Bund kauft sich Sperrminorität bei Rüstungskonzern Hensoldt

Foto: Matti Blume. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Hintergrund des deutlich über dem Aktienkurs abgeschlossenen Geschäfts könnte das Luftkampfsystem FCAS sein

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Gestern haben Angela Merkels Minister eine Verstaatlichung abgesegnet: Den Kauf einer Sperrminorität in Höhe von 25,1 Prozent am Rüstungsunternehmen Hensoldt. Diese Anteile kaufen die Steuergeld- und Staatsschuldenverwalter dem Finanzinvestor KKR ab. Der hatte dem Airbus-Konzern 2017 für 1,1 Milliarden Euro 74,9 Prozent des mit Teilen der Avionik ausgegliederten und nach dem preußischen Militärzielfernrohroptiker Moritz Hensoldt benannten Geschäftsbereichs Sensoren, Radar, Optronik, Elektronische Kampfführung (EloKa) abgenommen.

Von "besonderem nationalen Interesse"

Im September 2020 ging KKR mit Hensoldt an die Börse, wo der Aktie erst ein eher mäßiger Erfolg beschieden war: Im Oktober lag der Kurs der für 12 Euro ausgegebenen Papiere bei nur mehr 9,66 Euro. Erst im November stieg er wieder. Die Bundesregierung zahlt nun mit insgesamt 464 Millionen Euro für 25,1 Prozent 17,07 Euro pro Aktie und damit über ein Drittel mehr als den Börsenkurs vor dem Bekanntwerden des Staatseingriffs. Und selbst nach dem Bekanntwerden lag der Kurs gestern Abend mit 14,16 Euro noch deutlich unter dem, was nun der Steuerzahler aufwenden muss.

Warum sie so viel mehr bezahlt, ließ die Bundesregierung in ihrer gestrigen Erklärung zum Kabinettsbeschluss offen. Stattdessen hieß es, die Verstaatlichung sei von "besonderem nationalen Interesse" und diene der "Gewährleistung der sicherheits- und verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologien". Man wolle aber keinen "operativen Einfluss" nehmen, sondern lediglich einen Zugriff aus dem Ausland verhindern.

"Luftkampfsystem der Zukunft"

Den FDP-Verteidigungsausschussobmann Alexander Müller befriedigt diese Erklärung nicht. Für ihn bleiben die Ziele des Bundes unklar, weil ein chinesischer Zugriff seinen Informationen nach nicht in Sicht war. Außer im "Premium-Preis" sieht er einen weiteren Nachteil der Verstaatlichung darin, dass das Verteidigungsministerium nun kein "neutraler Einkäufer" mehr sein kann, wenn die Bundeswehr Rüstungsgüter mit Sensortechnik, Radar, Optronik, EloKa oder Avionik benötigt.

Größere Waffen berühren heute regelmäßig mehrere dieser Bereiche. Das gilt nicht nur für Panzer, Schiffe und Flugzeuge, sondern auch für das deutsch-französisch-spanische Rüstungsprojekt FCAS. Dieses "Luftkampfsystem der Zukunft" soll mehr umfassen als einen Eurofighter-Nachfolger: Zum Beispiel Drohnen und die Steuerung von Satelliten.

Bislang werden für das FCAS acht Milliarden Euro für die Entwicklung und weitere 100 Milliarden Euro für die Beschaffung und den Betrieb veranschlagt. In der Vergangenheit stellten sich technisch ambitionierte Projekte, für die Steuerzahler aufkommen müssen, jedoch regelmäßig als sehr viel teurer heraus, als anfangs kommuniziert (vgl. Virtualisierung soll Kostenexplosionen verhindern). Das Handelsblatt geht deshalb von bis zu 50 Milliarden Euro Entwicklungskosten aus (vgl. Deutsch-französisch-spanisches "Luftkampfsystem der Zukunft).

Macron und Thales

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der kein großes Geheiminis daraus macht, was für eine Herzensangelegenheit ihm das Vorhaben ist, will möglichst alle Bestandteile des Systems (das die Franzosen "Système de combat aérien du futur" oder kurz "SCAF" nennen) unabhängig von den Amerikanern entwickeln. Dafür forscht der Airbus-Konzern mit LOUT an einem eigenen Stealth-Modell (vgl. LOUT: Airbus präsentiert Stealth-Demonstrator). Und deshalb intervenierte Macron Medienberichten nach vor einem Jahr, als deutlich wurde, dass die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer einen Teil der Bundeswehr-Tornados nicht nur durch Eurofighter, sondern durch amerikanische Kampfflugzeuge ersetzen wird (vgl. Französische Staatsführung will angeblich verhindern, dass Bundesregierung F-18 kauft).

Dem französischen Staatspräsidenten soll es dabei vor allem um die in US-Maschinen vorhandenen EloKa-Systeme AN/ALQ-99 und AN/ALQ-218 gegangen sein, die dem Eurofighter fehlen. Wird diese Technik von den Amerikanern eingekauft, kann sie nicht ohne weiteres für das neue FCAS-System übernommen werden. Insofern ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Franzosen auch in den Vorgängen um den EloKa-Entwickler Hensoldt eine Rolle spielen. Welche Rolle das konkret ist, bleibt offen, weil das deutsche Bundesverteidigungsministerium lediglich verlautbart, bei der Entscheidung für eine Verstaatlichung sei auch die Position Deutschlands als "Kooperations- und Bündnispartner in Europa" berücksichtigt worden.

Eine Möglichkeit wäre, dass Macron in Aussicht stellte, Hensoldt durch den Rüstungskonzern Thales kaufen zu lassen, wie unter anderem die Wirtschaftswoche spekuliert: Thales gehört nicht nur mit 25,71 Prozent relativmehrheitlich dem französischen Staat, sondern ist neben Airbus, Dassault dem französischen Lenkflugkörperhersteller MBDA, dem deutschen Triebwerkshersteller MTU und dem französischen Technologiekonzern Safran maßgeblich an der FCAS-Entwicklung beteiligt.

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