Bundestag beschließt Multimediagesetz
Jetzt kann der Wahnsinn beginnen...
Artikel mit Hintergrundinformation zum Multimediagesetz:
Fotostory "Best of Debatte zum Multimediagesetz" im Bundestag
Christiane Schulzki-Haddouti Rechtsunsicherheit als Programm
Christiane Schulzki-Haddouti und Stefan Krempl Pest oder Cholera - über die Anhörung des Gesetzes im Bundestag.
Mit den Stimmen der Regierungskoalition hat der Bundestag am Freitag das Informations- und Kommunikatonsdienstegesetz (IuKDG) beschlossen. Forschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) will damit der Multimedia-Industrie ein Zeichen für Innovationen geben. Die Opposition hingegen sprach von einer "Insellösung für weltumspannende Kommunikationsströme".
Das Gesetz, das bereits zum 1. August dieses Jahres in Kraft treten soll, bietet einen Rechtsrahmen zur Nutzung der neuen Kommunikationsdienste. Vor allem der liberale Ansatz der grundsätzlichen Gewerbefreiheit wurde von der Industrie begrüßt. Jeder kann künftig ohne Zulassung elektronische Informations- und Kommunikationsdienste anbieten. Laut Bundesforschungsminister Rüttgers wird den Unternehmen Rechts- und Planungssicherheit gewährt. In den nächsten 15 Jahren sollen so 1,2 Millionen Arbeitsplätze gesichert und rund 200.000 neue geschaffen werden. Der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss hingegen sieht in den neuen Regelungen ein Innovationshemmnis.
Geregelt wird die Nutzung von Telediensten wie Telebanking, -arbeit oder-medizin. Mediendienste, die sich an eine Allgemeinheit der Nutzer wenden, werden hingegen im Mediendienstestaatsvertrag der Länder geregelt Ein weithin kritisierter föderalistischer Kompromiß, der der Konvergenz neuer Dienste keine Rechnung trägt.
Datenschutz und Rahmenbedingungen für eine digitale Signatur sollen ein hohes Maß an Sicherheit bei der Datenübertragung gewährleisten. Verbraucher- und Jugendschutzvorschriften wurden ebenfalls verankert.
Der strittige Punkt der Providerverantwortlichkeit wurde nicht zufriedenstellend gelöst. Grundsätzlich sind Online-Dienste nur für von ihnen erstellte Serviceleistungen verantwortlich, nicht aber für fremde Inhalte im weltweiten Internet, zu dem sie nur den Zugang vermitteln. Erlangen sie jedoch Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten, so müssen sie diese löschen. In ersten Stellungnahmen kritisierten Industrievertreter die nicht "wasserfesten" Formulierungen. So könne die Regelung dazu führen, daß Links auf ausländische Inhalte, die nicht deutschem Recht entsprechen, strafbar werden. Damit könnte eine Firewall rund um Deutschland aufgebaut werden. Hermann Neuss, IBM: "Im schlimmsten Fall kann dies dazu führen, daß in Deutschland lediglich ein unintelligenter Netzzugang installiert wird, im Ausland hingegen der intelligente Teil". Der Kunde würde davon nichts bemerken, der Anbieter hingegen wäre rechtlich abgesichert. Doch Arbeitsplätze werden dann nicht in Deutschland geschaffen.
Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig hingegen verteidigte die Regelung, die nicht die Zugangsprovider in Haft nimmt. Damit soll vermieden werden, daß nach dem Vorbild der Steuroasen nun "Provideroasen" im Ausland geschaffen werden.
Ungeachtet zahlreicher Eingaben und Verbesserungsvorschläge von Experten aus Wirtschaft, Justiz und Informatik wurde kaum noch etwas an dem Gesetzesentwuf verändert. Zwar greifen die Entschließungsanträge aller Parteien die Anregungen auf, im Gesetzestext selbst ist davon nichts zu finden. Der Bündnisgrüne Medienexperte Manuel Kiper kritisierte die kurze Beratungszeit.
Was strahlend in die Welt gesetzt wurde, mutierte in den letzten acht Wochen mit der Halbwertszeit kurzlebiger Isotope. Und nicht anders als bei radioaktiven Prozessen blieb nur Blei übrig. Gesetzesblei, was die weitere Entwicklung der Informationstechnologie in Deutschland nachhaltig behindern wird.
Manuel Kiper
Frustrierte Sachverständige äußerten sich in Schreiben an Jörg Tauss (SPD), "sie hätten jetzt endgültig etwas über den Alibicharakter von Anhörungen gelernt und fühlten sich veralbert". Da auch die Regierung die Mängel kennt, soll eine Sachverständigenkommission die praktische Umsetzung des Gesetzes beobachten, nach zwei Jahren soll es dann zu einer Revision kommen.
Eine wichtige Änderung wurde jedoch schon heute eingebracht: Vorerst ist der verfassungswidrige Zugriff staatlicher Stellen auf Bestandsdaten von Nutzern nicht mehr Bestandteil des Gesetzes, was der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob begrüßte.
Während die Bündnisgrünen eine rundum konstruktive Arbeit vorzuweisen hatte, mußte sich die SPD mit der Dissenz von Bund und Ländern in den eigenen Reihen befassen. Nachdem zahlreiche SPD-Ministerpräsidenten, unter anderem der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, in den vergangenen Tagen Druck auf die SPD-Fraktionsführung ausgeübt hatten, sie solle den Abgeordneten Jörg Tauss "stoppen", folgte die SPD-Bundestagsfraktion den Vorschlägen von Tauss, über das Gesetz differenziert abzustimmen. So lehnte die SPD Artikel 1 und 2 ab, in denen von der praxisfernen föderalistischen Trennung von Telediensten und Mediendienste ausgegangen wurde. Insgesamt wurde das Gesetz mit den Stimmen der Koalition, der Enthaltung von SPD und PDS sowie den Gegenstimmen von Bündnisgrünen verabschiedet. Am 4. Juli wird daher der Bundesrat aus eigenem Interesse dem Gesetz voraussichtlich zustimmen. Es soll dann mit dem Mediendienste-Staatsvertrag am 1. August dieses Jahres in Kraft treten.