Bundestagswahl 2021: Sternstunde der Demokratie?
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Fiebert das Wahlvolk dem 26. September entgegen oder hat es vom Wahlkampf schon genug? Überlegungen zum Nutzwert des Wahlakts
Wahlen gelten als die Sternstunden der Demokratie, so auch die Bundestagswahl 2021. Das Ereignis wird als Gütesiegel der herrschenden Staatsform gefeiert, selbst wenn ein Großteil der verehrten Wähler und Wählerinnen auf Enthaltung (oder "weiß nicht") plädiert, so mancher Journalist den Wahlkampf als langweilig bis abstoßend empfindet und die Wahlforscher lauter Defizite entdecken.
Auf den einen Tag, dieses Mal den 26. September, soll es ankommen. Schließlich ist dann der Bürger gefragt. Von seiner einsamen und leider so schwer kalkulierbaren Entscheidung soll Entscheidendes abhängen - und damit zeigt sich laut einhelliger Expertenmeinung, dass er in der Demokratie die bestimmende Größe darstellt. Nur sollte man einmal nachfragen, wer eigentlich von der Wahl was hat, worüber das Wahlvolk entscheidet und wie es zu seiner Entscheidung gelangt.
Das Kreuz mit der Wahl
Die maßgebliche Beteiligung des Bürgers am demokratischen Geschehen besteht in zwei Kreuzchen in einem Kreis, angebracht auf einem Wahlzettel, der verdeckt in einer Kabine abgegeben wird, so dass die Entscheidung ganz unbeeinflusst und damit "frei" erfolgen kann.
Es ist kein Akt, bei dem sich jemand mit Gründen zu Wort meldet, um Rückmeldung bittet oder sich mit anderen abspricht. Wer seine Stimme demokratisch abgibt, ist frei, er kann ganz seiner Willkür folgen, denn der Vorgang ist, so die letzte Bestimmung in Artikel 38 Grundgesetz, "geheim".
Gewählt werden zum einen der Wahlkreiskandidat bzw. die -kandidatin, zum anderen eine Partei mit der Liste ihrer führenden Vertreter. Den Wahlkreiskandidaten muss der Wähler gar nicht kennen, die aufgestellten Personen stehen hier für eine Partei und damit für deren Programm.
Das Programm muss der Wähler ebenso wenig kennen, denn Optionen, die sich auf Inhalte des Wahlprogramms beziehen, stehen nicht zur Wahl, sondern nur Repräsentanten dieses Programms; d.h. Personen, die gewählt werden wollen, um in Zukunft das Land zu regieren.
Die Kandidaten wollen demnächst über Gesetze und die Besetzung der Regierungsämter beschließen und damit festlegen, was die Bürger zu tun und zu lassen haben, was ihnen der Staat vom Einkommen wegnimmt und was er ihnen zukommen lässt usw.
Mit der Wahl werden also Personen ermächtigt, über den Rest des Landes zu herrschen. Und bei der Ausführung dieser Aufgabe sind sie keinem Programm, sondern nur ihrem Gewissen verpflichtet. Ein sogenanntes imperatives Mandat, das die Gewählten zu irgendetwas verpflichtet, sieht eine Demokratie, die etwas auf sich hält, ausdrücklich nicht vor.
Gewählte Vertreter sind ebenso frei in ihren Entscheidungen wie andere Herrscher auch. Durch die Wahl erhalten sie aber die Legitimation, dass ihre Herrschaft im Sinne der Bürger stattfindet, ganz gleich wie viele sie gewählt haben und ob der Einzelne, der von ihrem Handeln betroffen ist, sie als Regierende gewollt hat oder nicht.
Sie sind von der - nach bestimmten (oft für Laien undurchschaubaren) Rechenverfahren zu ermittelnden - Mehrheit der zur Wahl Berechtigten gewählt und damit zum Regieren berechtigt. Also bestimmt der Wahlbürger nur das: Wer von den verschiedenen Kandidaten zur Herrschaft ermächtigt wird. Dass es die Obrigkeit vor und nach der Wahl gibt, steht a priori fest.
Weil die Personen verschiedenen Parteien angehören, soll die Entscheidung auch immer eine Entscheidung in der Sache sein, nämlich darüber, wie und zu welchem Ende das Land zu regieren ist.
Dafür gibt es Wahlprogramme und dafür stehen auch die Parolen auf den Plakaten, mit denen die Kandidaten für sich werben, wobei ihre Auskünfte von professionellen Beobachtern meist als zu plakativ und zu wenig gehaltvoll bemängelt werden.
Profis sähen das Ganze gern geschickter angepackt, mit mehr Strahlkraft versehen - eine geschmäcklerische Kritik, die über die Sache schnell hinweggeht. Die besteht in Folgendem:
Der Wahlkampf - ein Krampf?
Die Programme der verschiedenen Parteien kennen die meisten Bürger nicht, wenn sie zur Wahl schreiten. Die Medien versuchen zwar, Unterschiede in den Programmen herauszupräparieren, und führen ihrem Publikum etwa vor, welche Aussagen zu Steuern oder Renten in den diversen Papieren zu finden sind.
Die Parteien selber rechnen aber gar nicht groß damit, dass die Wähler die Programme studieren und vergleichen. Sie beauftragen Werbeagenturen damit, Wahlparolen in die Welt zu setzen, mit denen sie auf sich aufmerksam machen wollen. Alle Zitate im Folgenden stammen von den Websites der Parteien.
So wirbt die CDU: "Alles, was wir tun, tun wir #wegenmorgen – Gemeinsam blicken wir auf's Morgen". Die SPD stellt ihren Kanzlerkandidaten in den Vordergrund und lässt diesen sprechen: "Respekt - das ist meine Idee für unsere Gesellschaft. Dafür kämpfe ich mit Leib und Seele, mit Herz und Verstand". Die Grünen sind: "Bereit, weil ihr es seid". Die FDP weiß zu vermelden: "Nie gab es mehr zu tun" und zeigt ihren sinnierenden Vorsitzenden. Die Linke will die "Existenzangst abschaffen" und die AfD tritt ein für "Deutschland, aber normal".
Schon diese Auswahl zentraler Aussagen zeigt: Es ist eine Mär, dass die Parteien sich durch Wahlversprechen auszeichnen, die sie dann - so geht die Klage - nicht halten würden. Was wird denn versprochen, wenn gemeinsam auf's Morgen geschaut wird?
Das Morgen kommt sowieso und wie es aussehen wird und was die Politik dafür tun wird, bleibt bei der christdemokratischen Ankündigung zielstrebig im Nebulösen. Nur eins ist dabei klar: Der Mann (oder die Frau) im Amt wird sie gestalten.
Die Forderung nach Respekt klingt irgendwie gut, könnte man meinen. Aber wer soll denn vor wem Respekt haben? Und nicht zuletzt: Wer Respekt fordert, geht doch von Gegensätzen in der Gesellschaft aus, die bleiben werden, aber höflicher abgewickelt werden sollen.
Und die Opposition? Wozu sind die Grünen bereit? Hier äußert man fast Klartext: Versprochen wird nicht mehr oder weniger, als dass die Partei an die Macht will, dazu ist sie bereit und unterstellt dieselbe Sehnsucht wohl auch bei ihrer Anhängerschaft.
Wenn die FDP bemerkt, dass es viel zu tun gibt, dann steckt darin natürlich der Vorwurf an die Adresse der Koalition, vieles nicht getan zu haben.
Die Oppositionspartei braucht das nicht auszuführen, bietet sich stattdessen gleich für die Zukunft als Koalitionspartner an, der wie die Grünen bereit zum Zupacken ist – bei was auch immer, auf jeden Fall bei den drängenden Herausforderungen, vor die sich eine Herrschaft gestellt sieht.
Etwas anders der Zugang bei der Linken, sie spricht nicht als Erstes den herrschaftlichen Bedarf, sondern die Nöte einfacher Menschen an. Doch wer die Existenzangst abschaffen will, greift der Sache nach die unsichere Existenz der Menschen auf, die von Lohn und Gehalt leben müssen.
Die daraus resultierende Angst zu beseitigen, würde einschließen, die Grundlage anzugreifen. Von der Abschaffung der Lohnarbeit, die die Unsicherheit bewirkt, ist aber gerade nicht die Rede. Man soll eher an eine Herrschaftsausübung denken, die bei ihrem Geschäft 'die da unten' nicht vergisst.
Die AfD ist gleich wieder beim Höchstwert, vor dem alle Einzelfragen verblassen, bei der Nation. Auch sie versteht es, etwas zu fordern, bei dem sich jeder Wähler sein Teil denken kann. Was das genau sein soll, wenn Deutschland normal wird, soll er sich wohl eher im Blick auf die großartige nationale Tradition ausmalen.
Die Parteien belassen es aber nicht dabei, allgemeine Wahlslogans in die Welt zu setzen, die ihren Machtwillen, pardon: ihre Gestaltungskompetenz benennen. Sie untermauern dies auch mit Schlagworten, mit denen sie einmal für sich werben und sich zweitens von den anderen absetzen wollen. Denn schließlich sollen dem Wähler ja Alternativen geboten werden, damit er hier ankreuzt und nicht da.
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