Bundestagswahl 2021: Sternstunde der Demokratie?

Seite 2: Lauter Alternativen für Deutschland

Alle Parteien treten an, um - an die Macht gekommen - Politik für Deutschland zu gestalten. Sie unterstreichen, dass sie Alternativen kennen, um den Erfolg des Landes zu sichern.

Die CDU unterstreicht ihre Wahlparole mit Stichworten wie Covid-19, Wirtschaft, Digitalisierung, Jobs, Infrastruktur, Klimaschutz, Familie, Sicherheit, Bildung, Freihandel und Europa. Das alles sind Bereiche, um die sich die Partei in der Regierung kümmern will.

Bezeichnend ist, dass auch hier nicht gesagt werden muss, was im Einzelnen auf den Bürger zukommt. Es reicht offenbar, ihn daran zu erinnern, dass dies alles Politikfelder sind, die ihn berühren. Es wird mit seiner Abhängigkeit von den Entscheidungen der Regierung geworben. Die Aspiranten auf die Ämter versprechen, sich darum zu kümmern, dass er abhängig ist.

Und wenn Wirtschaft - neben Gesundheit und Klima - ganz vorne steht, soll dem Wahlvolk klar sein, dass dies ein ganz wichtiger Bereich ist. Dabei ist "Wirtschaft" schon eine Abstraktion von dem, worum es in der Sache geht. "Die Wirtschaft" ist ja kein Anliegen von uns allen.

In dieser Gesellschaft zielt sie nicht darauf, alle Gesellschaftsmitglieder mit den notwendigen und schönen Dingen des Lebens zu versorgen. Die Versorgung ist vielmehr Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen - eben Kapitalismus.

Investiert wird dort, wo es sich lohnt, und unterbleibt, wo es sich nicht rechnet. Deshalb gibt es neben Luxusgütern schäbige Massenware, neben überbordendem Reichtum jede Menge Mangel.

Die normale Armut ist bei der Wahl allerdings nie Thema. Ihre Folgen kommen dafür vor. Wenn in der Liste der Handlungsbereiche die Forderung nach Arbeitsplätzen - nach ihrem Erhalt, ihrer Schaffung, ihrer Transformation im Zeitalter der Digitalisierung etc. - auftaucht, dann ist eben die Kehrseite der herrschenden Wirtschaftsweise Thema: nämlich die Abhängigkeit der Mehrheit der Bürger vom Gang der Geschäfte, zu deren Gelingen sie mit ihrer Arbeit beitragen und für deren Wachstum ihr Einkommen eine Kost darstellt.

Deswegen ist der Alltag für viele Bürger alles andere als ein Zuckerschlecken und zeitigt jede Menge politischen Handlungsbedarf.

Da die Wirtschaft die Natur und die Menschen ruiniert, braucht es Klimaschutz, der so gestaltet werden soll, dass sich neue Geschäftsmöglichkeiten erschließen lassen und bestehende nicht zu sehr belastet werden.

Kinder zu bekommen stellt Familien vor Existenznöte, weswegen sie gefördert werden müssen. Gesundheit ist ein teures Gut, deshalb muss für den Normalbürger eine Zwangsversicherung her, damit der Verbrauch des Guts nicht gleich zum Ruin der Arbeitskraft führt usw.

Auch die anderen Parteien verstehen diese Art der Werbung für sich, wobei der Unterschied darin besteht, wie sie die einzelnen Handlungsbereiche der Politik ansprechen. Die SPD setzt folgende Prioritäten: "Klimaschutz, der Arbeit schafft". Eine gelungene Kombination, verweist doch der Zusatz vom Arbeit-Schaffen darauf, dass sich Klimaschutz immer daran messen lassen muss, ob er auch der Wirtschaft nützt, denn sonst gibt es keine Arbeitsplätze.

Die Tatsache, dass die Wirtschaft maßgeblich dazu beiträgt, dass Klimaschutz überhaupt zum Thema wird, weil rücksichtslos gegen die Belange von Mensch und Natur produziert wird, fällt dabei unter den Tisch.

Es wird der Eindruck erweckt, Unternehmen hätten nichts anderes im Sinn, als die Menschen mit Arbeit zu versorgen, und würden bei zu radikalem Klimaschutz in diesem Anliegen behindert. Auch auf diese Weise kann man sich für die Wirtschaft starkmachen.

Die Grünen halten der Regierung vor, in Sachen Klimaschutz nur gesagt zu haben, was nicht geht. Damit grenzen sie sich zugleich vom Vorwurf ab, eine Verbotspartei zu sein. Doch auch sie beherrschen die Kombination von Klimaschutz und Wirtschaft, wenn sie auf ihr Plakat schreiben: "Wirtschaft und Klima ohne Krise".

Wie das gehen soll, wirft einige Rätsel auf: Das Klima kann nicht in eine Krise geraten. Durch die Schädigung der Natur ändert sich das Wetter, schmelzen Gletscher, steigen die Meeresspiegel, gibt es mehr Starkregen oder extreme Hitze. Die Natur verändert sich und das ist kein vorübergehender Zustand wie eine Krise. In die Krise kommen allerdings die Menschen, deren Lebensgrundlage damit ruiniert wird.

Wenn die Grünen eine Wirtschaftspolitik ohne Krise versprechen, dann lässt dies ebenfalls aufhorchen. Lernt man doch schon in der Schule, dass zum Wirtschaftsleben nun mal der Zyklus von Aufschwung, Boom, Abschwung und leider auch immer wieder Krise gehört.

Unternehmen konkurrieren mit Massenware um Marktanteile und irgendwann sind die massenhaften Produkte nicht mehr absetzbar, weil den Kunden das ausreichende Geld fehlt, um das in der Ware vorgeschossene Geld mit Gewinn an die Unternehmen zurückfließen zu lassen.

Dann ist Krise, weil es von allem zu viel gibt: zu viele Produkte, die so mancher brauchen könnte, aber nicht bezahlen kann; zu viele moderne Fabriken, die zu Schrott werden, weil sich ihr Betrieb nicht mehr lohnt; zu viele Menschen, die arbeitslos werden, obwohl sie die Arbeit für ihren Lebensunterhalt brauchen usw.

Diese Gesetze des Marktes oder besser des Kapitals wollen die Grünen offensichtlich außer Kraft setzen, ohne den Kapitalismus zu beseitigen - wahrscheinlich können ihre Spitzenkräfte dann auch übers Wasser laufen.

Um ihre Regierungsfähigkeit zu beweisen, haben sie ein Klimaschutz-Sorfortprogramm vorgelegt: Es soll "Wirtschaft und Industrie auf Klimaneutralität ausrichten". Denn sie wollen erkannt haben: "Zugleich ist Klimaneutralität mittlerweile die entscheidende Größe auf den Märkten der Zukunft".

Sie treten also nicht mehr als Kritiker der Industrie auf, sondern wollen mit ihrer Klimapolitik das Erfolgsrezept für die deutsche Wirtschaft gefunden haben. Wobei es etwas gemogelt ist, wenn behauptet wird, Klimaneutralität sei die entscheidende Größe für den Erfolg auf den Märkten der Zukunft.

Entscheidend dürfte nach wie vor die Rentabilität sein, sprich: auch der Klimaschutz muss sich rechnen. Doch bei ihrer ersten Regierungsbeteiligung unter Kanzler Schröder haben die Grünen bereits bewiesen, wie radikal sie für den Erfolg der deutschen Wirtschaft eintreten, schließlich haben sie die Hartz-Gesetze mit beschlossen und die Wirtschaft mit billigen Arbeitskräften versorgt.

Die FDP macht die Digitalisierung, den Klimaschutz und die bedrohte Freiheit zum Thema. Unter Digitalisierung läuft vieles, vom digitalen Antragstellen bei Behörden bis hin zu Rationalisierungen in Industrie und Verwaltung. Für beides soll der Bürger sich unterschiedslos einsetzen, geht es doch um den Erfolg Deutschlands in der Welt.

Dass der Einsatz dieser Technologien in Produktion und Kommerz massenhaft Arbeitsplätze kosten wird, daraus wird in der Öffentlichkeit kein Geheimnis gemacht, ist aber im Wahlkampf kein besonderes Thema. Für Klimaschutz ist die FDP ebenfalls, sieht freilich insgesamt die Freiheit bedroht.

So kann man sich gleichzeitig gegen zu viele Einschränkungen - sei es nun bei der Pandemie oder im Wirtschaftsleben - wenden. Irgendwie sollen diese Sorgen das Gleiche und bei der FDP gut aufgehoben sein.

Die AfD, die bestrebt ist, sich von den "Systemparteien" abzugrenzen und deswegen auch viele Einschränkungen für überflüssig hält, lässt einen Unternehmer zu Wort kommen: "Mein Unternehmen ist nicht im Dax, sondern in Deutschland".

Die Partei fordert dann ganz alternativ: "unseren Mittelstand stärken". In der Form reiht sie sich in den Chor derjenigen ein, die als oberstes Ziel die Stärkung der Wirtschaft im Auge haben, also die Vermehrung des Reichtums derer, die über Reichtum verfügen, wobei der Mittelstand im Gegensatz zu vielen Großbetrieben besonders deutsch sein soll.

Kampf gegen Armut im Bundestagswahlkampf 2021

Die Linke scheint da etwas aus dem Rahmen zu fallen, wenn sie die "Existenzangst abschaffen" will und eine "Infrastruktur, die Armut abschafft" fordert. Wie die aussehen soll, wird auch dargelegt: "Statt Aufstocken, mindestens 13 Euro pro Stunde" und eine Grundsicherung von 1.200 Euro.

Mit ihren Forderungen wendet sich die Partei an die Opfer des Wirtschaftswachstums, will aber nicht die Quelle der Armut - die Lohnabhängigkeit - beseitigen, sondern diese sozial gestalten, d.h. die Härten, die daraus entstehen, abmildern.

Dass es die weiterhin geben wird, daraus macht die Linke kein Geheimnis und hält auch so der herrschenden Wirtschaftsordnung die Stange.

Mit ihrem Einsatz für die Opfer des Wirtschaftswachstums steht die Linke jedoch nicht allein. Alle Parteien haben deren Nöte im Auge, wenn sie die Mieten, die familiären Belastungen oder die Ausbildungssituation thematisieren. Schließlich braucht eine erfolgreiche Wirtschaft Menschen, die diesen Reichtum herstellen und verwalten.

Deren Existenz muss daher irgendwie gesichert sein und dazu gehört eben, dass sie eine Wohnung finden oder dass für ihre Kinder gesorgt wird, wenn beide Elternteile arbeiten müssen.

Der Nachwuchs muss zudem ausgebildet werden, damit er als zukünftige Arbeitskraft tauglich ist, und der übliche Verschleiß in der Arbeit und durch Gifte in Lebensmitteln, Kleidung, Atemluft etc. muss durch ein Gesundheitswesen betreut werden.

Last but not least ist neben den Nöten des Alltags auch immer - in der einen oder anderen Form - Sicherheit ein Thema, das Aufmerksamkeit erregen soll. Die CDU hat es ebenso im Programm wie AfD oder Linke. Auch hier bemühen sich die Parteien darum, Unterschiede deutlich zu machen, wie das Thema den Bürger betreffen oder ansprechen soll.

Für die CDU reicht das Stichwort als Zusage, dass sie sich darum kümmert. Von der SPD weiß man seit geraumer Zeit, dass unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird - auch wenn sich momentan zeigt, dass da noch viel zu tun ist.

Die Grünen (die zusammen mit der SPD Deutschland in den Afghanistan-Krieg geführt haben) wissen das, sie wollen "Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten". Wobei Bevölkerungsschutz gerade in Kriegszeiten gebraucht wird.

Die AfD lässt auch zu diesem Thema den Bürger, genauer gesagt: eine Bürgerin sprechen, denn dem Volk soll ja nicht länger der Mund verboten werden. "Ich liebe die Nacht, aber nicht den Nachhauseweg" meint die Dame und fordert daher "Recht und Ordnung für unsere Städte".

Das ist eben das Schöne am Stichwort "Sicherheit", dass man sowohl die Sicherung deutscher Ansprüche in der Welt wie auch die Sicherung staatlicher Ordnung im Inneren darunter verstehen und sich so für die Ausstattung des staatlichen Gewaltapparats in Form von Bundeswehr und Polizei stark machen kann. Alles nur deswegen, damit man vom Kneipenbesuch heil nach Hause kommt.

Die Linke tritt für Frieden ein und will die Waffenexporte stoppen. Dabei könnte sie eigentlich merken, dass für Frieden alle Staaten dieser Welt sind, dass nur die Staatsmänner und -frauen von Zeit zu Zeit zur Sicherung des Friedens Krieg für notwendig erachten.

Die Linkspartei tut sich zurzeit noch schwer, die von der Regierung für notwendig gehaltenen Kriege zu unterstützen. Aber um regierungsfähig zu werden, wird sie sicher auch diese Hürde nehmen.

"Waffenexporte stoppen" hört sich gut an, scheitert in der Regel aber daran, dass sich die Bundesrepublik damit - ganz abgesehen vom drohenden Arbeitsplatzabbau - eines wichtigen Mittels der internationalen Einflussnahme berauben würde.

Schließlich streben viele Staaten nach den technisch ausgereiften Produkten deutscher Tötungsindustrie. Ihre Ausstattung mit diesen Produkten zu gewähren oder zu verweigern ist eine Form, in der Deutschland in aller Welt auf andere Herrschaften Einfluss nimmt.

Und so fordert auch die Linke nicht die Schließung dieser Betriebe, sondern weiß z.B. ein Bodo Ramelow seine Waffenschmiede in Suhl als Wirtschaftsfaktor zu schätzen - genauso wie ein Winfried Kretschmann seine in Oberndorf am Neckar oder ein Armin Laschet in Düsseldorf.

Von solchen militärpolitischen Bedenken abgesehen, die sich auch bei der AfD finden, erweisen sich die Parteien grundsätzlich einig, was die Aufgaben der zukünftigen gewählten Politiker betrifft und worum sich diese zum Wohl der Nation in der anstehenden Großmachtkonkurrenz zu kümmern haben.

Von daher ist es nicht verwunderlich, dass sich gerade ein deutsches Kriegsschiff ins Südchinesische Meer aufmacht, um dort deutsche Sicherheitsinteressen anzumelden, und dabei darauf vertrauen kann, dass sich sein Auftrag durch die Wahl im September nicht ändern wird; dass es höchstens ein paar Nuancen bei der Definition bzw. Legitimation seiner friedenspolitischen Mission geben wird.

Die verschiedenen Themen des Wahlkampfs geben die Staatsaufgaben wieder, die nicht zur Wahl stehen und an denen sich die verschiedenen Parteien und Kandidaten bewähren wollen. Die Unterschiede, mit denen die Parteien bei den Wählern für sich werben, betreffen ihre Selbstdarstellung und die Art, wie sie die einzelnen Aufgabenbereiche angehen wollen.

Während die einen die Reichen steuerlich entlasten wollen, weil es um die Vermehrung ihres Reichtums in dieser Gesellschaft geht, wollen die anderen die Armen entlasten, damit diese durch ihren Konsum helfen, die Produkte der Unternehmen zu versilbern, und das Geld reibungslos an die Unternehmen mit Gewinn zurückfließt.

So haben beide Varianten dasselbe Ziel vor Augen, wenn sie auch auf unterschiedlichem Wege dorthin gelangen wollen, und propagieren somit unisono nur eins, den Erfolg für Deutschland. Das soll den Wähler beeindrucken!

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