Bulgariens neue Regierung streitet über zusätzliche Nato-Präsenz

Bulgariens Verteidigungsminister Stefan Janev. Foto: www.president.bg

Aus historischen und kulturellen Gründen widersetzt sich das Land mitunter Direktiven von EU und Nato

Schaukeln sich die Spannungen zwischen Russland und den Westmächten hoch, gerät mitunter auch ein kleines Land ins Blickfeld internationaler Geostrategen, das sonst kaum Beachtung findet: Bulgarien an der Südostflanke von Europäischer Union (EU) und Nordatlantikpakt (Nato). Das Balkanland am Schwarzen Meer hat sich in den vergangenen Jahren zuweilen politischen und energiewirtschaftlichen Direktiven von EU und Nato widersetzt, wenn es um Russland ging. Die Gründe dafür sind historische und kulturelle.

Es waren bulgarische Mönche, die im 10. Jahrhundert das altkyrillische Alphabet verfassten, das maßgeblich zur Verbreitung des Christentums in Russland beitrug. Und viele Jahrhunderte später war es vor allem Russland, das Bulgarien im russisch-türkischen Krieg 1878 aus fast fünfhundert Jahre währender osmanischer Fremdherrschaft befreit hat.

Diese beiden geschichtlichen Ereignisse wiegen im kollektiven Bewusstsein vieler, nicht aller Bulgaren und Bulgarinnen schwerer als die leidvolle Erfahrung vierzigjähriger Diktatur im Rahmen des von der Sowjetunion dominierten Ostblocks.

In der mit Unterbrechungen zwölfjährigen Regierungszeit des rechtsgerichteten Ministerpräsidenten Boiko Borissov war das Verhältnis Bulgariens zu Russland so sprunghaft und wankelmütig wie seine eigene Persönlichkeit, der ein gesteigertes Harmoniebedürfnis eigen ist.

Bei Auftritten auf internationaler politischer Bühne strebte Borissov stets danach, gut Freund zu sein mit seinem Gegenüber, egal ob es sich um Vladimir Putin handelte, Recep Tayyip Erdoğan, Donald Trump oder Angela Merkel. Von einer konsistenten Außenpolitik konnte während der Kabinette Borissov I – III zwischen dem Sommer 2009 und dem Frühjahr 2021 kaum gesprochen werden.

Weilte Borissov bei der Europäischen Kommission in Brüssel, versicherte er seinen Freunden Jean Claude Juncker und Angela Merkel umstandslos sein völliges Einverständnis mit den Prinzipien und Werten der EU. Dies hinderte ihn indes nicht, kurz darauf seinem Freund Erdoğan türkische Oppositionelle ans Messer zu liefern.

Seinem Freund Donald Trump kaufte er nicht nur für viele Milliarden US-Dollars F 16-Kampfbomber ab, sondern nickte bereitwillig zu all dessen Plänen mit den beiden bulgarischen US-Basen Novo Selo Training Area und Graf Ignatievo Air Base. In enger Abstimmung mit seinem Freund Vladimir Putin verfolgte Borissov die Entwicklung großer russischer Energieprojekte wie den Bau eines Atomkraftwerks bei Belene an der Donau oder die Errichtung der Gaspipeline South Stream.

Eher genötigt als freiwillig

Nur um sie auf Drängen der EU einzufrieren und sie später in modifizierter Form wieder aufzutauen. Der Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die EU gegen Russland infolge der Annexion der Krim und des kriegerischen Konflikts in der Ost-Ukraine verweigerte er sich zunächst, um sich ihnen später eher genötigt als freiwillig anzuschließen.

Seit dem 13. Dezember 2021 hat Bulgarien eine neue Regierung unter dem technokratischen Ministerpräsidenten Kiril Petkov. Das Verhältnis Bulgariens zu seinem slawischen Bruderstaat Russland dürfte dadurch kaum eindeutiger werden. Petkovs Regierungsbündnis umfasst vier Parteien, die das politische Spektrum von gemäßigt rechts bis links abdecken.

Erstmals seit sieben Jahren stellt auch die Russland traditionell wohl gesonnene post-kommunistische Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) Minister in der Regierung. Sie müssen sich nun arrangieren mit ihren Ministerkollegen von dem sich als antikommunistisch verstehenden konservativen Parteienbündnis Demokratisches Bulgarien (DB).

Nicht einmal zwei Wochen nach Amtsantritt des Kabinetts Kiril Petkov gibt es nun eine ernsthafte Kontroverse um Bulgariens außen- und verteidigungspolitische Position zum sich zuspitzenden Konflikt zwischen Russland und dem Westen. Am vergangenen Dienstag sprach sich Verteidigungsminister Stefan Janev in einem Facebook-Post gegen die zusätzliche Stationierung von Nato-Streitkräften in Bulgarien aus und kam damit international in die Schlagzeilen.

Zwar gebe es eine "Zunahme der militärischen Fähigkeiten Russlands und der Aktivitäten an der Ostflanke der Nato", konstatierte Brigadegeneral Janev in seinem Post, auch sei "ein einheitliches Vorgehen der Nato erforderlich", doch "ohne die Spannungen unnötig eskalieren zu lassen".

Innerhalb der Nato, informierte Janev, würden "verschiedene Reaktionsoptionen diskutiert", darunter der Einsatz zusätzlicher Truppen in Bulgarien und Rumänien. "Meine Position ist, dass eine solche Debatte bzw. ein solcher Ansatz das Potenzial hat, zu einer unerwünschten Zunahme der Spannungen in der Region zu führen", warnte er.

Zwischen Mai und Dezember 2021 amtierte Stefan Janev als Ministerpräsident der Übergangsregierung und war damit Regierungschef des damaligen Wirtschaftsministers und jetzigen Ministerpräsidenten Kiril Petkov.

"Zum jetzigen Zeitpunkt", so Verteidigungsminister Janev, gebe es "keinen Anlass, die beobachteten Prozesse als direkte Bedrohung für das Bündnis und die jeweilige Sicherheitszone zu betrachten". Auch glaube er nicht, dass die "Umstände eine Entscheidung über den Einsatz zusätzlicher Truppen auf bulgarischem Territorium rechtfertigen könnten, denn sie würde weder den Bündnisinteressen noch den nationalen Interessen der Republik Bulgarien entsprechen".

Mit dieser seiner Erklärung provozierte Stefan Janev nicht nur international kritische Repliken vor allem aus Nato-Kreisen, sondern auch Widerspruch seines Regierungschefs Kiril Petkov. Der sah sich genötigt, darauf hinzuweisen, dieses Thema sei weder im Ministerrat noch mit Partnern diskutiert worden. "Es handelt sich um die persönliche Meinung des Ministers, aber in keiner Weise eine formelle Position unserer Regierung", sagte Premier Petkov am Mittwoch.

Bei seinem Gespräch mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel Ende der vorigen Woche habe er klar gesagt, dass Bulgarien unter seiner Regierung "ein aktives Mitglied der EU und der NATO" sein werde. Der beste Weg, die Politik unserer Verbündeten an der Ostgrenze fortzusetzen sei der "maximale Einsatz diplomatischer und friedlicher Mittel".

In russlandkritischen Kreisen der bulgarischen Politik wurde die Position von Verteidigungsminister Janev scharf kritisiert, auch vom Juniorpartner in der Koalition Demokratisches Bulgarien. DB-Fraktionsvorsitzender Hristo Ivanov verwies auf die Präambel des Koalitionsvertrags, wonach Bulgarien "seine volle Teilnahme an der Nato nicht als Formalität, sondern als aktives Mitglied entwickeln" solle.

Bulgarien könne es sich nicht leisten, so Ivanov, "de facto in einem Zustand der nicht deklarierten Neutralität bezüglich der Expansionspolitik des Kremls zu geraten".

Erfahrungsgemäß favorisiert aber eine Mehrheit der bulgarischen Bevölkerung ausgewogene Zurückhaltung ihrer Regierung im Spannungsverhältnis zwischen dem Westen und Russland. Und das hat jede politische Kraft ins Kalkül zu ziehen, egal ob sie bereits regiert oder die Regierung anstrebt.

Erst vor gut vier Wochen sah sich der von den Sozialisten unterstützte Staatspräsident Rumen Radev in einer ähnlichen Situation wie nun Brigadegeneral Stefan Janev.

Wirksamkeit von Sanktionen infrage gestellt

Wenige Tage vor der Stichwahl zur Präsidentschaftswahl Mitte November 2021 wurde er bei einem TV-Duell mit seinem Kontrahenten vom Moderator nach seinem Verhältnis zu Russland und seiner Position zur Krim befragt. Dabei stellte der als Nato-General am Air War College in Montgomery / Alabama ausgebildete Radev zunächst die Wirksamkeit von Wirtschaftssanktionen gegen Russland infrage und sagte dann, "die Annexion der Krim ist eine Verletzung internationalen Rechts. Es gibt in der Politik aber Realitäten und im Moment ist die Krim russisch".

Damit handelte er sich eine diplomatische Note der us-amerikanischen Botschaft in Sofia ein. "Die Vereinigten Staaten, die G-7, die Europäische Union und die Nato haben immer klar und einig ihre Position geäußert, dass die Krim trotz des Versuchs Russlands, sie zu annektieren und trotz ihrer anhaltenden Besatzung ukrainisch ist", belehrte sie ihn. Radev beharrte auf seiner Position.

Die meisten Bulgaren und Bulgarinnen sind überzeugte Anhänger der Europäischen Union, vertrauen den europäischen Institutionen in der Regel eher als ihren eigenen. Eine konfrontative Politik ihrer Regierung gegen Russland konform mit EU und Nato schätzen die meisten von ihnen aber nicht.

Ideologische Spiegelfechtereien zum Verhältnis zu Russland überlassen sie den einschlägigen Interessengruppen im Land wie dem vom ehemaligen Außenminister Solomon Passy gegründeten Atlantischen Club in Bulgarien (ACB) und dessen komplementärem Pendant der Nationalen Bewegung der Russophilen in Bulgarien (NDRB).

Der ACB hält Verteidigungsminister Janevs Ablehnung der Stationierung von NATO-Truppen auf bulgarischem Territorium für "äußerst gefährlich für Bulgarien und für die von der Nordatlantischen Allianz garantierte kollektive Sicherheit und Verteidigung". Bulgarien sei "nur als Mitglied der Nato geschützt und die Politik und Sicherheit des Bündnisses darf in unserer Region nicht untergraben werden", heißt es in der Stellungnahme des Atlantischen Clubs.

Dagegen sieht die NDRB Russland als "unsere zivilisatorische Schwester mit dem international anerkanntem Status einer Großmacht". https://ppvo.bg/2021/12/21/позиция-на-пп-рво-по-повод-на-коалицион/ Zwar werde gesagt, "Bulgarien stellt den Dialog mit Russland wieder her, allerdings im Rahmen der Politik der EU, die feindlich ist und nur die Sprache der Sanktionen kennt", kritisieren Bulgariens Russophile.

Bulgariens Spagat zwischen EU / Nato und Russland ist nicht erst seit gestern ein spezieller und er wird es auf lange Zeit noch bleiben.