Bundestagswahl 2021: Was nicht gewählt werden kann und was jetzt schon feststeht

Seite 3: Kann eine Wahl das System ändern? Hier nicht, aber woanders gern

Zur Wahl steht deshalb weder die Verfassung noch die Eigentumsordnung. Wirksamer Widerstand gegen staatliche Entscheidungen ist als "Nötigung von Verfassungsorganen" unter Strafe gestellt. Das wäre ja auch noch schöner, wenn das Volk sich ein anderes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem wählen könnte!

Seltsam, dass genau dies bei anderen Staaten von deutschen Politikern und Medien eingeklagt wird. "Echte" Opposition wird nämlich in missliebigen Ländern wie Weißrussland, Iran und natürlich vor allem in Russland und China unterdrückt! Eine Opposition, die jeweils das geltende System infrage stellt und auf einen Wechsel zu einer irgendwie dem Westen ähnlich gearteten Demokratie drängt.

Dort sollte doch bitteschön per Wahlkreuz der komplette Herrschaftsapparat verabschiedet, das "Unrechtsregime" gestürzt werden können. Die Machthaber lassen sich das aber genauso wenig gefallen wie hierzulande und stellen exakt das klar, was auch in Deutschland gilt: Nur wer die aktuelle Verfassung vollständig akzeptiert, darf sich in diesem Rahmen zur Wahl stellen. Alles andere ist keine erlaubte Opposition, sondern gehört unterbunden. Aus deutscher Sicht ein Skandal, weil die "richtigen" Systemgegner in den auf dem Index stehenden Staaten nicht zum Zuge kommen. Also kann es sich dort nie um eine echte Wahl handeln! Denn die zeichnet sich doch dadurch aus, dass man die Herrschaft abwählen kann. Natürlich nur, wo sie in deutsche Ungnade gefallen ist.

Die Herrschaft geht vom Volk aus und bleibt verlässlich von ihm getrennt

Wenn ohnehin grundsätzliche Alternativen zur Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung nicht zur Wahl stehen, warum leistet sich die Demokratie dann diese aufwändige Prozedur? Ein Risiko besteht auf keinen Fall: In der Konkurrenz um die Ausübung der Staatsgeschäfte bewerben sich ganz sicher ausschließlich Bürger, die um die "Sachzwänge" wissen, diese gern gegenüber dem Volk durchsetzen und in einschlägigen Karrieren das Herrschen vorher ordentlich geübt oder es schon erfolgreich an höchster Stelle erledigt haben. Aber auch diese Leute werden irgendwann man älter, haben nicht mehr so richtig den Schwung für die Macht oder verpassen vielleicht, was gerade besonders wichtig ist für den deutschen Erfolg in der Welt. Also gibt es eine gepfefferte Konkurrenz um die Posten, die schließlich auch gut dotiert sind, nicht nur durch Diäten und Beamtenbesoldung.

Über die regelmäßige Frischzellenkur für die Regierungstruppen entscheidet bekanntlich aber nicht ein abgegrenzter Kreis von besonderen Personen, sondern in der Demokratie das stimmberechtigte Volk. Es gilt ja als der eigentliche "Souverän" - aber eben nur eigentlich: Zu bestimmen hat der Wähler nichts. Er gibt lediglich auf dem Stimmzettel sein Einverständnis kund, dass weiter die Herrschaft über ihn ausgeübt wird - und am liebsten, so viel Wahl darf sein, von der angekreuzten Partei und dem angekreuzten Kandidaten. Er fällt seine Entscheidung danach, welche ideologische Richtung unter den zur Wahl stehenden Parteien ihm am meisten zusagt - der "Wahl-O-Mat" hilft ihm dabei, wie beschrieben.

Mit dem Kreuz auf dem Stimmzettel wird aber nicht einmal diese "Richtungsentscheidung" verbindlich. An ihre Wahlprogramme und Wahlversprechen sind die Politiker nicht gebunden. Das wäre auch noch schöner: Erstens wäre dann ja doch so etwas wie ein "imperatives Mandat" in der Welt, wenn auch sich selbst erteilt. Aber darauf von den Wählern festgenagelt zu werden? Geht gar nicht!

Zweitens würden die so nötigen "Kompromisse" im politischen Alltag und die Koalitionen von Parteien für eine "handlungsfähige" Regierung unnötig erschwert. Die Herrschaften müssen schon ganz frei unter sich aushandeln können, welchen "Richtungen" der Staat in Zukunft folgen soll.

Das Wahlkreuz kürzt sich daher zusammen auf die Auswahl des Herrschaftspersonals unter Ausschluss eines Einflusses auf das Herrschaftshandeln. So geht die Herrschaft vom Volk aus und bleibt zuverlässig von ihm getrennt.Und deshalb macht diese aufwendige Veranstaltung Sinn - als massenhafte Unterschrift unter vier weitere Jahre Bundesregierung.

Auf die Staatsgewalt angewiesen - und so Mittel des Staates

Die Regierung ausübenden Figuren werden von den sie gewählt habenden dann danach beurteilt, wie gut und glaubwürdig sie das tun. Dabei gilt es einerseits als negatives Merkmal, wenn sie "Stammtischparolen" folgen und "populistisch" sind - also dem Volk zu sehr nach dem Mund reden. Schließlich geht es um die Exekution von staatlichen Notwendigkeiten. Da kann die Herrschaft nicht auf irgendwelche Stimmungen im Volk Rücksicht nehmen. Andererseits halten sich die Politiker zugute, die Sorgen und Nöte der Bürger zu kennen. Wer diese Karte besonders glaubwürdig spielt, gilt als "volksnah", "authentisch" und nicht abgehoben. Das macht diese Herrschaften umso bewundernswerter, wenn sie dann doch die Sorgen und Nöte einer Menge Bürger ignorieren beziehungsweise vermehren. Geht halt leider nicht anders, siehe "Sachzwänge".

Dem demokratischen Wähler leuchtet das alles ein. Er sieht den Staat als sein Mittel, um im Leben zurechtzukommen. In der Tat ist jeder Bürger auf den Staat angewiesen - eben weil die Verhältnisse eine regelnde Gewalt erfordern. Der Arbeitnehmer braucht sie beispielsweise, damit er gegenüber seinem Arbeitgeber auf der Zahlung des vereinbarten Lohns bestehen kann.

Andernfalls kann er klagen und sein Recht durchsetzen. Umgekehrt kann der Arbeitgeber auf der vertraglich fixierten Leistung bestehen, sonst darf er kündigen. Überall sonst, wo es um Verträge zwischen unterschiedlichen Interessen geht, braucht es eine Gewalt, die die Einhaltung der vereinbarten Konditionen garantiert. Und in privaten Auseinandersetzungen ebenfalls, sei es der Nachbarschaftsstreit oder das erlittene Verbrechen. Weil die Gesellschaft so konfliktträchtig eingerichtet ist, braucht der Bürger eine allgemeine Gewalt. Insofern ist der Staat tatsächlich sein Mittel - weil er nur so Mittel für den Staat sein kann!

Ob Unternehmer, Manager, Beamter, Banker, Arbeiter, Angestellter oder auch Soldat - die Bürger sorgen durch ihren geschäfts- und staatsdienlichen Einsatz für den nationalen Erfolg. In ihrer jeweiligen Funktion hierfür werden sie aber sehr unterschiedlich vom Staat behandelt. Schließlich ist die Seite des Kapitals und der Finanzen maßgeblich für das essenzielle Wirtschaftswachstum. Entsprechend hofiert und unterstützt wird sie. Die dafür beschäftigten Bürger dürfen hingegen zusehen, wie sie mit ihren notorisch beschränkten Budgets zurechtkommen, und sie sollten möglichst dem Staat nicht durch Sozialleistungen zur Last fallen.

Umso erstaunlicher, dass beide Seiten sich im Interesse an der Wahl zusammenfinden. Für die einen geht es um die besten Mandatsträger, die ihr Geschäft weiter befördern, im In- und Ausland. Für die anderen geht es um die vage Hoffnung, dass es mit der neuen Regierung irgendwie auch für sie besser wird. Auf jeden Fall soll Deutschland mit einer konkurrenzfähigen Wirtschaft zu einer der führenden Länder in der Welt gehören. Dass dies ein richtiges und wichtiges Ziel ist, unterschreiben die Wähler. Und dass es dafür die richtigen Typen an der Macht braucht, auch. Also machen sie ihr Kreuz und bilden sich ein, wer weiß was damit entschieden zu haben.