Bürgerrat gegen Fakes: Ein Bürgergutachten für den Bertelsmann-Konzern?

Seite 2: Missverständnisse über die Funktion von Bürgerräten

Für die Neue Zürcher Zeitung schreibt Susanne Gaschke, ehemals Redakteurin bei der Zeit und kurzzeitig Oberbürgermeisterin von Kiel:

Die Räte (gemeint sind Bürgerräte, Einf. d.A.) bleiben aber entweder eine teure Form der obrigkeitlich verordneten Beschäftigungstherapie und enttäuschen so die geweckten Erwartungen. Oder sie delegitimieren den etablierten Weg der demokratischen Willensbildung: erst in politischen Parteien, Vereinen und Verbänden, dann in den Parlamenten.

Deutschland ist nun einmal eine repräsentative Demokratie und aus guten historischen Gründen keine Räterepublik.

Susanne Gaschke: Zensur gegen Fake News? Die Bertelsmann Stiftung und ihr freiheitsfeindlicher "Bürgerrat"

Parteien haben keineswegs einen Alleinvertretungsanspruch für die politische Willensbildung – sonst könnten natürlich auch alle Medien gleich dicht machen. Laut Art. 21 des Grundgesetzes wirken sie (nur) bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Und mit sowjetischen Räten haben Bürgerräte so viel gemein wie der Bundesrat oder ein Landrat – es ist ein billiger Joke, der mehr von Unkenntnis als Gewitztheit zeugt.

Der Bürgerrat "Forum gegen Fakes" (von Gaschke übrigens falsch benannt) wurde ja nun – trotz der Mitgliedschaft des Bundesinnenministeriums im Beirat – gerade nicht "obrigkeitlich verordnet", und er delegitimiert ganz sicher auch nicht "den etablierten Weg der demokratischen Willensbildung".

Es sollte uns Publizisten ebenso wie allen Bürgerinnen und Bürgern möglich sein, die Ergebnisse des Bürgerrats einzuordnen, wozu dieser Beitrag hier einen ganz kleinen Meinungsbeitrag leisten will.

Die Methode Bürgerrat erfreut sich nicht von ungefähr seit 2019 einer wachsenden Beliebtheit. Dass die Politik damit ihr unliebsame Themen an die Bürger zurückgeben kann, um sich selbst quasi die Hände nicht schmutzig zu machen, ist ein altes Phänomen, das aus dem Einsatz der Planungszellen bekannt ist.

Die Ergebnisse solcher Prozesse sprechen aber gerade nicht gegen die aleatorische Methode. Denn wenn nicht Parteiinteressen und das Schielen auf die nächste Wahl maßgeblich sind, sondern schlicht die – oft sehr verschiedenen – Interessen der Bürger, lässt sich in diesem Dialogverfahren viel erreichen.

Das gewachsene Misstrauen von Teilen der Bevölkerung gegenüber Berufspolitikern ist aber sicherlich ein weiterer und neuer Grund, auf Bürgerräte oder ähnliche aleatorische Verfahren zu setzen.

Allerdings muss umso intensiver und kritischer auf die Durchführung solcher Verfahren geschaut werden, ganz gleich, ob sie von der Politik selbst initiiert wurden oder aus der sog. Zivilgesellschaft kommen.

Eine Möglichkeit, das Verfahren zu verbessern, wurde hier schon mal angedeutet: Es sollten stets parallel mehrere Bürgerräte von unterschiedlichen Durchführungsträgern veranstaltet werden, um Verzerrungen erkennen zu können bzw. sie bei entsprechendem Konsens verlässlich auszuschließen.

Und sicherlich sind noch grundsätzliche Fragen zum Verfahren zu klären, gerade wenn Bürgerräte nicht die Fortsetzung einer gewissen parlamentarischen Willkür sein sollen, die sich in Geboten und Verboten niederschlägt, welche jederzeit auch anders ausfallen könnten, sondern wenn zunächst herausgearbeitet wird, wer eigentlich von wem etwas will, wie es begründet wird und was alle irgendwie Betroffenen davon halten.

Transparenz-Hinweis: Der Autor setzt sich seit rund 20 Jahren für Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren ein, die auf Auslosung beruhen. Er hat selbst schon Planungszellen und Bürgerräte mitgestaltet und kennt viele Protagonisten in diesem Gebiet, auch professionell Beteiligte am Bürgerrat "Forum gegen Fakes".

Zur Qualität aleatorischer Verfahren hat er mehrere Fachaufsätze geschrieben. Er betreibt die Website aleatorische-demokratie.de und ist Host des Podcasts "?Macht:Los!", der sich mit Planungszellen und Bürgerräten beschäftigt.

Am Bürgerrat der Bertelsmann Stiftung war er natürlich in keiner Weise beteiligt und hatte sich auch um keinerlei Mitarbeit daran beworben.