dass Bauern die Gelegenheit bekommen sollten, ihr Land zu bestellen.
Tatsächlich dürfte der militärische Erfolg der TDF für das scheinbare Einlenken der Zentralregierung verantwortlich sein.
Ist der Waffenstillstand der Einstieg in ernsthafte Friedensgespräche? Kann jetzt mit einem baldigen Ende des Bürgerkrieges gerechnet werden?
Ein Ende des Konfliktes in Tigray ist mit der Rückeroberung Mekelles durch Truppen der TDF und der Erklärung eines befristeten, einseitigen Waffenstillstandes durch Abiy Ahmed Ali nicht in Sicht. Vielmehr sieht es danach aus, dass der Krieg gegen Tigray mit anderen Mitteln fortgeführt wird.
Während einerseits versucht wird, den Waffenstillstand propagandistisch zu nutzen, wird andererseits daran gearbeitet, Tigray von allen Seiten einzuschnüren und eine unabhängige Versorgung unmöglich zu machen. Gleichzeitig wird die bevorstehende Regenzeit genutzt, um Truppen und Ausrüstung aufzufrischen.
Insbesondere im Westen und im Süden Tigrays sind massive Truppenverstärkungen durch amharische Milizen und äthiopische Regierungstruppen zu beobachten. Im Norden haben sich eritreische Verbände aus einigen Regionen - wie z.B. aus den Gebieten rund um die Städte Axum und Shire - zurückgezogen und verstärken gleichzeitig ihre Kräfte um die tigraiyische Stadt Bademe.