Bulle, Querdenker, heimlicher Herrscher

Seite 2: Individualismus nach Gutsherrenart

Aus dieser verfehlten Interpretation des Gemeinwesens (ein Staat sei ein Unternehmen) entwickelte sich die Mateschitz'sche Gutsherrenart organisch. Selbst- und Fremdbild klafften so weit auseinander, wie der Grand Canyon, in den sich die Red-Bull-Extremathleten zuweilen schmeißen müssen.

Mateschitz selbst forderte nämlich von seinen Angestellten und den gesponserten Künstler und Sportlern "Individualismus und Nonkonformismus". Dies muss man ihm glauben, denn er erkennt vermutlich tatsächlich nicht, wie diese äußerlich individualistische, nonkonformistische Haltung ihr Ende hat, sobald jemand dem Chef widersprach.

Alles, was der Marke Red Bull schadet, schien für Mateschitz schlicht objektiv falsch. Die "Zahlen" (eben der Reinerlös) würden dies schließlich belegen. Echte Pluralität war damit vom Tisch.

Jede Diskussion, ob es etwa in einer Welt, die längst im Müll erstickt, gescheit sei, ausschließlich Getränkedosen zu verkaufen, ob der gestählte Körper der Athleten, der nicht selten unter Zuhilfenahme von Drogen erzeugt wird, ein falsches Menschenbild abgibt, wird somit unterbunden.

Und ob man einer freien Musikszene mit dem vertraglichen Gebot, Bullendosen in die Kamera zu halten, einen Bärendienst leistet, darf ebenso nicht mehr gefragt werden. Die Künstlerinnen und Künstler schweigen eisern, was sollen sie in einer Marktlage auch machen, die mit Streamingdiensten und Co. kaum mehr Verdienstmöglichkeiten bietet?

Weitere Belege für diese Gutsherrenart gibt es genug. Mateschitz betrieb in Österreich noch den Sender "Servus-TV". Servus bedeutet übrigens, die alten Lateiner werden es wissen, Sklave und hier ist Nomen gleich Omen.

Nachdem es Bestrebungen gab, einen Betriebsrat zu gründen, wurde mit der Schließung gedroht. Erst als alle zu Kreuze krochen, sperrte Mateschitz den Laden wieder auf. Gesteuerter Nonkonformismus quasi.

Die Gämsen rücken zusammen

Wird somit die Grenze eingerissen zwischen staatlichem und politisch zu legitimierendem Handeln einerseits und einer möglicherweise praktikablen unternehmerischen Diktatur andererseits, dann folgt eine gewisse antihumanistische Haltung auf den Fuß.

Mateschitz vermittelte dies selbst sehr schlüssig in einem simplen Bild. Er sei jemand, der sich seine private Insel und seinen Grundbesitz ja nicht zum eigenen Vergnügen gekauft habe, sondern um dort nach dem "Rechten zu sehen".

Ein Bewahrer jenes Naturschönen also, das ganz zufällig sein eigener Besitz ist. Und hier habe er gewisse Grenzen kennengelernt. Würden 20.000 Menschen im Naturpark Hohe Tauern herumkraxeln, dann "rücken die Gämsen eben ein wenig zusammen".

Bei 200.000 oder zwei Millionen sei dies aber unmöglich. Mittels der Bilder eines Natursnobs wird sogleich der Gedanke an den "Flüchtlingsstrom" evoziert. Und bei dem redete sich Mateschitz schnell in Rage.

Das Verknappungskonstrukt, das hinter der angeblichen "Flüchtlingskrise" steckt, erkennt er nicht, denn das beträfe nämlich ihn selbst. Milliardär kann man nur werden, indem man Millionen Menschen etwas wegnimmt, beziehungsweise unzureichend bezahlt, sei es ihre Arbeitskraft oder ihr symbolisches Kapital. Faire Verteilung ist immer schlecht für den Profit.

Mateschitz will dies nicht verstehen und meint: Selbst, wenn alle Milliardäre der Welt ihr Geld abgeben würden, dann würde dies für die Milliarden Armen doch kaum einen Unterschied machen.

Stimmt, hier sind wir wieder bei Dagobert Duck. Den Geldspeicher ausleeren, ist ein Einmaleffekt, der zugleich die Unternehmen ruinieren würde. Den eigenen Angestellten aber mehr Gehalt zu zahlen, Arbeitnehmerrechte zu wahren und auf ökologische Produktion zu achten, mindert zwar den Gewinn beträchtlich, macht aber die Welt zugleich etwas besser. Möglicherweise so gut, dass auch acht oder zehn Milliarden Menschen bequem darin leben könnten.

Argumente dieser Art werden abgeblockt durch den längst üblichen völkischen Wahn, der eine "Völkerwanderung" erkennen will, wo Flucht vor dem nackten Elend herrscht. Servus-TV hat sich längst einen Namen gemacht, indem dort regelmäßig "Querdenker", wie sie Mateschitz nennt, zu Wort kommen.

Gemeint sind damit nicht selten ausgewiesene Rechtsradikale, die dem österreichischen Heimatsender gerne die Soundbites liefern. Spätestens hier müssen sich Künstlerinnen und Künstler fragen lassen, ob sie diesen Widerspruch noch aushalten können und wollen. Diese Diskussion immerhin ist in Österreich vor einigen Jahren in Gang gekommen.

Frank Jödicke ist Redakteur des österreichischen Musik- und Kulturmagazins skug.

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