Bundesjustizministerium verreißt Schilys Anti-Terror-Paket
Der "Otto-Katalog" aus dem Innenministerium hält einer ersten Prüfung durch das Justizressort nicht einmal im Ansatz stand
Nach dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz (Schily schießt weit übers Ziel hinaus) hat nun auch das Bundesjustizministerium massive Bedenken gegen den als "Otto-Katalog" bekannt gewordenen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus aus Bundesinnenministerium vorgebracht. In einem Schreiben an die anderen Ressorts, das Telepolis vorliegt, weist die Fachebene von Justizministerin Herta Däubler-Gmelin dem Papier aus dem rivalisierenden Bundesinnenministerium zahlreiche inhaltliche und formale Fehler nach. Vor allem gegen die "beinahe uferlose Ausweitung der Ermittlungszuständigkeiten des BKA" legt das Justizministerium sein Veto ein.
Auch wenn man die 32 Seiten lange Stellungnahme des Justizministeriums zu Schilys Anti-Terror-Paket nur überfliegt, drängt sich bereits der Eindruck auf, dass der von Telepolis vergangene Woche erstmals publik gemachte Gesetzesentwurf (Schilys Geheimplan im Kampf gegen den Terrorismus) nach Ansicht der Hausjuristen Herta Däubler-Gmelins reif für den Papierkorb ist.
Liest man genauer in den Brief hinein, sprechen daraus auch die tiefen Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Bundesinnen- und dem Bundesjustizministerium, die sich seit dem 11. September deutlich verschärft haben. So weist das Schreiben wiederholt darauf hin, dass die von Schilys Haus zur Abstimmung vorgelegten Rechtsänderungsvorschläge bereits in Form anderer Gesetzesentwürfe vom Justizministerium ins Parlament eingebracht worden seien. Immer wieder betonen die Sachbearbeiter auch, dass zahlreiche der Ideen des Innenministeriums nicht mit der demokratischen Rechtsordnung der Bundesrepublik vereinbar sowie "problematisch" seien und den Bogen überspannen würden. Vor allem das Grundrecht auf die informationelle Selbstbestimmung der Bürger sieht das Justizministerium gefährdet.
BKA soll nicht zum Großen Bruder werden
Streng ins Gericht geht das Justizministerium in seinen konkreten Anmerkungen zunächst mit der angedachten Ausweitung der Ermittlungszuständigkeit des Bundeskriminalamts über international organisierte Verbrechen hinaus auf bundesweit organisierte Delikte sowie der geplanten Vorermittlungskompetenz des Bundeskriminalamtes (BKA) ohne Bestehen eines Anfangsverdachts. Beim ersten Punkt warnt das Däubler-Gmelin vor "verfassungsrechtlichen Risiken", das Polizei "grundsätzlich" Ländersache sei und daher " aus fachlicher Sicht zumindest" dargelegt werden müsse, dass die eigene Ermittlungszuständigkeit des Bundeskriminalamtes "zwingend" erforderlich sei.
Ließe sich der "Auftrag" für das BKA – wie von Schily vorgesehen – allein durch den Hinweis auf zu erwartende, besonders schwer wiegende Schäden ableiten, moniert das Bundesjustizministerium (BMJ), "wäre damit letztlich der Weg für eine beinahe uferlose Ausweitung der Ermittlungszuständigkeiten des BKA geöffnet und wären die verfassungsrechtlich gewährleisteten polizeilichen Kompetenzen der Länder in Gefahr."
Nicht anfreunden kann sich das BMJ auch mit dem zweiten Punkt der "Vorermittlungskompetenz" fürs BKA. Eine solche Erweiterung der Befugnisse lässt sich nach Ansicht der Justizexperten systematisch betrachtet nicht auf das Verhältnis zwischen Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt beschränken, sondern verändere allgemein das Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden. Eine solch grundsätzliche Frage des Strafverfahrens könne nur federführend vom BMJ vorgebracht werden.
Vorratsdatenspeicherung unzulässig
In der Sache kritisiert die Stellungnahme weiter, dass "die vorgeschlagene Regelung Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht zulässt, ohne dafür eine Eingriffsschwelle festzulegen." Damit werde eine Form der Ermittlungstätigkeit ermöglicht, die im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu rechtfertigen sei.
Datensammlungen "auf Vorrat" nämlich für ein nur möglicherweise zukünftig zu führendes Ermittlungsverfahren anzulegen und auf unbestimmte Zeit vorzuhalten sei als verdachtsunabhängige Vorratserhebung und speicherung im Hinblick auf das vom Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht unzulässig.
Das Bundesjustizministerium erinnert das Innenressort zudem daran, dass die durch die Strafprozessordung (StPO) errichtete "Schwelle für das Recht und die Pflicht zum Einschreiten" der Ermittlungsbehörden "bereits heute sehr niedrig ist". Der (noch) erforderliche Anfangsverdacht könne sich schließlich schon heute "gegen einen noch Unbekannten richten" und dürfe "verhältnismäßig vage" sein. Dass das BKA in Zukunft "auch bei einer lediglich allgemeinen theoretischen Möglichkeit des Vorliegens von Straftaten" auf den Plan treten können soll, hält das Däubler-Ministerium daher ebenso wie eine explizite Zuständigkeit der "Bundesermittler" für die Verfolgung von "Hacker- und Computerverbrechen" für unnötig.
Insgesamt, kritisiert das BMJ weiter, würden die fürs BKA ins Spiel gebrachten neuen Befugnisse "nicht nur das der Strafprozessordnung zugrundeliegende, dem Schutz des Beschuldigten dienende System grundlegend in Frage stellen, sondern auch die Tätigkeit der Polizeibehörden an die der Nachrichtendienste annähern und damit das Trennungsgebot verletzen.
Verfassungsschutz braucht keine Generalvollmachten
Bauchschmerzen haben die Experten des Justizministeriums auch bei neuen Schnüffellizenzen für den Bundesverfassungsschutz. Der vom Innenministerium vorgesehene Daten- und Informationsaustauschkomplex zwischen Ermittlern und Nachrichtendiensten sowie die privaten Unternehmen wie Banken, Telekommunikationsanbietern und Airlines auferlegten Auskunftspflichten kämen "gravierenden Eingriffen" in die Bürgerrechte gleich, deren Erforderlichkeit der Bundesinnenminister nicht belegt habe.
Tatbestandsvoraussetzungen für eine unter dem Gesichtpunkt der Verhältnismäßigkeit notwendige Eingrenzung der Auskunftspflicht (insbesondere Festlegung einer bestimmten Verdachtsschwelle, Beschränkung auf schwerwiegende Gefahren für die Schutzgüter des § 3 Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetzes, Beschränkung der Auskunftspflicht auf Daten des Verdächtigen, Stellung eines Auskunftsersuchens nur als "ultima ratio", Notwendigkeit der Anordnung der Auskunft durch eine übergeordnete Stelle, Mitteilungspflicht gegenüber dem Betroffenen), fehlen völlig.
Aus dem Schreiben des Bundesjustizministeriums an das Bundesinnenministerium
Kein Verständnis hat das BMJ in diesem Zusammenhang für die von Schily geforderte Generalvollmacht für den Verfassungsschutz, Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten wie "Berechtigungskennungen, Karten-Nummern, Standortkennung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung" nebst "Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit" auf Anfrage "kostenlos und auch rückwirkend" von den Anbietern zu erhalten.
Ebenso wie beim vom Innenminister für notwendig erachteten schrankenlosen Einsatz des umstrittenen IMSI-Catchers zur Belauschung der Mobiltelefonierer verweist das Justizministerium bei den Fragen der Telekommunikationsüberwachung auf die im eigenen Hause erstellte Nachfolgeregelung für den § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes (Bundeskabinett beschließt neue Überwachungsparagraphen). Dieser Vorschlag sei "im Hinblick auf die Einsatzvoraussetzungen sowie die datenschutzrechtlichen Belange" differenzierter.
Ausdrücklich weist die Stellungnahme auch "nochmals" darauf hin, dass der vom BMJ vorgelegte Entwurf "Standortdaten im Stand-by-Betrieb absichtlich nicht erfasst, um die Grenzziehung zwischen Auskunftsansprüchen und Überwachungsmaßnahmen nicht zu verwischen."
Dass der Verfassungsschutz in Zukunft auch jedem Bürger in die Bankkonten blicken kann, hält das Justizministerium ebenfalls nicht für geboten. Sollte tatsächlich eine "Kontensammel- und Evidenzzentrale" errichtet werden, wie Bundesfinanzminister Hans Eichel plant, könnte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz schließlich mit Auskunftsersuchen an die entsprechende Bundesanstalt wenden und müsste nicht direkt Auskunft von den Kreditinstituten verlangen.
Sollen auch DNA-Informationen in den Pass?
Gegen die Pläne Schilys, bald auf Pässe auch biometrische Daten wie den Fingerabdruck zu speichern, hat das Däubler-Ministerium ausnahmsweise keine "prinzipiellen grundrechtlichen Bedenken". Kaum tragbar sei allerdings, dass das Innenressort bislang nur schwammig von "weiteren biometrischen Daten" spreche und sie durch die Hintertür auch in Form "verschlüsselter Informationen" in die Identitätsdokumente einbauen wolle. Das sei durch das bisherige Passgesetz ausdrücklich verboten und bedürfe genauso wie etwa die Einbeziehung genetischer Daten wie DNA-Analysen einer grundsätzlichen Diskussion. Wären entsprechende Angaben über das Genom in Pässen gespeichert, erhielten die kontrollierenden Stellen Kenntnis von höchst sensiblen Gesundheitsdaten der Betroffenen.
Auch zwischen den übrigen biometrischen Identifizierungsverfahren gibt es hinsichtlich Sensibilität und Verwendungsmöglichkeiten erhebliche datenschutzrelevante Unterschiede, stellt das BMJ klar. Sofern Fingerabdrücke zentral gespeichert würden, können an einem Tatort gefundene Spuren mit den in der zentralen Datei gespeicherten Daten Unverdächtiger automatisiert abgeglichen werden, so dass auch völlig unbescholtene Betroffene in den Kreis der Tatverdächtigen geraten würden. Verfahren zur Gesichtserkennung könnten zudem eingesetzt werden, um eine bestimmte Person aus einer mit einer Videokamera gefilmten Menschenmenge "herauszufiltern".
Grundlegende Korrekturen am "Otto-Katalog" fordert die Justiz-Stellungnahme schließlich bei den geplanten Verschärfungen des Ausländer- und Asylrechts. Dass Daten und Fingerabdrücke von Asylbewerbern künftig zehn Jahre gespeichert und für polizeiliche Zwecke nutzbar sein sollen, sei äußerst zweifelhaft.
Die geplante Registrierung der Religionszugehörigkeit aller Ausländer im Ausländerzentralregister sei ohne Zustimmung der Betroffenen unzulässig. Als unverhältnismäßig stuft das Gutachten weiter das Vorhaben ein, Ausländer auszuweisen, wenn gegen sie nur der Verdacht des Terrorismus oder einer schweren Straftat besteht. Der neue besondere Grund zum Versagen von Aufenthaltsgenehmigungen müsse wegen seiner Unbestimmtheit und Reichweite präzisiert werden.
Auch der Bundestag wacht langsam auf
Im Parlament regt sich inzwischen ebenfalls langsam der Widerstand gegen die Schily-Pläne. So verlangt beispielsweise SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz Änderungen an Schilys Entwurf. Die Entscheidung über die Aufnahme biometrischer Daten in den Personalausweis dürfe das Parlament seiner Meinung nach "nicht aus der Hand geben". Zuvor hatten bereits SPD-Linke wie die frühere Juso-Vorsitzende Andrea Nahles massive Bedenken gegen Schilys Pläne geäußert.
Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, sprach sich für eine zeitliche Befristung für einige der Sicherheitsgesetze aus. Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, fordert angesichts der Maßnahmenpakete zur inneren Sicherheit mehr "Transparenz und Kontrolle in der Arbeit der Dienste und Behörden" sowie Maßnahmen zur Stärkung des Selbstschutzes der Nutzer.