Bundeswehr bildet im Irak ezidisches Peschmerga-Bataillon aus
Seite 2: Shengal als Spielball der Interessen der Regionalmächte
- Bundeswehr bildet im Irak ezidisches Peschmerga-Bataillon aus
- Shengal als Spielball der Interessen der Regionalmächte
- Eziden: Vorbild Rojava und die Rolle der Frauen
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Shengal ist eine seit langem zwischen kurdischer Regionalregierung und irakischer Zentralregierung umstrittene Region. Insbesondere dieser Interessengegensatz, unter dem die Bevölkerung schon lange litt, und die strategische Position von Shengal führten immer wieder zu schweren Angriffen auf die Menschen der Region.
Die ezidische Religion gehört nach islamischer Perspektive nicht zu den anerkannten abrahamitischen Buchreligionen. Daher haben Eziden aus der Perspektive der Dschihadisten, wenn überhaupt, nur die Möglichkeit der Konversion oder sie werden ermordet und Kinder und Frauen werden versklavt. Unter dem Deckmantel der Religion wurde immer wieder um die Hegemonie auf dem Shengal und die Vertreibung der ezidischen Bevölkerung gekämpft.
Vor Juni 2014 waren dort etwa 85% der Bevölkerung - etwa 400.000 Menschen - ezidischen Glaubens. Doch schon zuvor war es auch in jüngerer Geschichte zu Massakern an der ezidischen Bevölkerung gekommen. So explodierten am 14.08.2007 mit Sprengstoff beladene Tanklastwagen in ezidischen Dörfern des Shengal und töteten mindestens 500 Menschen. Viele Hinweise deuteten auf einen Zusammenhang mit dem damals angekündigten Referendum um die Zugehörigkeit der Ölmetropole Kirkuk zu Südkurdistan an.
Damals sollten die türkischen Interessen, (gegen einen Anschluss des Gebietes an Südkurdistan) mit Hilfe der turkmenischen Minderheit in der Region betrieben werden. MIT-Agenten förderten den Aufbau der extrem völkischen, nationalistischen ITC (Turkmenische Front). Es kam zu mehreren Anschlägen u.a. turkmenischer Gruppen, bei denen deutliche Hinweise auf Unterstützung durch den türkischen Geheimdienst MIT bestanden.
Zuvor hatte der "Islamische Staat im Irak", damals noch unter dem Dach von al-Qaida am 9. und 13. Mai Anschläge in Hewler (Erbil) und im Flüchtlingslager Maxmur durchgeführt, das von aus Nordkurdistan geflohenen Kurden in Selbstverwaltung organisiert wird. Die Mehrheit der Bevölkerung von Maxmur unterstützt die PKK und wurde auch deshalb als Angriffsziel ausgewählt.
Nach Angaben von örtlichen Quellen der kurdischen Zeitung Özgür Gündem waren diese Angriffe in Zusammenarbeit zwischen dem Islamischen Staat im Irak/Al-Qaida und dem Geheimdienst MIT verübt worden. Weiterhin sollte eine Zuspitzung der religiösen Widersprüche zwischen Sunniten und Eziden geschaffen werden. Bei diesen Anschlägen spielten turkmenische Einheiten mindestens unterstützende Rollen. Auch beim Anschlag 2007 in Shengal gab es diesen Verdacht, denn schon damals gab es Verbindungen zwischen der AKP-Regierung und Al Qaida.2
Regionalpolitisch können wir in dieser Phase von einem engen Verhältnis der Regime Erdogan und Bashar al-Assad sprechen. In einem Treffen zwischen Assad und Erdogan wurde 2006 vereinbart, dass die Anbindung von Kirkuk an die KRG um jeden Preis zu verhindern sei. Das Regime Assad hatte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls enge Beziehungen zur al-Qaida im Irak. Auffällig ist, dass für den Anschlag mehrere Bekenntnisse vorliegen, eines einer "Türkischen Rachebrigade", welches sich auf die Lage der Turkmenen in Kirkuk bezieht und ein weiteres dschihadistisches Bekennerschreiben.
Wie man das Massaker auch einordnet, man kann feststellen, dass das eine Folge konkurrierender Regionalpolitiken war und Teil einer Entvölkerungspolitik ist. Man hat turkmenische Minderheiten für die Umsetzung außenpolitischer Belange der Türkei benutzt, um diese später durch die Unterstützung von ISIS und al-Qaida spätestens ab 2011 und auch nach deren Einmarsch in den Irak fallen zu lassen.
Die PDK hatte nach dem Massaker von 2007 Kontingente in der Region stationiert. Politisch verhinderte sie allerdings wegen ihrer eigenen Machtansprüche die Organisierung jenseits der PDK. Allerdings berichtet die ezidische Bevölkerung ebenfalls von systematischer Diskriminierung als Nichtmuslime durch die sunnitisch dominierte kurdische Regionalregierung.
"Verhindert, dass sich die Eziden als Verteidigungskräfte organisieren und ihnen die Waffen weggenommen"
Die ezidische Bevölkerung war schon damals sehr misstrauisch gegenüber der kurdischen Regionalregierung. Deshalb begannen Eziden sich schon im Zuge des deutlich absehbaren Vorrückens des IS auf Mossul und Tell Afar - im Osten des Shengal-Gebirges zu bewaffnen und zu organisieren. Ezidische Soldaten waren aus der irakischen Armee mit schwerem Gerät nach Shengal zur Verteidigung desertiert.
Allerdings verhinderte die PDK, die seit dem Massaker von 2007 Kontingente im Shengal stationiert hatte, diese Bewaffnung, indem sie die Waffen beschlagnahmte. Der Volksratssprecher von Shengal Seid Hisen erklärt dazu:
Vor dem Angriff wurde die Gefahr, die vom vorrückenden IS ausging erkannt, vor allem auch im Westen bei Mossul und Tell Afar, wo ebenfalls Eziden lebten. Deshalb wurden die PDK-Peschmerga, die dort stationiert waren und die südkurdische Regionalregierung darüber informiert. Die Warnungen wurden aber ignoriert und sie haben sogar verhindert, dass sich die Eziden als Verteidigungskräfte organisieren und ihnen die Waffen weggenommen. Sie wussten ganz genau, dass, wenn der IS im Shengal einmarschiert, sie den Eziden Schreckliches antun würden.
So berichtete sogar das - einer Nähe zur kurdischen Bewegung gewiss nicht verdächtige - Deutsch-Türkische Journal, dass es etliche Anzeichen gäbe, dass die Peschmerga nicht nur über Nacht aus dem Shengal geflohen seien, sondern vorsätzlich abgezogen sind, sie dokumentierten Aussagen von Augenzeugen wie:
Wir haben die fliehenden Peschmerga um ihre Waffen gebeten, sie angefleht, uns wenigstens Munition da zu lassen. Wir baten darum, dass sie uns zumindest die kürzlich vom den irakischen Kräften zurückgelassenen Waffen geben. Alles wurde nicht nur abgelehnt, uns wurden sogar auch noch unsere eigenen Waffen abgenommen.
Seid Hesin bewertet dieses Verhalten folgendermaßen:
Es gab auf jeden Fall eine Absprache zwischen IS und Peschmerga. Mit Abzug der Peschmerga ist der IS einmarschiert. Der Hintergrund ist ein religiös politischer. Eziden gelten als Ungläubige, deren Tod Vorteile bringt. …der PDK war klar, dass wir als Eziden Freiwild für den IS sein würden. Das Ziel war es, die Eziden komplett auszurotten, aus Shengal zu verjagen. Es gibt auch den Konflikt zwischen Regional- und Zentralregierung im Irak: durch die Belagerung des IS, erhoffte sich die PDK, sich gegen den IS zu wenden und damit den Sengal zu annektieren, um zu erklären: wir haben Shengal befreit.
Nachdem die Peschmerga über Nacht die Stadt Sinjar verlassen hatten und mit all ihrem Gerät den Rückzug angetreten hatten, brach Panik unter der ezidischen Bevölkerung aus: Hunderttausende flohen in die Berge, die Bilder zurückgelassener Autos gingen um die Welt. Eine kleine Einheit der HPG begann die Verteidigung der umzingelten Berge. Die Situation war dramatisch, da sich etwa 250.000 Menschen zu diesem Zeitpunkt vom IS eingekreist im Shengal-Gebirge aufhielten. Tausende waren bereits in Gefangenschaft des IS geraten.
Von Rojava aus überschritten nun Einheiten der YPG/YPJ die irakische Grenze und kämpften einen Fluchtkorridor frei, der Hunderttausenden das Verlassen des Shengal ermöglichte. Interviews mit vielen Flüchtlingen bestätigen dies. Der Volksratssprecher Seid Hisen berichtete, - wie auch etliche Überlebende des Überfall des IS auf Shengal, mit denen wir ebenfalls Gelegenheit hatten zu sprechen -, dass die Peschmergas nicht nur davongelaufen sind, sondern sich auch geweigert hätten, den Eziden Waffen zur Selbstverteidigung zu überlassen. Nur so konnte es zu diesem grausamen Massaker im August 2014 kommen.
Ein Flüchtling, der das Massaker überlebt hat, berichtet auf der Veranstaltung mit dem Volksratssprecher Seid Hisen am 2.7.2015 in Berlin: "Sie haben uns nicht nur verlassen, sie haben uns auch entwaffnet." Diese Erfahrung sitzt tief, das Misstrauen gegenüber der KDP von Kurdenpräsident Barzani im Nordirak ist groß: "Leute, die noch für die KDP sind, sind das, weil sie etwas humanitäre Hilfe bekommen" meint ein Augenzeuge. Denn gegen Rojava, wie auch gegen das Shengalgebiet gibt es ein Embargo der KDP, d.h.: Die Gebiete des ezidischen Volksrats werden nicht mit humanitären Hilfsgütern versorgt, sondern nur die Gebiete, die sich eindeutig zur KDP bekennen.
Die Bundesregierung setzt nun gerade auf die Kräfte, die schlimmstenfalls aus politischem Kalkül, bestenfalls aus militärischem Unvermögen die Bevölkerung des Shengal schutzlos dem IS ausgeliefert haben. Damit unterstützt sie indirekt die Ambitionen der regierenden KDP im Nordirak, die alleinige Kontrolle über das Shengalgebiet zu erlangen - gegen den Willen der dortigen ezidischen Bevölkerung.